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Lied von der Maut

(Nach Heinrich Heine, »Lied von der Loreley«)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Eine Nachricht aus diesen Zeiten
Die geht mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist dick, und es regnet,
Und holprig fließt der Verkehr.
Und wer sich darin begegnet,
Der lächelt schon lange nicht mehr.

Die Straßen sind schlecht und die Brücken.
Und ständig steht man im Stau.
Es gibt mehr Wagen als Lücken
Zumal bei Straßen im Bau.

Die Fahrer in ihren Autos
Sind viel Kummer gewöhnt.
Sie ärgern sich nur noch lautlos,
Als es im Radio tönt:

»Die Maut wird Besserung bringen
Und sie ist kostenlos!«
Die Fahrer beginnen zu singen
Vor Freude, fassungslos.

Sie lassen das Steuer fahren,
Sie stellen das Radio laut.
Und bums! sind sie aufgefahren
Und das nur wegen der Maut!

Johannes Kettlack, Heek, Nordrhein-Westfalen

 

Was mein Leben reicher macht

Die alljährlichen Orgeltage im Dom zu Merseburg, meiner früheren Heimatstadt. Musik, die Herz und Seele aufschließt, das Wiedererkennen von Gesichtern. Und die Erinnerung an eine glückliche Jugend, in der diese Orgel bereits einen Platz hatte.

Thomas Drescher, Mansfeld, Sachsen-Anhalt

 

Verplempern: Mein Wort-Schatz

In Zeiten der Rezession gilt es als unverzeihlich, seine Zeit zu verplempern. Immer wieder wird man daran erinnert, wie wichtig es wäre, optimal Nützliches zu tun. Dabei vergisst man, dass vergeudete Zeit, in der man jemandem geduldig zuhört und ihn ermuntert oder, auf einer Wiese liegend, den Himmel betrachtet, sehr viel ertragreicher ist, als an einer verbogenen Schraube zu drehen.

Eva Schwarz, Berlin

 

Mauergedicht

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Auf diese DDR-Papiertüte hat meine Mutter, Herlinde Todt, als junge Frau ihre Gedanken zum Mauerbau gekritzelt. Ihre beste Freundin studierte in den sechziger Jahren Medizin und arbeitete während der Semesterferien an der Berliner Charité. Meine Mutter besuchte sie manchmal dort. Bei einem dieser Treffen erzählte ihr die Freundin, Erika, dass sie vom Fenster des in unmittelbarer Nähe der Mauer gelegenen Krankenhauses beobachtet habe, wie ein Flüchtling erschossen wurde. Auf der Heimfahrt nach Köthen versuchte meine Mutter, das Unmenschliche in Worte zu fassen – und hatte offenbar nur diese Tüte zur Hand.
Erika versuchte später selbst, mit ihrem westdeutschen Freund über Bulgarien in den Westen zu fliehen. Die Flucht misslang. Erika kam ins Gefängnis und verließ es als gebrochene Frau. Auch meine Mutter hat gegen den Unrechtsstaat DDR rebelliert und wurde 1968 – weil sie gegen den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei war – vom Lehrerstudium exmatrikuliert.
Die Freundinnen haben sich leider nie wieder gesehen, denn wenige Jahre, nachdem Erika aus der Haft entlassen und in den Westen abgeschoben worden war, nahm sie sich das Leben. Vermutlich hat meine Mutter die alte Tüte mit dem Mauergedicht deshalb so lange aufgehoben.

Die Stadt der Mauer
Wer kennt sie nicht
Und ihre Erbauer (…)
mit dem Friedensgesicht!
Ein Schutz der Freiheit,
die keine ist!
Mit welcher Gemeinheit
man Menschen erschießt.
Dann lässt man sie liegen,
verbluten im Sand.
Doch nie wird der siegen,
der mißbraucht seine Hand.
Das Wagnis zu fliehen
ist unheimlich groß,
wenn vergebens das Mühen
(droht) ein (…) bitteres Los.
Wie sinnlos das Streben
wenn man bedenkt,
was getan wird für das Leben,
das eine Mutter schenkt.

Anja Sabel, Osnabrück

 

Zeitsprung: Das Salettl

Manches alte Haus kann nur noch ein Freilichtmuseum retten. Für das Salettl von Passau-Mariahilf, 1881 an der frequentierten Straße nach Schärding errichtet, schien nach 129 Jahren das Ende gekommen. Ein Stützgerüst bewahrte es gerade noch vor dem Einsturz.
Getrunken und getanzt wurde in diesem lichten Sommer-Tanzsaal zuletzt im Kriegsjahr 1915. Als die benachbarte Schule 1918 zum Lazarett wurde, verlegte man den Unterricht in den Tanzsaal. 1924 zog eine Autolackiererei ein, die 1976 schließen musste. Zuletzt diente das Gebäude dem zugehörigen Wirtshaus noch als Brennholzschuppen. Dann stand das Salettl – so werden in Bayern dergleichen Sommerbauten genannt – jahrzehntelang leer und verfiel.

Von der bayerisch-österreichischen Grenze ist es nun an die bayerisch-böhmische Grenze gewandert: Die Zimmerer des Freilichtmuseums Finsterau haben Balken für Balken abgetragen, kaputte Bauteile ersetzt und am neuen Ort alles wieder aufgebaut. Ein Wirtshaus samt Biergarten mit hochgewachsenen Linden gab es da schon, direkt daneben steht jetzt das Salettl. Die kunstvoll maserierten Türen wurden restauriert, ein Kirchenmaler hat die reiche Farbfassung an den Wänden und Balken erneuert.

Seit ein paar Monaten wird wieder gefeiert im Salettl von Passau-Mariahilf.

Martin Ortmeier, Finsterau im Bayerischen Wald

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Bekannter von mir, der eine Haftstrafe verbüßt, schreibt mir: »Jeden Abend, wenn ich vor dem Schlafengehen bete, nenne ich auch Deinen Namen.«

Wolf Warncke, Tarmstedt, Niedersachsen

 

Dreschflegel & Scheunendrescher: Mein Wort-Schatz

Dreschflegelund Scheunendrescher! Bei Ersterem handelt es sich nicht um einen ungezogenen, gewalttätigen Menschen, sondern um ein Arbeitsgerät, mit dem früher das Getreide gedroschen wurde. Das Dreschen mit dem Dreschflegel war eine körperlich harte Arbeit, bei der in der Scheune die Körner aus den Getreide- ähren herausgedroschen wurden. Diese Arbeit übernimmt heute auf den Getreidefeldern der Mähdrescher. Die Männer – Scheunendrescher genannt –, die damals diese schwere Arbeit ausübten, waren gestandene Mannsbilder, mit einem ungeheuren Durst und großem Appetit. Noch heute sagt man auf dem Land über einen, der viel essen und trinken kann, er esse und trinke wie ein Scheunendrescher.

Wolfgang Kamp, Wöllstein, Rheinland-Pfalz

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Spruch von Wolfgang Neuss: »Heut mach ich mir kein Abendbrot. Heut mach ich mir Gedanken!« Fürs leiblich-diätetische Wohl sehr sinnvoll und fürs mentale allemal, hab ich mir diese Weisheit für meine Küche gerahmt.

Christa Horlitz, Göttingen

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Spruch von Wolfgang Neuss: »Heut mach ich mir kein Abendbrot. Heut mach ich mir Gedanken!« Fürs leiblich-diätetische Wohl sehr sinnvoll und fürs mentale allemal, hab ich mir diese Weisheit für meine Küche gerahmt.

Christa Horlitz, Göttingen