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Die Sache mit den Blumen

 

Ein Gastbeitrag von Katharina Schuler

Dass Bundespräsidentenwahlen auch für den Bundestagspräsidenten eine Herausforderung sind, weiß man spätestens seit 2004. Damals war es Wolfgang Thierse (SPD), der – zur großen Empörung der Union – patzte. Thierse vergaß unter anderem, dem frisch gewählten Horst Köhler das Wort zu erteilen und wollte stattdessen sofort zur Nationalhymne übergehen. Erst das entsetzte Gesicht von Edmund Stoiber habe ihm verdeutlicht, dass er etwas vergessen hatte, war hinterher zu lesen.

Diesmal nun die Sachen mit den zu früh reingetragenen Blumen und dem Bläserquintett, die die Verkündung des Ergebnisses vorwegnahmen. Ist CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert in Protokollfragen also kein bisschen sattelfester als der stets etwas schluffig wirkende Bartträger Thierse?

Diesen Eindruck wollen Lammert und seine Getreuen freilich nicht auf sich sitzen lassen. An der Panne sei keinesfalls der Bundestagspräsident schuld, sagte ein Sprecher Lammerts ZEIT ONLINE. Schuld sei vielmehr die SPD. Schließlich habe Fraktionschef Peter Struck schon um 14:12 Uhr – also bevor Bläser und Blumen auftraten – Gesine Schwan auf die Schulter geklopft. Na, und da sei doch eigentlich schon alles klar gewesen, oder etwa nicht?

Auch Lammert selbst hat eine interessante Version der Geschichte beizutragen. Demnach hätte alles auch noch viel schlimmer kommen können. Köhler habe die Verkündung des Ergebnisses nämlich im Plenarsaal entgegennehmen wollen. Das wiederum habe Lammert ihm ausreden können. „Herr Präsident“, habe er ihm zu bedenken gegeben. „Wenn Sie da einfach in den Plenarsaal hineinlaufen, bevor das Ergebnis bekannt ist, dann können sie es auch gleich selbst vorlesen“. Köhler erwies sich als einsichtig und nahm von seinem Plan Abstand.

An der Sache mit den Blumen, so Lammert, seien aber nun wirklich die Fraktionen schuld. Er selbst habe keinen einzigen Blumenstrauß bestellt, folglich also auch keinen vorzeitig reintragen lassen.

Und nun zum Bläserquintett: Dieses habe sich, so Lammert, „im wörtlichen Sinne hinter meinem Rücken“ in den Saal begeben, während er vor dem Reichstag auf den ausbleibenden Präsidenten wartete. Die unmittelbare Verantwortung trägt offenbar ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, der einmal zu häufig durch selbständiges Denken auffiel. Dieser nämlich haben den Musikern nahegelegt, sie sollten schon jetzt in den Saal gehen. Wenn nämlich der Herr Bundestagspräsident erstmal mit der Verlesung des Ergebnisses begonnen hätte, könnten sie schließlich da nicht reinmarschieren und ihre Instrumente auspacken.

Dass wiederum die Ankunft des Präsidenten so lange auf sich warten ließ, dass drinnen die Abgeordneten von SPD und Grünen schon ungeduldig zu klatschen anfingen, ganz als wollten sie den Auftritt einer Popband beschleunigen, ist laut Lammert ein Ausweis für den demokratischen Charakter unseres Staates. Hier werde eben nicht die halbe Stadt lahm gelegt, bloß weil ein frisch gekürter Präsident die Wahl annehmen möchte. Und sich an einem Volksfesttag vom Schloss Bellevue mit dem Auto zum Reichstag zu quälen, das dauere eben…

Bleibt ein letztes ungelöstes Rätsel: Warum fuhr Köhler nach der Eröffnung überhaupt zurück ins Schloss Bellevue statt im Reichstag im eigens für ihn vorbereiteten Raum zu warten? Darauf gibt auch die minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die Lammerts Leute mittlerweile vorgenommen haben,  noch keine Antwort. Aber vielleicht findet es der Ältestenrat heraus, der sich demnächst mit der Problematik befassen muss. Und vielleicht sollte man den Bundespräsidenten in Zukunft zwar nicht direkt wählen – wie Köhler das nun gefordert hat – aber dafür einfach öfter? Dann hätten jedenfalls alle Beteiligten etwas mehr Gelegenheit zum Üben.