Man-o-man, ist die Berliner Republik alt geworden. Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, seit der Bundestag das schnuckelige Bonn verlassen hat, um ins hektische Berlin umzuziehen. Inzwischen sind die Abläufe im alten, neuen Reichstag eingeübt, die Gebäude funkeln nicht mehr, mancherorts blättert sogar der Lack.
Aber auch die Protagonisten von damals sind gealtert – und wie. Eine der coolsten Gruppen im politischen Spektrum waren vor rund einem Jahrzehnt die Netzwerker. Das waren Nachwuchspolitiker der SPD, denen die Parlamentarische Linke zu links und der Seeheimer Kreis zu rechts war. Sie gründeten eine kluge Zeitschrift, die Berliner Republik – und fast noch wichtiger: Sie feierten die besten Polit-Partys in der Hauptstadt: hippe Locations, wilde Tänze und Knutschereien der jungen Bundestagsabgeordneten bis tief in die Nacht.
Schnitt, zehn Jahre später: Ein paar Tische sind im Volkspark Friedrichshain aufgestellt. Würstchen bruzzeln auf dem Grill. Die Tanzfläche ist leer. Der Andrang am Eingang überschaubar. Die Berliner Republik feiert Geburtstag. Aber Bundestagsabgeordnete sind diesmal nicht gekommen, jedenfalls nicht zur Begrüßung um 9 Uhr, wie der Redner gallig bemerkt.
Später erscheint dann doch noch eine Hand voll Politiker. Die Tanzfläche betreten sie kein einziges Mal. Die meisten haben inzwischen gute Posten und Kinder, viele stattliche Bäuche. Man lässt sich ein Bier zapfen, nimmt sich ein Würstchen und unterhält sich gediegen. Die Atmosphäre erinnert ein bisschen an einen Gemeindenachmittag. Das ist nicht die Avantgarde, die hier feiert, das ist das Establishment.
Das Netzwerk war in der Ära Schröder nicht unwichtig. Fast alle Reformen des früheren Kanzlers trugen die jungen, pragmatischen Genossen mit – und verteidigten sie an der Basis. Manche hatten sogar hier ihren Ursprung: Vom aktiven Sozialstaat skandinavischer Prägung war in Deutschland zuerst in der Berliner Republik zu lesen.
In Zeiten der Großen Koalition hingegen hat man von den Netzwerkern weniger gehört: Sie stellen inzwischen einige Minister, einen Bundesgeneralsekretär und ein paar Landeschefs. Mit der Macht sind sie spießiger geworden. Revoluzzer waren sie zwar nie. Aber sie haben auch an Neugier und Gestaltungsdrang verloren. All das ist biologisch vollkommen normal. Aber, so denkt man am Biertisch zwischen zwei Genossen, die über Ferienhäuser reden, irgendwie auch ein bisschen traurig.
Auch die Politiker selbst scheinen zu merken, dass der Zahn der Zeit an ihrer Gruppe nagt. Einer, der Generalsekretär in einem Landesverband ist, bemerkt am nächsten Morgen ganz nüchtern: „Wir bekommen nicht mal mehr ordentliche Partys hin. Mein Gott, wir triefen vor Staatstreue.“