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Dämmerstunde: Mein Wort-Schatz

Als Kind lebte ich mit meinen Eltern in einer kleinen Wohnung in Augsburg. Wenn es im Winter früh dunkel wurde, klemmte meine Mutter spätnachmittags immer eine kleine Leselampe an unseren Küchentisch, legte einen Apfel zum Braten auf die heiße Herdplatte und löschte die Deckenbeleuchtung in unserer Wohnküche. Dann kuschelten wir uns eng aneinander auf das Sofa, das Feuer im Ofen prasselte, und meine Mutter las mir Geschichten vor. Unsere magische Dämmerstunde dauerte leider immer nur so lange, bis mein eher realistisch veranlagter Vater von der Arbeit nach Hause kam. Mit den Worten »Warum sitzt ihr denn hier im Dunkeln?« knipste er die Deckenlampe wieder an und holte uns etwas unsanft aus unserer Traumwelt in die hellgleißende Wirklichkeit zurück.

Regina Spöttl, Flensburg

 

Was mein Leben reicher macht

Zu Besuch bei meiner Freundin Marcella in Stuttgart: Von der Weihnachtsdeko im Kaufhaus inspiriert, beschließen wir spontan, Christstollen zu backen. Wenn er nun drei Wochen durchzieht, ist er genau am ersten Advent anschnittbereit!

Corinna Norrick-Rühl, Mainz-Kastel

 

Was mein Leben reicher macht

Jeden zweiten Sonntag in einem Bett mit meiner Frau und unserer inzwischen 18-jährigen mehrfachbehinderten Tochter Laura aufzuwachen und Die Winterkinder von Rolf Zuckowski zu hören (auch im Sommer) und zu erleben, wie glücklich das Laura macht. (Wegen der Therapien verbringt unsere Tochter immer zwei Wochen am Stück in einer Behinderteneinrichtung.)

Frank Ruhe, Altendiez, Rheinland-Pfalz

 

Frostig

Beim Blick in diese Straße in Sprockhövel (NRW) lief es mir kalt den Rücken runter. Hier also hat die »Kalte Welt« ihr Zuhause! Noch beim Weiterfahren mit dem Fahrrad hatten die inzwischen recht kräftigen Sonnenstrahlen erhebliche Mühe, meine Stimmung aufzuhellen. Ob es wohl irgendwo auch eine »Warme Welt« gibt?

Dieter Böttcher, Kaarst

 

Das ist mein Ding

Im Keller eines alten Bauernhauses fand ich diesen Stein: dreieckig, die Spitzen abgeschrägt, auf einer Seite glatt mit drei Vertiefungen, eine Kante deutlich abgenutzt. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Stein weckte meine Neugier. Wozu mag er wohl gut gewesen sein?

Inzwischen habe ich es herausgefunden: Er gehörte auf den Dielenboden in der Stube. Darauf stand der gusseiserne Kanonenofen, mit den drei Füßen in den Vertiefungen. Eine Kante ist abgenutzt von den vielen Schuhen, die zum Trocknen beziehungsweise Wärmen daran lehnten. Ein Ding aus einer fernen, längst vergangenen Zeit erzählt seine Geschichte – wenn man sie nur zu lesen weiß.

Niko Leiß, Tholey, Saarland

 

Lores Leid

(Nach Heinrich Heine, »Lied von der Loreley«)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin.
Ein Mädchen aus früheren Zeiten,
Das geht mir nicht aus dem Sinn.

Es ist so schön und es lächelt.
Im Spiegel find’ ich es nicht.
Der laue Wind, er fächelt
Die Sehnsucht ihr ins Gesicht.

Eine Frau seh’ ich vor mir stehn,
Mit Haaren so weiß wie der Schnee.
Mich kann ich nirgendwo sehn.
Mein Herz, es tut mir so weh.

Das Mädchen singt leise Lieder,
Von Liebe im nahenden Mai.
Am Ufer blüht prächtig der Flieder.
Ich wünschte, ich wäre dabei.

Friedhelm Kappenstein, Euskirchen (inspiriert durch die Alzheimer-Erkrankung seiner Schwiegermutter)

 

Mein Wort-Schatz

Meine Großmutter strickte früher sehr viel – oft hörte sie damit erst bei Anbruch der Dämmerung auf. Dann steckte sie die freie Nadel durch das Wollknäuel, um ihr Werk vor dem Herabfallen der Maschen zu bewahren, und verstaute das Strickzeug in einem Korb. Das war das Signal für den Beginn der Schummerstunde: Sie erzählte mir Märchen oder Geschichten von zu Hause, das heißt aus Ostpreußen.

Barbara Sonnewald, Tübingen

 

Scrabble-Notizen

Über 20 WG-Jahre lang hat mich dieses Spiel begleitet – an alle Wohnorte. Beim jüngsten Scrabble kamen die Erinnerungen hoch – dabei suchten wir nur einen freien Zettel. Als Gelegenheitsspieler waren wir alle keine Helden, hatten aber meistens viel Spaß am Küchentisch. Was Manu, Anne und Bigi machen, ist mir bekannt, wo Antje, Marion, Sandra und all die anderen stecken, würde ich zu gerne wissen. Vielleicht finde ich sie ja auf diesem Weg wieder …

Reiner Schilling, Donat, Schweiz

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Nebeltag am Ammersee auf dem verlassenen Dampfersteg in Breitbrunn. Das Wasser eine graue Spiegelfläche, die Bäume leuchten am Uferrand, die Enten ziehen ihre Bahnen. Absolute Stille.

Suzanne Jobst, Gauting bei München