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Was mein Leben reicher macht

In meiner Gasse sitzen drei Jugendliche mit dem viel zitierten Migrationshintergrund mitten auf dem abendlich warmen Gehsteig. Einer spielt den anderen laut quäkende Musik von seinem Handy vor und erläutert dazu gestenreich. Als ich näher komme, erkenne ich die Melodie: Beethovens Fünfte.

Matthias Aufschnaiter, Wien

 

Was mein Leben reicher macht

Das schwerstbehinderte Mädchen, das am Ende unserer Straße wohnt, malt wunderschöne Bilder mit Straßenkreide – vermutlich wäre Keith Haring neidisch darauf gewesen. Jeder Regen wischt sie weg. Und an jedem Sonnentag sitzt das Mädchen wieder dort und malt. Wenn ich an ihr vorbeijogge, nehme ich die Bilder in Gedanken mit auf die Laufstrecke. Manchmal lächelt sie mich sogar an.

Maike Jürgensen, Hannover

 

Kritzelei der Woche

Beim Stöbern in Unterlagen fiel mir eine ältere Kritzelei in die Hände. Sie entstand während meines Zivildienstes. Für mich bot dieses Jahr neben der sozialen Tätigkeit die Möglichkeit, über Dinge zu reflektieren oder einfach mal ein wenig zu träumen. Ich denke, dass sich die Rückbesinnung auf mich selber – für die mir heute so oft die Zeit fehlt – in meiner Kritzelei gut widerspiegelt. Manchmal frage ich mich, wann die junge Generation, die vom Abitur zum Bachelor hetzt, dazu kommen soll zu reflektieren … oder wenigstens zu kritzeln.

Alexander Schnurr, Dortmund

 

Was mein Leben reicher macht

Vier Tage Hurricane-Festival. Mit den besten Freunden zelten, trinken, tanzen, lachen und natürlich rock ’ n’ rollen. Am Montag zurück in der Zivilisation. Man sucht nach Gleichgesinnten – Kennzeichen: das blaue Festival-Armband – und grinst sich schelmisch zu.

Matthias Sye, Kiel

 

Was mein Leben reicher macht

Mit meinem sechsjährigen Sohn im Zeitalter von Nintendo und Computer in unserer Ferienwohnung abends Kniffel zu spielen … und er schreibt die Punkte auf.

Susanne Sellak, zzt. Binz/Rügen

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Schöne neue Welt

(nach Novalis, »Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren«

aus »Heinrich von Ofterdingen«)

Wenn nicht mehr Maus und Tastaturen
Sind Schlüssel aller Signaturen,
Und wenn wir, wollen wir was wissen,
Nur in ein Headset sprechen müssen,

Wenn das Programm und seine Fibel
Sind wirklich nutzerkompatibel,
Und auch die Hilfe, die man rief,
Kommt schnell und kontextsensitiv,

Dann bleibt, dank kluger Algorithmen,
Viel Zeit, um sich der Kunst zu widmen.
Wo wir dann wandeln, traumverloren –
Ein Dank den Administratoren!

Und wo das »Read me« redundant,
Und selbst der Android charmant,
Da fliegt mit einem geheimen Klick
Die ganze Welt auf einen Stick.

Barbara Messing, Wuppertal

 

Was mein Leben reicher macht

Jeden Sommer aufs Neue begeistert mich der Inhaber unserer Eisdiele mit seiner liebevoll durchdachten Art, das Eis zum Mitnehmen zu verpacken. Auch wenn die Eisbecher auf dem Beifahrersitz Kilometer über Land gefahren wurden, ist nichts ausgelaufen und die Sahne noch genauso appetitlich in Form wie gerade eben aufgesprüht.

