Lesezeichen
 

Die Kritzelei der Woche

s74-kritzelei

Diese Kritzelei entstand vor gut zwei Jahren. Ich saß mit meinen Kollegen in unserem letzten Team-Meeting. Kurz zuvor hat unser Arbeitgeber – per Mail – mitgeteilt, dass rund hundert von uns Mitarbeitern nicht mehr gebraucht werden. Das kam sehr überraschend, und wir waren wütend und enttäuscht, so abserviert zu werden. ich kritzelte einen Vormittag lang nur auf meinem Block herum.

Später habe ich dann einen Arbeitsplatz bei einer anderen Bank gefunden und bin darüber sehr glücklich. Als Frau über 40 hatte ich nämlich spontan die Befürchtung, vielleicht gar keinen neuen Job mehr zu finden. Die Kritzelei habe ich aufgehoben, um mich ab und an daran zu erinnern.

Katharina-Anette Zander, Ahlen

 

Zeitsprung: Alles beim Alten

s74-zeitsprung-2010 s74-zeitsprung-2013

Üblicherweise leben die Bildpaare auf dieser Seite von Veränderungen. Hier aber hat sich kaum etwas verändert. Beide Bilder stammen aus der italienischen Provinzstadt l’Aquila, das eine vom Juni 2010, das andere aus dem vergangenen Mai. Sie zeigen ein Haus, das in der Erdbebennacht vom 9. April 2009 zerstört wurde. Damals starben 308 Menschen, fast 34 000 Bewohner von l’Aquila wurden obdachlos. Politiker versprachen einen raschen Wiederaufbau… Viele Betroffene leben heute in neu errichteten Siedlungen von einstöckigen Holzhäusern, welche sich um die umliegenden Dörfer und Städte formieren. l’Aquila gibt es nicht mehr.

Bernd Riedmüller, Aalen-Wasseralfingen

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich mitten in der Nacht wach werde und meine Frau ruhig neben mir atmet, dann freu ich mich, dass wir nach 40 Jahren Ehe immer noch zusammen sind und sich keiner von uns beiden über Nacht still und heimlich »davongemacht« hat.

Günther Schmitt, Saarbrücken

 

Was mein Leben reicher macht

Ich, Endachtzigerin, genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Terrasse. Meine Katze Mimi setzt sich auf einen Baumstamm dicht bei und – genießt mit. Aber der Wind ist doch etwas kühl, ich stehe auf und sage: »Mimi, jetzt gehen wir in den Wintergarten.« Sie erhebt sich. Ich bin wieder einmal glücklich über unsere Zweisamkeit.

Traute Range, Westerstede, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Im Spreewald in einem Kahn auf einem der unzähligen Wasserarme dahinzugleiten: hohe Bäume, Sonnenscheinglitzer, Stille, Vogelsang von allen Seiten, Wasserplätschern, und dann wieder Stille, absolute Stille, wie in einer anderen Welt.

Ulrich Viefhaus, Ostfildern

 

Pinkele und Söfele: Mein Wort-Schatz

Mein Wort ist eigentlich die Schöpfung meines Bruders. Es ging um die Dinge, mit denen Frauen – in diesem Fall meine Mutter und ich – die Wohnräume verzieren: Kerzen, Vasen, Engelchen, Windlichter und dergleichen. Er war ungefähr zehn Jahre, ich zwei Jahre älter und sehr bemüht, mein eigenes Reich zu gestalten.

Die Vielfalt auf Regalen, Tischen und Fensterbänken veranlasste ihn zu dem Ausruf: »Ihr mit euren Pinkele und Söfele!« Das Wort »Krimskrams« kannte er wohl noch nicht, und ich finde seine Kreation auch unbedingt lautmalerischer. Sie hat inzwischen einen festen Platz in unserer Familiensprache.

Beate Walter, Bühl, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Ächzend trete ich in die Pedale, die Bergaufstrecke auf dem Weg zur Arbeit ist lang und anstrengend. Da kommt mir eine Radlerin entgegen: fliegende Haare, breites Grinsen. Ich freue mich schon auf den Heimweg!

Anke Bruns, Göttingen

 

Das Fleißkärtchen

s74-wiedergefunden

Dieses Fleißkärtchen habe ich in einem alten Gebetbuch wiedergefunden. Es galt meinem Großvater, Ernst Hensler, und wurde 1889 von seinem lehrer Johann Fehrle an der Dorfschule in Rötenbach im Schwarzwald ausgestellt. Wie aus der alten Dorfchronik hervorgeht, unterrichtete dieser Lehrer damals – ganz alleine – 52 Schüler der Klasse 1 (entspricht heute der Jahrgangsstufe 1 bis 3) und 40 Schüler der Klasse 2 (heute 4 bis 8). Mein Großvater wurde 1883 geboren, war also sechs Jahre alt, als er die Auszeichnung bekam. Da mein Vater – sein Sohn – durch Krieg und Gefangenschaft lange abwesend war, wurde Opa Ernst für mich (Jahrgang 1940) zum innig geliebten Ersatzvater, als ich selbst in diesem Alter war.

Ferdinand Hensler, Verl

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einer Krebsoperation darf ich am Wochenende das Krankenhaus für einige Stunden verlassen. Mein Mann holt mich ab. Zu Hause erwarten uns unsere vier Kinder, die von überall her angereist – und wie mein Mann – total übernächtigt sind. ihren Blicken folgend, sehe ich im Eingang eine Art Mobile, aus 1.000 (!) selbst gefalteten Papierkranichen. Die Familie hat bis vier uhr morgens gebastelt, um mir, entsprechend einer japanischen legende, einen Genesungswunsch bei den Göttern zu ermöglichen.

Friederike Dechamps, Aachen