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Was mein Leben reicher macht

Als Feuerwehrmann komme ich zu einem Zimmerbrand in voller Ausdehnung. Flammen schlagen aus dem Fenster, die gesamte Straße ist dicht verqualmt. Am Fenster über der brennenden Wohnung steht ein Mann und schreit um Hilfe. Ich fahre mit der Drehleiter zu ihm, er springt in den Drehleiterkorb, ich bringe ihn sicher zu Boden. Als er aussteigt, sagt er: »Danke, Feuerwehrmann!«

Gregor Thiehoff, Oer-Erkenschwick

 

Zeitsprung: Wessi, Ossi

Meine Eltern besuchten im September 1991 Freunde in Sachsen. Wegen der Mauer hatten sie sich nur schwer treffen können; jetzt wollten sie die neue Reisefreiheit nutzen. Auf dem Rücken meines Vaters war ich auch dabei, und als ich damals als importierter Wessi von der Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz auf die Elbe blickte, war mir noch nicht klar, dass ich genau 20 Jahre später an derselben Stelle stehen sollte. Diesmal allerdings als echter Ossi. Inzwischen nämlich studiere ich in Sachsen. So kam ich im September 2011 während einer Radtour nach Tschechien mit meiner Freundin wieder auf die Bastei. Als ich später meine Eltern in Bayern besuchte und ihnen meine Fotos zeigte, kramte meine Mutter das Kinder-Fotoalbum hervor und fand prompt das alte Bild.
Interessant ist auch der abgebrochene Felsen im Hintergrund: Der Zahn der Zeit nagt am Elbsandstein. Ebenso am Haar meines Vaters, was man allerdings beim Vergleich der Bilder nicht sehen kann. Vielleicht ist das auch ganz gut so.

Justus Ehras, Freiberg, Sachsen

 

Bärbel

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Im Jahr 1990, kurz nach dem Fall der Mauer, fand in meiner Heimat- und Geburtsstadt Merseburg an der Saale ein Klassentreffen statt. Nach 45 Jahren meine Heimat, mein Elternhaus, meine alte Schule und ehemalige Schulkameraden wiederzusehen – das allein war überwältigend. Einige Klassenkameraden waren in den letzten Kriegstagen gefallen, eine Klassenkameradin hatte ein Bein verloren und ging an Krücken. Wir, die Übriggebliebenen, fielen uns weinend in die Arme. Dass ich auch meine Puppe Bärbel wiedersehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet.

Zusammen mit meinem Mann ging ich noch einmal alte Schulwege ab, kam in die Straße, in der wir gewohnt hatten, besah unser Haus von außen, in dem nun andere Leute wohnten. Dann wollte ich eine Nachbarin und Freundin meiner Mutter besuchen, die unterdessen über 80 Jahre alt sein musste. Ich fragte mich, ob sie wohl noch hier wohnen würde. Ich läutete an der Haustür. Sie war offen, und ein paar Stufen über mir stand auf dem Treppenpodest Frau Martha Treu. Nomen est omen! Sie erkannte mich nach 45 Jahren sofort und sagte: »Doris, ich wusste immer, dass du mich einmal besuchen wirst. Ich habe dir deine Puppe aufgehoben.« Und da saß meine Bärbel – auf dem Plüschsofa in einem niedlichen Kleidchen, das meine mütterliche Freundin gehäkelt hatte. Glücklich schloss ich Bärbel in meine Arme. Auf dem Bild bin ich mit ihr zu sehen.

Als ich wieder zu Hause war, schrieb mir Martha Treu, wie glücklich sie gewesen sei, dass sie mir meine Puppe persönlich hatte geben können. Mein Antwortbrief an sie aber kam mit einem lapidaren Vermerk des Postboten zurück: »Empfänger verstorben«.

Doris Meyer-Hahnen, Jever, Niedersachsen

 

Kochkiste: Mein Wort-Schatz

Vor Kurzem bin ich beim Lesen auf das Wort Kochkiste gestoßen. Das erinnerte mich an meine Kindheit in der DDR und an die Zeit, in der Brennmaterial knapp war. Unsere Kochkiste war allerdings ein Bett, in das unser Essen zum Warmhalten oder Nachgaren gestellt wurde. Meine Mutter wickelte den Topf in eine Wolldecke und deckte ihn dann mit dem Oberbett zu. So blieb das Essen warm, bis wir aus der Schule kamen.

Katja Neuendorf, Habichtswald, Hessen

 

Zeitsprung: So viele Züge

Der Bahnhof von Ansbach hat für meine Familie eine besondere Bedeutung. Hier nahm mein Großvater Anfang August 1961 Abschied von seinem Vater, den er nach dem Mauerbau nicht mehr wiedersehen sollte. Erst 20 Jahre später konnten meine Großeltern wieder hin und wieder die Verwandtschaft in Ansbach besuchen. Das linke Bild zeigt die Großeltern vor der Rückfahrt in die DDR 1987 – einer von vielen Abschieden am Bahnsteig.

Die fernen Verwandten im »anderen Deutschland« und der Herbst 1989, als mich meine Mutter an ihrer Hand mit auf die Demonstrationen nahm, sind prägende Erinnerungen an meine Kindheit. Kürzlich haben Freunde meine Frau Maria und mich zu ihrer Hochzeit nach Franken eingeladen, heutzutage ein ganz normaler Ausflug. Am Ansbacher Bahnsteig erinnert nichts mehr an die Abschiede in der Zeit der deutschen Teilung.

Thomas Karlas, Leipzig

 

Was mein Leben reicher macht

Vor vier Jahren haben wir sie bei einem Glas Wein im Hinterhaus kennengelernt: unsere Nachbarn. Seitdem gab es kaum einen Tatort, den wir nicht zusammen geguckt, keinen Kuchen, den wir nicht zusammen gegessen, und keine Grippe, mit der wir uns nicht gegenseitig angesteckt hätten. Wir sind Paten und Trauzeugen geworden. Jetzt ist die erste von ihnen ausgezogen, um zurück nach Hannover zu gehen. Und auch wenn wir gerade den »Blues« haben: Reich bleiben wir trotzdem.

Johanna und Martin Bastian, Berlin

 

Eiskalt

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Ob wohl ein Zeitsprung diesen magisch-beklemmenden Ort jemals aus seinem Gefrierzustand erlösen wird? Gesehen im September 2014 in Bad Langensalza, Thüringen.

Barbara und Lutz Lange, Baden-Baden

 

Das ist nicht meine Strecke: Mein Wort-Schatz

Einem Gast aus den neuen Bundesländern boten wir eine bei uns beliebte Speise an. Ihm schmeckte sie jedoch nicht. »Das ist nicht meine Strecke«, sagte er. Dieselbe Redewendung hatte ich schon wiederholt von Bekannten gehört, die die DDR-Zeiten durchlebt haben. Wie mag sie entstanden sein? Der Duden kennt sie nicht. Stammt sie von einem Hundertmeterläufer, der diese Strecke, aber nicht 3000 Meter trainiert hat? Oder ist es die Jagdbeute, die ein Nimrod zur Strecke gebracht hat? Die Bezeichnung »Strecke« gibt es aber auch im Bergbau.

Wilfried Hammer, Braunschweig

 

Was mein Leben reicher macht

Im Pendlerzug. Zwei Männer, wohl Arbeitskollegen, unterhalten sich, der etwa neunjährige Sohn des einen hört zu: »Die Bewerbungsphase ist abgeschlossen. Es hat sich auch ein Ossi beworben.« Der Sohn sofort mit fragendem Blick zum Vater: »Papa, was ist ein Ossi?«

Maximilian Fritsch, Regensburg