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Das letzte Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2009: Die Union rutscht in die Mitte

 

CDU und CSU als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien haben heute ihr Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl vorgelegt und damit der Wählerschaft als auch ihren parteipolitischen Mitbewerbern ihre inhaltlichen Vorstellungen für die nächste, bis 2013 reichende Legislaturperiode offeriert. Die Debatte um Forderungen innerhalb der CDU nach Steuererhöhungen wurden offenbar in der am 28. Juni veröffentlichten finalen Version des Regierungsprogramms nicht aufgenommen. So heißt es in Kapitel I.1 („Verantwortungsbewusste Steuerpolitik für Leistungsgerechtigkeit“) des CDU/CSU-Wahlprogramms, dass Steuererhöhungen abgelehnt werden. Diese Aussage mag nicht nur aufgrund des entschiedenen Widerstandes gegenüber Steuererhöhungen seitens der CSU in das Programm eingefügt worden sein, sondern auch aufgrund der harschen Reaktion des von den Unionsparteien präferierten Koalitionspartners FDP. Doch wie sieht die allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ausrichtung der Union im Jahr 2009 aus? Hat sich die programmatische Ausrichtung signifikant von der vor vier Jahren formulierten Haltung verschoben? Löst man sich also von dieser einen kurzen Satz umfassenden Aussage zu Steuererhöhungen und betrachtet das Wahlprogramm der Union und die der anderen Bundestagsparteien insgesamt, so haben CDU und CSU einen deutlichen Wandel gegenüber ihrem letzten Manifest aus dem Jahr 2005 durchgemacht.

Die in der Grafik abgetragenen Positionen der endgültigen Versionen der Wahlprogramme der momentan und – wenn man den Demoskopen glaubt – auch sicher nach dem 27. September im Bundestag vertretenen Parteien zeigen, dass in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen lediglich die Union ihre Position signifikant verschoben hat, und zwar in die Mitte der wirtschaftspolitischen Links-Rechts-Dimension (Die Technik zur Gewinnung der Positionen ist wie in früheren hier präsentierten Analysen das auf relativen Worthäufigkeiten beruhende „wordscore“-Verfahren, das auch Standardfehler der geschätzten Positionen ermittelt). Das heißt, dass CDU/CSU im Vergleich zu 2005 nunmehr stärker auf den Staat als Korrektiv setzen und damit den freien Markt stärker in seine Grenzen weisen wollen, was sicherlich eine Reaktion auf die globale Wirtschaftskrise und ihre auch in Deutschland spürbaren Folgen ist und bei einem großen Teil der Wählerschaft gut ankommt. Doch auch gesellschaftspolitisch ist die Union in ihrem Wahlprogramm 2009 deutlich weniger konservativ ausgerichtet als noch vier Jahre zuvor. Dieser Wandel kommt mit Hinblick auf die durchaus reformorientiert-progressive Familienpolitik von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) trotz parteiinterner Kritik vom konservativen Parteiflügel nicht ganz unerwartet.

Was implizieren diese Positionsverschiebungen der Union nun aber für den nach der Wahl einsetzenden Koalitionsbildungsprozess? Wie die Reaktion der Liberalen auf die Forderungen nach höheren Steuern bereits gezeigt hat, so dürfte diese programmatische Verschiebung der Unions-Position auf dem zentralen Politikfeld „Wirtschaft und Soziales“ die Koalitionsverhandlungen mit der FDP nicht unbedingt einfacher machen. Mit der SPD, die wie Liberale und die Grüne lediglich ihre gesellschaftspolitische Position gegenüber 2005 deutlich verändert haben, dürfte sich eine Einigung auf ein weiteres Koalitionsabkommen nun weitaus unkomplizierter gestalten als noch in der Konstellation vier Jahre zuvor. Doch diese rein inhaltlich-programmatisch ausgerichtete Interpretation des am 28. September einsetzenden Koalitionsspiels vernachlässigt natürlich zentrale Faktoren wie die Sitzstärke oder auch die Koalitionsaussagen der im Parlament vertretenen Parteien. Bezieht man aber lediglich die Information mit ein, dass CDU/CSU und Sozialdemokraten sich zwar eine erneute große Koalition nicht unbedingt wünschen, eine Neuauflage jedoch auch nicht ausschließen, so bleibt festzuhalten, dass die Inhalte des 2009er Wahlprogramms der Union offensichtlich nicht dazu dienen, einem neuen schwarz-roten Bündnis große Steine in den Weg zu legen.