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Das Flügelflattern in der Union und seine Folgen

 

Wahlprogramme gelten als die Zusammenstellung der programmatischen Vorstellungen einer Partei für die folgende Legislaturperiode. Auf die darin formulierten Politikziele haben sich die Parteiführungsgremien unter Einbeziehung aller relevanten innerparteilichen Gruppen in Form von Kompromissen geeinigt, die dann von einem Parteitag in der Regel problemlos abgesegnet werden.

Die CDU tut sich in der Formulierung ihres Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2009, das sie wohl wieder mit der CSU gemeinsam verfassen wird (es gab bislang nur vier Bundestagswahlen, bei denen CDU und CSU mit getrennten Programmen zur Bundestagswahl angetreten sind), überraschend schwer. Dies mag einerseits an den schwachen Umfragewerten für die Partei liegen, der zurzeit ein ähnlich (schlechtes) Ergebnis wie zur letzten Wahl 2005 von um die 35% vorhergesagt wird. Es kann aber auch andererseits mit den Konflikten innerhalb der Christdemokraten zu tun haben, die sich ja bekanntlich nicht über den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in Form des Einstiegs des Staates bei Banken und Konzernen sowie Schulden in die Höhe treibenden Konjunkturpakten einig sind. Auch in gesellschaftspolitischen Fragen werden alte Gräben innerhalb der Union durch die – aus Sicht des konservativen Parteiflügels – zu liberale Politik wieder aufgerissen: so wird die Familienpolitik von Ministerin Ursula von der Leyen schon lange innerparteilich kritisch beäugt und die Papst-Kritik der Kanzlerin hat den auf traditionelle Werte setzenden Flügel noch weiter in Beunruhigung versetzt.

Wie weit die Vorstellungen innerhalb der CDU auseinanderklaffen macht eine Analyse der Präferenzen der beiden maßgeblichen wirtschafts- und sozialpolitischen innerparteilichen Organisationen der Union – der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und der Mittelstandsvereinigung (MIT) – deutlich. Bezieht man ihre zuletzt formulierten grundlegenden Programme – im Fall der MIT sind dies die „Kölner Leitsätze“ von 2003 und ihre Fortschreibung aus dem Jahr 2004, für die CDA werden die „Hannoveraner Leitsätze“ von 2008 herangezogen – in die Analyse der Bundestagswahlprogramme mit ein, dann ergibt sich ein deutlicher Gegensatz in den programmatischen Vorstellungen dieser beiden innerparteilichen Gruppen. Auf einer explizit die wirtschaftspolitischen Vorstellungen widerspiegelnden Achse, die zwischen „mehr staatliche Leistungen bei höheren Steuern“ und „weniger staatlichen Leistungen bei niedrigen Steuern“ unterscheidet, kommt die CDA auf einen Wert von 11,8 und die MIT auf eine Position von 20,3 (höhere Werte geben eine wirtschaftsliberale Position an, während niedrige Werte für einen starken Wohlfahrtsstaat stehen). Zur Einordnung dieser Werte eignen sich Angaben zu den ermittelten wirtschaftspolitischen Positionen der bislang vorliegenden Wahlprogramme von SPD, FDP und der „Linken“ zur Bundestagswahl 2009: der Programmentwurf der Sozialdemokraten erhält eine Position von 7,1, der der Liberalen von 18,0 und der der Linken einen – überraschend moderaten – Wert von 6,1 auf dieser sozioökonomischen Achse.

Diese hohe Divergenz in den wirtschafts- und sozialpolitischen Zielvorstellungen innerhalb der Union macht nicht nur deutlich, warum es zu schwierigen Verhandlungen über die letztendliche Form des Wahlprogramms kommt, sondern auch, dass es bei einem Weiterregieren von Angela Merkel und CDU/CSU nach den September-Wahlen weiterhin Konflikte um den wirtschaftspolitischen Kurs innerhalb der Christdemokraten wie auch der künftigen Koalitionsregierung geben wird. Sollte die Union mit der FDP koalieren, dann würde dies der Mittelstandsvereinigung und damit den wirtschaftsliberalen Flügel in der Union stärken. Die Chancen, einen klaren marktliberalen Kurs in der Wirtschaftspolitik umzusetzen, würden massiv anwachsen, jedoch nicht gerade auf wohlwollende Unterstützung seitens der CDA stoßen. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn die große Koalition mit der SPD fortgesetzt werden würde (oder vielmehr: müsste): die CDU-Sozialausschüsse könnten unter Verweis auf die wirtschaftspolitische Position der SPD ihre moderaten ökonomischen Vorstellungen in der Koalitionsregierung besser durchsetzen. Es bleibt somit nicht nur für die Regierungsbildung und die künftige Politikgestaltung der nächsten Bundesregierung spannend, wie die endgültige Version des CDU/CSU-Wahlprogramms aussieht, sondern auch, wie sich die innerparteilichen Gruppen der Union in der künftigen Koalitionsregierung durchsetzen können. Je nach Couleur der nächsten Regierungskoalition wird auf jeden Fall eine der beiden wirtschaftspolitischen innerparteilichen Gruppen Probleme mit dem Kurs des neuen Regierungsbündnisses haben – sei es die CDA in einer bürgerlichen Koalition oder die MIT in einer Neuauflage der großen Koalition.