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Was mein Leben reicher macht

In der Berliner S-Bahn höre ich zu, wie sich zwei Germanistik-Studenten unterhalten: »Wie weit biste?« – »Viertes Semester!« – »Wat lest ihr denn jrade im Seminar?« – »Fontane, Effi Briest.« – »Soll furchtbar sein!« – »Schlimmer!!!«

Herbert Schüngeler, Hückelhoven-Brachelen, Nordrhein-Westfalen

 

Willkommen

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Bei meinem letzten Besuch in Österreich, meiner alten Heimat, gab mir meine Mutter diesen Brief, den sie beim Aufräumen entdeckt hatte. Einst hatte sie ihn von ihrer damaligen Heimatgemeinde zu meiner Geburt bekommen. Zum einen finde ich das Amtsösterreichisch immer wieder schön. Aber ich frage mich auch, wie sich meine Mutter damals gefühlt haben muss: Meine Eltern waren drei Jahre zuvor aus den Niederlanden nach Österreich gezogen. Heute finde ich es amüsant, weil ich selbst seit fast 25 Jahren in Deutschland lebe – immer noch mit niederländischem Pass.

Milou Tönneßen, Bornheim-Roisdorf

 

Auf die Freierei gehen: Mein Wort-Schatz

Auf einer Familienfreizeit unterhielt ich mich mit einem anderen Westpfälzer beim Abtrocknen. Wir verfielen in unsere Mundart und kamen auf Poussieren und auf die Freierei gehen. Ausdrücke, die ich früher in meiner Westpfälzer Heimat oft gehört habe, wenn es darum ging, dass irgendeiner mit irgendeiner angebandelt hat oder zwei zusammen waren. Aber »poussieren« und »auf die Freierei gehen« klingt doch schöner!

Friedrich Schmidt-Roscher, Haßloch, Pfalz

 

Was mein Leben reicher macht

Philemon und Baucis in einem Hotel: Ein älteres Ehepaar wartet auf den Fahrstuhl. Als dieser hält, ist nur noch Platz für eine Person. »Wir lassen uns nie allein«, lässt die alte Dame würdevoll vernehmen, während sich das Paar an den Händen hält. Noch nach Tagen kann ich nur mit Rührung an diese Szene zurückdenken.

Ursula Treser-Marquardt, Burgwedel

 

Postbeamter und Geldbriefträger: Mein Wort-Schatz

In meiner Kindheit gab es das schöne Wort Postbeamter. Das fiel mir ein, nachdem ich nun schon seit mehr als zwei Wochen täglich in meinen leeren Briefkasten schaue. Denn es wird ja (unbefristet) gestreikt. Was war das für eine Zeit, in der die Post noch ein Staatsunternehmen war und alles pünktlich – mitunter sogar zweimal am Tag – zugestellt wurde! Inzwischen streiken auch die Geldautomatenbefüller. Was für eine Zeit, als es noch den Geldbriefträger gab!

Manfred Geraschewski, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Der Schornsteinfeger, der jeden Morgen an mir vorbeifährt, wenn ich mit meiner Hündin spazieren gehe, und der mich seit einiger Zeit freundlich grüßt, hielt heute neben mir an, ließ die Scheibe herunter und gab mir ein kleines Schornsteinfegermännchen. Mehr Glück kann man an seinem Geburtstag gar nicht haben!

Vera Kleinert, Frohburg, Sachsen

 

Der Mohn ist aufgegangen

(nach Matthias Claudius’ Abendlied »Der Mond ist aufgegangen«)

Der Mohn ist aufgegangen,
Die großen Blüten prangen
Am Stängel rot und klar.
Das Morgenrot sich zeiget,
Und aus der Wiese steiget
Ein leichter Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille.
Des neuen Tages Fülle
Stört meine Ruh noch nicht.
Die ersten Vögel singen,
Und ihre Lieder klingen
Im dämmrig zarten Morgenlicht.

Seht ihr den Mohn dort stehen?
Er ist jetzt gut zu sehen
Und leuchtet strahlend schön:
So sind wohl manche Sachen,
Die uns viel Freude machen,
Wenn wir sie mit dem Herzen sehn.

Marijke Bonim-Hauger, Leinfelden-Echterdingen

 

Was mein Leben reicher macht

Gemeinsam mit meinem Mann Markus in das winzige Gesichtchen unserer frisch geschlüpften Tochter Mila zu schauen, ihre vielfältigen ausdrucksstarken Grimassen zu verfolgen und immer wieder zu fühlen und zu sagen: »Was für ein Wunder!«

Susanne Lypold, Bischberg, Oberfranken

 

Pfeifendeckel: Mein Wort-Schatz

»War’s schön in Rom?«, fragte ich meine Mitschülerin Elfe im Italienischkurs. »Ja, Pfeifendeckel! Es hat drei Tage lang geregnet, und der Papst war in Turin«, schimpfte sie. Ich musste lachen, weil ich den Ausdruck »Ja, Pfeifendeckel« seit meiner Kindheit nicht mehr gehört hatte. Meine Mutter hat ihn immer benutzt, wenn das Gegenteil von dem eintraf, was sie erwartet hatte. Man beachte das »Ja« am Anfang! Was Griechenland betrifft, könnte man bei jeder neuen Verhandlungsrunde antworten: »Ja, Pfeifendeckel!«

Ursula Bechtle, Besigheim-Ottmarsheim, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Früh um acht auf dem Erdbeerfeld sein. Nur hören, wie die Vögel zwitschern und die Erdbeeren in den Eimer fallen. Die Sonne auf der Haut und den leichten Wind spüren. Erdbeeren essen. Mit dem Fahrrad heimfahren, vorbei am See mit den Schwänen, am Wald und an den Getreidefeldern mit leuchtend roten Mohnblumen.

Marianne Werner, Alitzheim, Unterfranken