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„Plasberg war arrogant, Illner unsäglich“

 

Wer hat nun das TV-Duell gewonnen? Wer konnte am wenigsten punkten? Kloeppel oder Plasberg? Illner oder Limbourg?

Eigentlich wollen wir in der Redaktion heute früh über die Performance der Kanzlerin und des Kanzlerkandidatin sprechen. Schnell zeigt sich aber, dass der Diskussionsbedarf über die Moderatoren fast größer ist als der über die Politiker. Kaum jemand, der sich zu den vier Fragestellern keine Meinung gebildet hat. Den ganzen Vormittag über kocht das Thema in einer Email- und Skype-Debatte weiter.

Begonnen hat das schon gestern Abend, unmittelbar nach dem Duell. Unser Reporter Christoph Seils, der in Berlin-Adlershof dabei war, empfindet die Moderatoren als wohltuend kritisch und bissig. Sie hätten kompensiert, dass die gesamte Opposition bei dem Fernsehduell ausgesperrt geblieben ist, schreibt Seils.

Der Politikressortleiter Markus Horeld vertritt in seinem Kommentar die Gegenposition. Mindestens zwei der vier Moderatoren seien überzählig gewesen. Sie hätten sich „darauf beschränkt, die Kandidaten fortwährend zu unterbrechen (Maybritt Illner), sich alberne Namen für Schwarz-Gelb auszudenken (Maybritt Illner: „Tigerenten-Koalition, hihi“) oder hin und wieder selbstzufrieden in die Kamera zu grinsen (Frank Plasberg).“

Überhaupt, viele Kollegen stören sich an der formalen Zusammensetzung. Zwei Politiker, vier Moderatoren – das habe dazu geführt, dass „jeder versuchte, noch witziger und spritziger zu sein“, so beobachtet unsere Wirtschaftskollegin Marlies Uken. Allgemein findet sie, das Korsett der Sendung sei zu starr gewesen. Selten seien interessante Gespräche entstanden.

Ähnlich unzufrieden ist unsere Karriere-Redakteurin Tina Groll: „Zwei Moderatoren hätten gereicht. So sah man vier Möchtegern-Knallhart-Nachfrager und zwei sterbenslangweilige Politnasen.“

Die Moderatoren waren also bissiger als die Politiker, so ein verbreiteter Eindruck. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, welcher Politiker schärfer angegangen worden ist. Unser Meinungs-Chef Steffen Richter sieht zum Beispiel eine Benachteiligung des SPD-Kandidaten. „Mit Merkel waren die vier lammfromm, bei Steinmeier dagegen eher kritischer“.

Und er stellt die rhetorische Frage: „Ist SPD bashen überhaupt noch zeitgemäß?“ Ähnlich der Eindruck unseres Videoredakteurs Adrian Pohr. Merkel sei „fast nie“ kritisiert worden, obwohl sie oft gar nicht direkt auf die Fragen einging, sondern staatstragende Allgemeinplätze vortrug. „Wohl der Kanzlerbonus…“ Konträr dazu ist dem Autor dieser Zeilen und auch Christoph Seils aufgefallen, wie kritisch gerade die Kanzlerin angegangen worden ist.

Unsere Nachrichtenredakteurin Karin Geil hofft, dass das gestern der Todesstoß für ein TV-Format war, das sich überlebt hat. Hoffentlich, so ihre Bitte, „ersparen uns die Sender ein derartiges Monstrum an TV-Duell in vier Jahren“. Sie hatte Verständnis, dass die Politiker irgendwann unwirsch auf die sich heimlich duellierenden Moderatoren reagierten: „Merkel wurde schnippisch“ (‚Ich beantworte die Fragen so, wie ich das denke‘), Steinmeier großväterlich (‚Frau Illner, folgen Sie doch einfach meinem Argument‘).“ Die beiden Politiker seien – unterm Strich – besser gewesen als die vier Modertoren.

Von den vieren am kritischsten bewertet unsere Redaktion den ARD-Talker Frank Plasberg. Der Digital-Ressortleiter Kai Biermann nannte den ARD-Mann, der ohne Krawatte moderierte, „aufgesetzt rebellisch und albern“. Tina Groll fand Plasberg „absolut peinlich und überambitioniert“.  Selbst sein SAT-1-Kollege Limbourg sei „total genervt von ihm, das hat man gesehen“. Sie fand Illner am witzigsten. Von der ZDF-Dame hingegen ist Markus Horeld am meisten genervt.

Bissig waren die Moderatoren. Haben sie aber auch neue Erkenntnisse zutage gefördert? Unser Hospitant Daniel Schlicht bezweifelt das, anhand einer Szene: Der Sat1-Mann Peter Limbourg wollte von der Kanzlerin wissen, wer in einer möglichen schwarz-gelben Regierung Gesundheitsministerin wird. Merkels Antwort: „Wir sind auf einem guten Weg.“ Keiner brauche sich Sorgen zu machen. Peter Limbourg traut sich nicht noch einmal nachzufragen, denn Peter Klöppel schaut schon wieder auf die Zeitkonten: Frau Merkel hatte schon 49 Sekunden mehr Sprechzeit als Steinmeier.

Philip Faigle hat an diesem Montag seinen freien Tag. Trotzdem schaltet er sich in die Redaktionsdebatte per Mail ein, weil ihn dieses Duell „so maßlos aufgeregt hat“. Frank Plasberg, so beginnt Faigle, sei „der Idealtypus des neuen Journalisten, der alles fragen und sich darüber empören darf, wenn er im „Namen des Volkes“ keine Antwort erhält. Er hat begriffen, dass Fragen nicht nur dazu dienen können, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen, sondern auch um Macht auszuüben. Milan Kundera hat auf diese neue Form des Journalismus in seinem Buch „Die Unsterblichkeit“ bereits 1990 hingewiesen: „Es geht darum, die alten Profis der Macht zu entthronen, nicht mit Waffen oder Intrigen, sondern durch die bloße Kraft des Fragens.“

Weiter schreibt Faigle: „Die vier Journalisten (mit Ausnahme vielleicht von Peter Limbourg, der vom alten Schlag ist) mögen diesen Gedanken im Kopf gehabt haben, als sie gestern zu Tat schritten. Den Politiker festnageln, ihn in die Ecke drängen, zu einer Antwort zwingen, das war ihr Ziel. (…) Die gleichen Journalisten, die sich ständig beklagen, dass die Politiker zu wenig „authentisch“ sind, oder nicht „aus den Puschen kommen“ (Illner), sind diejenigen, die so die Verlogenheit in der Politik befördern. Kein Politiker wäre so dumm, sich im Gespräch mit einem Plasberg zu öffnen – er würde dafür furchtbar bestraft werden.“

Puhh, sind wir so kritisch, weil es um unsere Berufskollegen geht? Womöglich! Jedenfalls kommt es selten vor, dass die Mehrheit von uns Spitzenpolitiker in Schutz nimmt. Andererseits fiel gestern vielen anderen ebenfalls auf, dass das Moderatorenkleeblatt aus dem gewohnten Rahmen fiel. Eine Freundin, eine Juristin, schrieb noch während des Duells eine SMS: „Warum dissen die sich so gegenseitig? Man bekommt gar nichts von der Politik mit.“

Irgendwas lief offenbar verkehrt. Und während wir noch darüber nachdenken, ploppt die nächste Mail im Postfach auf. Jörg Lau weist auf seinen neusten Blog-Beitrag hin. Darum geht’s: „TV-Duell. Eine journalistische Katastrophe. Zeit für einen Wutanfall.“