Seit zwölf Jahren wohnen wir in Norwegen, am Sværefjord bei Balestrand zwischen 800 und 1400 Meter hohen Bergketten. Am Ostufer des Sværefjords heißt ein Gipfel der Bergkette Blåhesten – „Das blaue Pferd“. Ich fragte Anwohner, betagte und junge. Aber warum ausgerechnet dieser Gipfel (auf den Bildern der erste von links) „Das blaue Pferd“ heißt, konnte mir niemand erklären.
Im letzten Dezember gab mir meine Fotoleidenschaft die Antwort. Aus einer Bilderserie vom Sværetal lag ein winterliches Foto neben meinem Arbeitsplatz. Bei einem flüchtigen Blick erkannte ich einen Pferdekopf. Da war es, das blaue Pferd! Erst eine bestimmte Schneehöhe macht die Erscheinung des Pferdekopfes möglich, denn die Schatten in einer Schneelandschaft zeigen immer einen blauen Farbton. Das Rätsel des blauen Pferdes war durch Zufall gelöst.
Der pausbäckige Junge bin ich im Alter von fünf Jahren, wenige Tage vor dem Bombenangriff auf Dresden am 13. Februar 1945. Ich erlebte den Angriff in Dresden-Blasewitz, in der Senefelder Straße. Und ich überlebte ihn. Dabei wurde ich allerdings von meiner Familie getrennt und habe sie erst später wiedergefunden.
Am 13. Februar 2005 besuchte ich Dresden wieder, und am gleichen Ort in der Senefelder Straße, dort, wo ich sechzig Jahre zuvor durch die Flammen geirrt war, konnte ich das Foto rechts aufnehmen. Wer immer das Graffito dort hinterlassen hat: Vielen Dank! Es hat mir geholfen, einen Teil des damals erlittenen Traumas zu überwinden.
Im Jahre 1980 besuchte ich das Grab einer lieben Freundin auf dem kleinen Friedhof von Niedergandern-Hottenrode bei Göttingen. Zwar wusste ich, dass der Ort in der Nähe der deutsch-deutschen Grenze lag, jedoch blieb mir fast das Herz stehen, als ich nach einigen Schritten hügelauf zum ersten Mal diese Grenze sah. Ich spüre noch heute das Entsetzen von damals beim Anblick der unterbrochenen Straße und der Grenzbefestigung.
24 Jahre später befand ich mich wieder in dieser Gegend, besuchte wieder das Grab. Mit Spannung erklomm ich danach den Hügel und sah überglücklich die Veränderung. Ich setzte mich in mein Auto und fuhr – es war ein bewegendes Erlebnis für mich – die Straße weiter zum nächsten, nun erreichbaren Ort. Er hieß Hohengandern.
Die moderne Gehirnforschung charakterisiert die Dauer der Gegenwart zwischen zwei und drei Sekunden. Davor liegt bereits die Vergangenheit, dahinter beginnt schon die Zukunft. Von daher erscheint es reizvoll, Zeitsprünge nicht nur durch Jahre dauernde „Zeitflüge“ zu visualisieren, sondern sich auch dem kürzeren Ende der Zeitskala, sozusagen dem Augenblick, anzunähern. Dies habe ich in einer Fotoserie versucht.
Anstatt einem dieser ewig gleichen Kongress-Smalltalks beizuwohnen, verließ ich das Kongressgebäude nach hinten und ließ mich von den Straßen von Nizza, dem Wechsel der Ampelfarben, der Leuchtreklamen und anderen Zeitsprüngen faszinieren.
Mein Vater erzählt gern Geschichten aus seiner Kindheit und Jugendzeit, die er in Heiligenstadt im erzkatholischen Eichsfeld verbrachte. Unsere Vorfahren – studierte Theologen wie auch einfache Bäcker – sollen schon mit Theodor Storm, dem ehemaligen Kreisrichter, und mit Heinrich Heine verkehrt haben, der sich in Heiligenstadt taufen ließ.
Vor allem aber die Anekdoten vom bissigen Pferd, von den Missetaten der Messdiener, von der Schlägerei im Rathauskeller, von der Schulzeit mit dem inzwischen verstorbenen Erzbischof Dyba und den ersten sexuellen Erfahrungen zum Kriegsende amüsieren die Enkelkinder immer wieder aufs Neue.