Sabine Gems, Weilmünster, Taunus

 

Was mein Leben reicher macht

Der alte, feingesichtige indische Herr, der gelegentlich eine Station vor mir aus dem Bus steigt, seine Tüten abstellt, meine Augen sucht und seine Hände vor der Stirn faltet und mich grü.t: »Namaste – ich grü.e das Licht in dir …«

Ulrich Imming, Stuttgart

 

65 Jahre DIE ZEIT

Die ZEIT-Leserin Elfie Grünbichler aus Hamburg verpackte ihren Wunsch in ein wunderbares Gedicht voller kühner Reime und lud die KinderZEIT in die Katholische Grundschule St. Antonius in Hamburg-Winterhude ein. Die Redakteurinnen Katrin Hörnlein und Magdalena Hamm besuchten die Klasse 4b. Sie erzählten von ihrer Arbeit – wie man für Artikel recherchiert, wer sich die Themen ausdenkt, woher die Bilder kommen.

V. l.: Magdalena Hamm und Katrin Hörnlein

Im Gegenzug fragten sie die Schüler nach Wünschen, Interessen und Ideen. „Ich würde gerne wissen, warum das Wasser flüssig ist“, fragte Schülerin Isabell. Ihre Klassenkameradin Helene wünscht sich Berichte über Pferde, Haustiere, Franz möchte mehr über Libyen und China erfahren, andere etwas über Sport und Musikinstrumente.

Zwei Schülerinnen lesen in der Pause die KinderZEIT

Zum Abschluss zeigten drei der Jungs aus der Klasse ihre Version von „Monsta“, dem Hit von Culcha Candela. „Der Besuch war spannend“, resümierte Lea-Francesca. Und Charlien fand  „toll, dass viel über die Zeitung gesprochen wurde, und dass wir was über uns erzählen konnten“. Dieser Meinung war auch Hedda: „Ich mag, dass Sie sich um uns kümmern, und dass echte Redakteure bei uns waren.“

Klasse 4b der Grundschule St. Antonius in Hamburg-Winterhude

 

Nomen est Omen

Ich sammle Namen – seit 35 Jahren. Angefangen hat das mit einem Kinderarzt namens Dr. Bub, dem sich die Hautärzte Dr. Richard Pickelmann und Dr. Pilz, der HNO-Spezialist Dr. Vollnhals und der Strahlentherapeut Dr. Krebs hinzugesellten, die für ihre Patienten hoffentlich nie den Bestattungsdienst Philipp Leicher werden in Anspruch nehmen müssen.

Was hätten Josef Beeren, Katja Garofani (deutsch: Frau Nelken), Josephine Knospe, Herr Eichenlaub, der Niederländer F. Clematis und die Französin Annie Salat gemacht, wenn sie nicht Gärtner geworden wären? Möglicherweise treffen sie sich ab und zu mit dem Gartengestalter Enzio Giardino und dem Landschaftsökologen Hans Goldammer. Auch Pierre Poivre, der Nelkenbaumsetzlinge nach Europa schmuggelte, würde sich in ihrer Runde vermutlich wohl fühlen. Für unser Wohl sorgen Bianca Hopf als Chefin einer Weißbierbrauerei, in einem Münchner Hotel der Küchenchef Ansgar Schlemmer und auf dem Münchner Olympiaturm Otto Koch unter Aufsicht des Lebensmittelüberwachers Wurmseher und des Ernährungswissenschaftlers Hans Kalbfleisch.

Überhaupt die Wissenschaft! Dass Alexander Unterwasser Wasserforscher werden musste – klar. Sein Schweizer Kollege Schneebeli ist Schneeforscher, Frau Prof. Ewigleben schürft als Archäologin in der Vergangenheit. Und welcher Wissenschaftler trüge nicht gern den Namen des Botanikers Johnny Lovewisdom? Martin Green als Photovoltaikfachmann hat vielleicht gemeinsame Interessen mit Martin Grüner vom Bundesministerium für Umwelt. Radiomoderator John Records Landecker legt Platten auf. A. Nothnagel, Gabriele Pace und Uwe Seelmann kümmern sich um unser Seelenheil. Sollte finanziell was schieflaufen, kämpft Herr Ralf Steuer mit dem Finanzamt um unsere Groschen, und Peter Filzmaier beschäftigt sich als Politikwissenschaftler mit Geben und Nehmen. Und falls Chris Moneymaker und Jamie Gold, die beide im Poker Millionensummen gewonnen haben, überfallen werden, rufen sie einfach den Chef der US-Bundespolizei an – der heißt: John Pistole!

Bärbel Rott, Freising