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Was mein Leben reicher macht

Nach einer sehr schmerzlichen Trennung erlebe ich außer Verlust überraschend auch Gewinn: Ich stehe mit meinem erwachsenen Sohn vor einem Blumenstand mit Frühblühern. »Blühfreudig und robust«, liest er vor. Und ergänzt: »Wie du, Mama!«

Jenny Wagner, Berlin

 

Wiedergefunden: Ein Bild von einem Moped

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Beim Durchwühlen einer alten Bilderkiste fiel mir ein Foto aus dem Jahr 1958 in die Hände. Es zeigt mich auf dem NSU-Moped mit dem Namen Quickly. Vor genau 60 Jahren kam dieses Zweirad auf den Markt, was in den einschlägigen Medien auch gewürdigt wurde: NSU hat über die Jahre hinweg nicht weniger als 1,5 Millionen Exemplare gebaut und mit ihnen viel Geld verdient.
An der Namensgebung übrigens war ich beteiligt. An einem Sonntagvormittag fragte mich mein Vater, der damals für die NSU-Werbung zuständig war, was wohl besser klänge: »Quick 50« oder das Adverb von quick, also quickly. Es wurde Quickly, auch weil ein y jeden Namen dekorativ schmückt.

Klaus Westrup, Bad Wimpfen, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann ist 57. Seine Fahrradleidenschaft führt so weit, dass immer mal wieder ein gerade angeschafftes Fahrrad für längere Zeit in unserem Esszimmer steht. Letztlich sitze ich morgens um sieben bei einer Tasse Kaffee, da kommt er wortlos und noch spärlich bekleidet herein, setzt sich zielstrebig aufs Fahrrad, fährt mit höchster Konzentration artistisch um den Esszimmertisch herum und stellt mit spürbarer Zufriedenheit das Rad wortlos wieder ab.

Ursula Croisier, Köln

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Freund, der mir Mut macht, als mein Computer kurz vor Ende meiner Diplomarbeit den Geist aufgibt. Und mein Vater, der trotz seines stressigen Berufs sein gesamtes Wochenende opfert, um die Ab- schlussarbeit seiner Tochter zu korrigieren. Danke, meine Männer!

Jessica Neumann, Wien, Österreich

 

Zeitsprung: Auf dem Gipfel

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Mein Urgroßvater Felix von Cube, ein Naturforscher und Bergsteiger, bestieg Anfang des letzten Jahrhunderts viele noch unberührte Gipfel im korsischen Gebirge und erstellte eine detaillierte Karte. Für seine Pioniertätigkeit dankten ihm die Korsen, indem sie einen ihrer Berge nach ihm benannten.

Im letzten Sommer nun ging für meinen Vater Thomas ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung: Wir schafften es, den 2043 Meter hohen Pic von Cube zu erklimmen. Papa ist mit seinen inzwischen 60 Jahren nicht mehr der Jüngste, und der zum Teil gefährliche Aufstieg erfordert eine gute Vorbereitung. So kamen Enkel und Urenkel erschöpft, aber auch ein wenig stolz auf dem Gipfel an. Und bei dem traumhaften Ausblick über das Gebirge bis hin zum Meer verstanden wir alle, weshalb unser weit gereister Uropa damals immer wieder aufs wildromantische Korsika zurückfand.

Charlotte von Cube, Kirchheim unter Teck

 

Aus meinem Garten

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Aufgenommen in der Karwoche: eine Biene im Blütenkelch. Nicht zu sehen sind auf diesem Foto die Schneereste zwischen den Krokussen. Und doch: Es ist so weit!

Rainer Gutsche, Nürnberg

 

Kokolores: Mein Wort-Schatz

Redete ich als Kind Unsinn, bekam ich von meiner Essener Omi prompt zu hören: »Was für ein Kokolores!« Gleiches sagte sie, wenn irgendetwas Merkwürdiges in der Zeitung stand oder wenn ihr sonst etwas nicht gefiel. Dieses zwar kraftvolle, doch nicht verletzende Wort habe ich seither aus keinem anderen Mund mehr gehört.

Katharina Markgraf, Tübingen

 

Was mein Leben reicher macht

Nach einer Wochenendreise laufe ich am Sonntagabend von der U-Bahn nach Hause. Schon aus der Ferne suche ich nach unserer neuen Wohnung. Die Küche ist hell erleuchtet. Am Fenster sehe ich eine Silhouette, ein Arm winkt mir zu – was für ein schönes Gefühl, nach jahrelanger Fernbeziehung endlich ein gemeinsames Zuhause!

Laura Jaspers, Nürnberg

 

Was mein Leben reicher macht

Das Augenblau meines Uni-Schwarmes aus den achtziger Jahren leuchtet unvermindert. Und jetzt endlich, 27 (!) Jahre später, kann ich stundenlang hineinschauen.

Stefanie Alber, Stuttgart

 

Die Kritzelei der Woche

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Diese Kritzelei entstand Anfang Januar während einer Schulung mit dem klangvollen Titel »Beschwerdemanagement«. Ich konnte mich nicht besonders gut konzentrieren, weil ich an meine Omi denken musste, die nach gut 89 Jahren ohne jedes Wehwehchen nun schon seit Wochen wegen eines Arm- und eines Beinbruchs im Krankenhaus lag. An diesem Tag war ihr 90. Geburtstag. Die Familienfeier war bereits abgesagt. Trotzdem besuchten wir sie mit Blümchen und Kuchen an ihrem Krankenbett. Neben der Freude über ihre Sprüche für alle Kinder, Enkel und Urenkel fürchteten wir schon damals, dass sie es vielleicht nicht mehr nach Hause schafft. Als sie jetzt, zweieinhalb Monate später, friedlich einschlief, klangen ihre liebevollen Ermahnungen immer noch nach.

Julie Sengelhoff, Kaarst