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Lieber Emil,

ich weiß nicht, ob Du diese Zeilen je in Deinem Leben wirst lesen können. Du bist in unseren Armen im Sommer dieses Jahres an einem Stückchen Möhre erstickt. Dein Schutzengel war nicht da, und alles hat sich gegen Dich verschworen. Der Rettungswagen kam viel zu spät, und im Krankenhaus konnte zwar Dein Leben gerettet werden, aber Dein Gehirn hat sehr großen Schaden genommen. Ich danke Dir für die Freude, die wir mit Dir und Deinem Zwilingsbruder in den fast zwei Jahren hatten. Dein Lachen, Deinen Wagemut, Dein Liebkosen, wenn Du in meine Backe gebissen hast, weil Du nicht wusstest, wie ein richtiger Kuss geht. Ich werde Dich immer lieben und Dir all mein Lachen widmen, in der Hoffnung, Dich eines Tages auch wieder lachen zu sehen. Deine Oma.

Brigitte Bauer, Pretzfeld

 

Kritzelei der Woche


Ich habe während meines nun zu Ende gegangenen Berufsweges an zahllosen Vorträgen, Sitzungen und anderen Veranstaltungen teilgenommen, die nur durch Kritzeln zu überstehen waren. Sicher haben sich die Referenten über den aufmerksamen Zuhörer gefreut, der so eifrig mit Stift und Block zugange war. Bei der Vorbereitung des Autodafés meiner beruflichen Unterlagen ist mir auch diese Kritzelei in die Hände gefallen.

Karlheinz Hoseus, Altrip

 

Was mein Leben reicher macht

Frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit. Ungemütliches, graues Herbstwetter. Ich bemerke den missmutigen Fahrer einer kleinen Straßenkehrmaschine. Ein kleiner Junge beobachtet staunend, wie die Besen die Blätter aufwirbeln und zusammenkehren. Seine Augen leuchten, das ganze Gesicht strahlt, er lächelt
dem Fahrer zu. Dieser lächelt zurück und fährt eine kleine Extrarunde für ihn. Auch mein Tag hat etwas Sonne abbekommen.

Gabriele Wilms, Kiel

 

Behumsen: Mein Wort-Schatz

Meinen Wort-Schatz habe ich dank unserer Milchkontrolleurin wiederentdeckt. Sie kommt einmal im Monat, um für den Zuchtverband die Leistung unserer Kühe festzustellen. Unsere Unterhaltung beim Krach des Melkmaschinenmotors drehte sich um die Kartoffelernte und die Zahl der eingekochten Gläser Marmelade. Deshalb bemerkten wir nicht, dass unsere Katzen auf die Ablage mit den Milchproben sprangen und dabei beinahe den Computer zur Eingabe der Milchmengen und Probennummern hinuntergestoßen hätten. Da sagte die  Milchkontrolleurin: »Die Versicherung hätte bestimmt angenommen, wir wollten sie behumsen, wenn wir die Geschichte so gemeldet hätten.« Das Wort ist ein verniedlichender Ausdruck für einen versuchten Betrug, von früher kenne ich es aber auch im milderen Sinne von »mogeln« oder »flunkern«. Ob die Versicherung geantwortet hätte: »Sie wollen uns wohl behumsen«? Ich glaube nicht.

Sonja Hellbaum, Ostercappeln-Schwagstorf

 

Was mein Leben reicher macht

Der Brotzeitmann! Jeden Tag, pünktlich um halb zehn, besucht er meinen Arbeitsplatz im Großraumbüro. Er hat belegte Semmeln, Birchermüsli, Brezeln und andere Leckereien dabei, mit denen sich ein Tag im Büro viel leichter überstehen lässt. Außerdem hat er immer Zeit für ein Schwätzchen, mal über privates, mal über die große Welt der Wirtschaft und Politik. Mit seiner fröhlichen Art und seinem guten Essen macht er meine Tage reicher.

Johannes Glas, Jena

 

Frau Merkel stand am Eismeer

(Nach Heinrich Heine, »Das Fräulein stand am Meere«)

Frau Merkel stand am Eismeer
Und seufzte lang und bang:
»Ich sehe hier kein Eis mehr.
Wo ist das hingegang’?«

»Frau Merkel! Kein Geziere!
Das ist ein altes Stück;
Tun Sie fürs Klima das Ihre,
Dann kehrt das Eis zurück.«

Helmut Schnitzspan, Seeheim-Jugenheim

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Mann und ich schlafen tief und fest, da krabbelt unsere sechsjährige Tochter ins Bett. Wir nehmen sie in unsere Mitte, kuscheln und sagen ihr, sie müsse aber ganz still sein, damit wir wieder einschlafen könnten. Das klappt nicht, sie ist wach. Wir sagen ihr, dass es Nacht sei und wir sehr müde seien. Da fängt sie an, für uns zu singen: LaLeLu, Guten Abend, gut Nacht, Schlaf Kindlein schlaf … Als wir am nächsten Morgen aufwachen, liegt auch unsere große Tochter mit im Bett. Sie ist zwölf.

Nina Soest, Wiehl

 

Wiedergefunden: Die Tröstung

Unter den nachgelassenen Briefen des Großvaters meiner Frau fand sich auch ein dickes Kuvert, das er 1917 an der Westfront in Frankreich an einen Bekannten geschickt, aber mit dem Vermerk wiedererhalten hatte, der Empfänger sei »vermisst«. In dem Umschlag lag eine Reclam-Ausgabe von Hölderlins Hyperion mit einem Brief: »Hiermit schicke ich Ihnen ein Buch, das ich erst kürzlich gelesen habe. Es enthält Stellen von höchster Schönheit und ist geeignet, uns für Augenblicke ganz über den grauen Alltag zu erheben. Mich hat es wunderbar getröstet in Stunden, wo mir alles wieder zerbrochen schien. Man muß es immer bei sich haben, um jederzeit darin lesen zu können. « Da sage einer, Literatur sei keine Lebenshilfe!
Peter Thrul, Marxheim

 

Zeitsprung

1949

2009

Die Rubrik Zeitsprung auf Ihrer Seite ZEIT der Leser rührt uns jedes Mal an. In der Fotoschublade meines Mannes schlummert seit Jahren eines seiner schönsten Familienbilder: die vier Geschwister Wolfgang, Christa, Klaus und Mechthild, wie aufgefädelt auf der Treppe des elterlichen Pfarrhauses. Das Foto stammt aus dem Jahr 1949. Die Geschwister sind seit Jahren in Schweden, Norwegen, Bremen verstreut. Aber jedes Jahr treffen sie sich mindestens einmal, dazwischen wird oft telefoniert, gemailt und geskypt. Familiengeschichten werden erzählt und ausgetauscht, die Erinnerung an alte Zeiten aufgefrischt. Und jedes Mal, wenn sich die Geschwister treffen, stellen sie als kleines Ritual das alte Foto nach. Ein Riesenspaß, auf den sich alle vier immer enorm freuen. Eines der schönsten Bilder mit den inzwischen ergrauten Mädchen und Jungs stammt aus dem vorletzten Herbst.

Bärbel Hartlieb, Baden-Baden