Es war ein großer Wunsch von „Opa Franz“, seinen Enkelkindern seine Heimatstadt zu zeigen, in der er 1928 zur Welt kam. Im Juli 2009 traten wir die unterhaltsame Reise en famille an. Dabei entstand ein aktuelles Foto mit „Opa Franz“ auf dem Marktplatz, sitzend auf dem Neptunbrunnen. Ganz ähnlich wie auf der Postkarte von 1934 – auf der rechts im Bild der kleine Franz-Christoph in Lederbuxe steht.
Susanne von Schlichting, Berlin
Festivals sind wie Fußballspiele: Endlich darf der Mensch mal wieder anarchisch sein, primitiv und peinlich. Beim Open-Ohr-Festival verwandeln Tausende Jugendliche jährlich zu Pfingsten den Mainzer Grüngürtel in ein neues Woodstock: Es geht um Liebe und Frieden. Der Krieg wird hingegen jedes Jahr dem Boden erklärt, und bald ist im Zeltlager weniger Gras als Müll zu sehen. Dementsprechend wird der Beitrag, den die Camper bezahlen, großteils in die Renaturierung des Zeltplatzes investiert.
Und tatsächlich: Ein knappes Jahr später erzählen nur noch einige verkohlte Stellen und höchstens ein paar einsame Kronkorken von der Party des letzten Jahres.
Zweimal Ho Chi Minh City, das ehemalige Saigon. Zweimal chaotischer Verkehr, beherrscht von Motorrollern, die dicht an dicht kreuz und quer fahren – und meistens im Stau stehen. Zwei fast identische Straßenszenen also, aufgenommen im Abstand von fünf Jahren. Das erste Bild hat mein damaliger Reisebegleiter Ben Davies gemacht, das zweite stammt aus meiner eigenen Kamera.
Und irgendetwas auf den Bildern ist anders. Bloß was? Richtig: Vietnam hat die Helmpflicht eingeführt!
Wenn ich zurzeit aus meinem Fenster schaue, macht mich der Anblick richtig wütend: Wo bis vor drei Jahren noch verschiedene Bauern Kartoffeln, Rüben oder Getreide anbauten und wir Hasen, Fasane und Rebhühner beobachten konnten, wächst nun Spargel, und zwar unter Folie.
Ein Bauer hat sämtliche Felder übernommen. Und ich frage mich: Müssen wirklich ganze Landstriche unter Folie verschwinden und die ganze Gegend so hässlich aussehen, nur damit wir Verbraucher ein, zwei Wochen früher an frischen Spargel kommen? Auch wenn dadurch Lebensräume für Tiere verloren gehen? Und welche ästhetischen und gesundheitlichen Folgen haben die abgedeckten Landstriche für uns Menschen? Eines weiß ich genau: Ich esse keinen unter Folie gewachsenen Spargel. Auch keine Erdbeeren oder sonstiges Obst und Gemüse!
Als ich klein war, erzählte mir meine Großmutter so manche Geschichte aus Ostpreußen – aus dem weiten, schönen Ostpreußen ihrer Kindheit. Als damals der Krieg gekommen war, hatte die Familie aus dem Bombenhagel Berlins zurück in die Heimat flüchten müssen und dann auch von dort über zahllose Etappen in den Westen.
Vor über 20 Jahren starb meine Großmutter, und ich entdeckte in ihrem Keller einen Schatz: eine Kiste mit etwa 300 Glasplattennegativen, die Menschen und Szenen aus jenem märchenhaften Ostpreußen zeigen – und die Krieg, Flucht und 40 Jahre Keller erstaunlich gut überstanden hatten.
Es sollte jedoch weitere zwei Jahrzehnte dauern, bis ich diesen Schatz zum Leben erweckte und die Bilder vergrößerte. Dadurch wurde mir diese vergangene Welt so gegenwärtig, dass ich beschloss, 85 Jahre später ins heutige Russland zu reisen, um mir die verbliebenen Fragmente meiner Familiengeschichte zu betrachten. Dabei entstanden Bilder wie dieses.
Blitzschlag oder Sturm hatten diese uralte Schwarzerle auf einer Viehweide in Holstein vor Jahren zerstört. Zurück blieb ein halb geteilter Baum mit wenigen Zweigen an den Spitzen und einer offenen Wunde im Stamm. Dieser war unten gut eineinhalb Meter breit und drei bis vier Meter hoch, ungeschützt durch jede Rinde.
Durch Weidevieh und Witterung wurde er immer weiter reduziert, aber es bildete sich wieder Rinde; die wenigen Zweige formten sich von selbst zu einer schönen, neuen Krone. Im Lauf der Jahre wurde aus dem Baum-Torso wieder ein lebensfähiger, gut proportionierter Baum. Schon erstaunlich, wie die Natur sich regenerieren und erneuern kann!