Diese Postkarte war mir versehentlich unter die Arztrechungen geraten, die ich 1986 zur Erstattung beim Landesamt für Besoldung und Versorgung einreichte. Die Reaktion der Beamten, die diese Karte als nicht beihilfefähig stempelten und eigens zurückschickten, hat mich amüsiert.
Im Juli 1943 fuhr unsere Mutter mit uns vier Kindern von Hamburg ins Ostseebad Grömitz, wo wir für zwei Wochen einen Platz im damaligen »Heereserholungsheim« bekommen hatten. In die Ferienstimmung platzte das Telegramm unseres Mädchens mit der knappen Mitteilung »Haus ist weg Ida«. Hintergrund: Unser Zuhause war bei den heftigen Angriffen auf Hamburg am 25. Juli 1943 in Flammen aufgegangen. Hinzu kam die Sorge um unseren Vater, der schon seit Januar desselben Jahres als vermisst galt. Trotzdem ging das Leben irgendwie weiter. Wir fanden Aufnahme und Hilfe auf einem Gut in Ostholstein. Der Kontakt zu Ida Krüger aus Pohnsdorf in Mecklenburg ging leider verloren. Das Telegramm aber fanden wir im Nachlass unserer Mutter wieder.
Als ich als 18-Jähriger mit einem Freund im Sommer 1953 von Mittenwald über den Brenner nach Venedig geradelt bin, benötigten wir als Deutsche nicht nur einen Reisepass, sondern auch noch Visa für Österreich und Italien. Wie gut haben wir es heute doch mit der Freizügigkeit in Europa – nicht allein was das Reisen betrifft!
Beim Aufräumen fand ich dieses Dokument von 1936. Mein stolzer Vater hatte das Foto von mir – damals sechs Monate alt – an den Konzern geschickt. So hatte ich mir in jungen Jahren 25 Reichsmark für mein Sparbuch verdient.
In einem alten Taschenbuch hat meine Nichte beiliegende Entschuldigung aus dem Jahr 1976 gefunden. Der ungehorsame Sohn Wilhelm ist heute 52 Jahre alt und hat trotz der selbst verschuldeten Bildungslücke alle Prüfungen des Lebens gemeistert.
Mai 1986, der Urlaub stand kurz bevor. Doch das Kofferpacken mit meiner Freundin in Hamburg wurde jäh unterbrochen: Ich hatte meinen Pass zu Hause in Bremerhaven vergessen! Ein netter Kollege schickte ihn mir per Eilzustellung nach. Der Brief erreichte mich zwar noch rechtzeitig – aber erst mit der zweiten Zustellung. Der erste Versuch wurde gar nicht erst unternommen – wie vom Postboten auf der Rückseite des Briefumschlages dokumentiert: »wegen Regen nicht zugestellt, 5. 5. 20:50«. Der Grund: Neun Tage vorher hatte sich der katastrophale Unfall von Tschernobyl ereignet, und der Regen hatte begonnen, den radioaktiven Fallout aus der Atmosphäre zu waschen.
In alten Unterlagen fand sich dieser Bußgeldbescheid gegen meinen Großvater aus dem Jahr 1923 über 110 Milliarden Mark (der Löwenanteil davon für Porto und Bearbeitungsgebühren). Das Delikt: Unbefugtes Fahren mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig, immerhin mit Beleuchtung und »Klingelvorrichtung«. In der Zeit der großen Inflation, in der kaum noch etwas Bestand zu haben schien, hat sich ein Polizeiwachtmeister ganz unbeeindruckt seinem Tagesgeschäft gewidmet und sich – bis ins Kleinste – um Recht und Ordnung gekümmert. Wird er diese Akribie auch nach 1933 noch an den Tag gelegt haben? Wollen wir hoffen, dass er vorher die Pensionsgrenze erreicht hat.
Vor sechzig Jahren habe ich meinem Schulfreund Ludwig diesen Brief geschrieben, nachdem meine Eltern mit mir von Freiburg nach Villingen gezogen waren. Nachdem ich inzwischen längst wieder in Freiburg lebe, hat mir Ludwig den Brief vor einiger Zeit zurückgegeben. Noch heute nämlich sind wir echte alte Freunde. Unter den »Hosenspannis« und anderen damals üblichen erzieherischen Methoden hat mein Hang zum Schönschreiben übrigens nicht gelitten – und erst recht nicht, dass ich bislang und auch weiterhin an das Schöne glauben kann.
Als wir ein Zimmer in meinem Elternhaus renovierten, kamen die Reste einer Tapete aus den siebziger Jahren zum Vorschein. Das Zimmer hatte damals als Partyraum gedient und war mit einer Bartheke, Tütenlampen, Cocktailsesseln und eben dieser wunderbaren Tapete ausgestattet gewesen. Sie erinnert mich an viele Abende meiner Jugend: Hier habe ich mit Freundinnen zu den Klängen von Banks of the Ohio meinen Eltern einen Gruppentanz vorgeführt, die Freuden des Rumknutschens mit meinem Jugendfreund kennengelernt, einen schrecklichen 16. Geburtstag gefeiert (weil die Geschenke aus Alkoholika bestanden, deren Wirkung mir bis dahin unbekannt war) und im Kreise meiner Fachoberschulklasse darüber diskutiert, ob der damals in Pädagogikbüchern empfohlene »Liebesentzug« wirklich besser sei als Schläge. Leider ist das Motiv nicht mehr vollständig, aber die Reste hängen nun an der frisch gestrichenen Wand und machen diese Zeit wieder lebendig.
Seit Jahren versuche ich, die Familie meines Vaters ausfindig zu machen. In vielen Archiven habe ich schon geforscht, mit zahlreichen Experten gesprochen. Bisher ohne Ergebnis. Jetzt habe ich ein Foto gefunden, auf dem mein Vater vor einem markanten Kirchturm abgebildet ist. Die Aufnahme entstand sehr wahrscheinlich im Jahr 1942. Damals wurde mein Vater in einem Lazarett in Dallgow-Döberitz im Havelland behandelt, nach der Genesung war er in Südfrankreich stationiert.
Wenn ich nun wüsste, in welchem Ort dieser Kirchturm steht (oder stand?), könnte mir dies eventuell helfen, die militärische Einheit ausfindig zu machen, zu der mein Vater gehörte. Ob irgendein ZEIT-Leser diesen Kirchturm wiedererkennt?