„Wir wollen das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre absenken.“ So steht es im vor wenigen Tagen veröffentlichten Koalitionsvertrag von Bündnis-Grünen und SPD in Baden-Württemberg. Die Grünen setzen damit eines ihrer Wahlziele um, wie zuvor schon in sechs anderen Bundesländern.
In Bremen konnte die Ökopartei vor zwei Jahren eine entsprechende Wahlrechtsreform sogar für die Wahl zur Bürgerschaft durchsetzen. Am 22. Mai 2011 dürfen deshalb in Bremen zum ersten Mal auch 16- und 17-Jährige an einer Wahl auf Landesebene teilnehmen. Eine Senkung des Wahlalters auf Bundesebene, die ebenfalls von den Grünen beantragt worden war, scheiterte dageben schon zweimal an der Mehrheit des Bundestages, zuletzt am 2. Juli 2009.
Wie lässt sich dieses Scheitern erklären? Ein wichtiges Argument der Skeptiker lautet: Die Senkung des Wahlalters könne leicht zu einer Stärkung extremer Parteien führen, da Jugendliche möglicherweise anfälliger für links- und rechtsextremes Gedankengut seien. Insbesondere auf Bundesebene könne eine entsprechende Wahlrechtsänderung also fatale Konsequenzen haben.
Dem gegenüber stehen die Vorzüge eines niedrigeren Wahlalters, die auch im baden-württembergischen Koalitionsvertrag angeführt werden: „Kinder- und Jugendpolitik darf nicht nur Politik für junge Menschen sein, sie muss stets Politik mit jungen Menschen sein. […] Kinder und Jugendliche sollen grundsätzlich bei allen sie betreffenden Fragen politisch beteiligt werden.“
Betrachtet man die Datenlage auf kommunaler Ebene, wird deutlich, dass gesicherte Aussagen über das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen nur schwer möglich sind . Das liegt daran, dass ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft relativ gering ist. In vielen Wahlgebieten ist deshalb die Datenbasis für verlässliche Aussagen zu klein für , auch weil statistische Erfassungen des Wählerverhaltens aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Vergangenheit immer stärker eingeschränkt wurden.
Die vorhandenen Daten sprechen jedoch eher gegen die Befürchtung, dass Jungwähler bei Kommunalwahlen überproportional häufig zur Wahl extremer Parteien neigen oder dass nur eine kleine Anzahl Jugendlicher mit extremen politischen Ansichten zur Wahl gehen würde. Im Gegenteil: Die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen lag zwar meistens etwas unterhalb der Wahlbeteiligung in der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung, aber teilweise höher als die Wahlbeteiligung bei den volljährigen Erstwählern.
Ein aufschlussreiches Beispiel für ein Wahlrecht ab 16 auf Bundesebene bietet Österreich. Hier durften bei den Nationalratswahlen 2008 zum ersten Mal auch Wähler ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen. Betrachtet man deren Wahlverhalten, so lässt sich laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Sora feststellen: Je jünger die WählerInnen waren, desto eher wählten sie eine der beiden rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ. Demnach gaben insgesamt 31 Prozent der 16-Jährigen an, BZÖ oder FPÖ gewählt zu haben, jedoch nur 18 Prozent der 18-Jährigen. Der tatsächliche Anteil von jugendlichen Rechtswählern lag zudem möglicherweise noch deutlich höher, da etwa ein Viertel der Jungwähler die Antwort verweigerte. Gleichzeitig rangierten aber die von den Rechtsparteien stark propagierten Themen wie strengere Einwanderungsbestimmungen oder die Integration von Ausländern auf der Prioritätenliste der Jugendlichen ganz unten.
Abbildung 1: Wahlverhalten von Jungwählern bei der Nationalratswahl in Österreich 2008 (Quelle: SORA – Institute for Social Research and Analysis)
Eine mögliche Erklärung für dieses Wahlverhalten findet sich in einer Studie der Universität Hohenheim zum Wahlrecht ab 16: Wie deren Befunde zeigen, bestanden zwischen den Probanden im Alter von 16 bis 17 Jahren und den Teilnehmern im Alter von 18 bis 20 Jahren systematische Unterschiede beim Wissen über und dem Verständnis von Politik. Bei der subjektiven Einschätzung des Verständnisses hingegen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Die minderjährigen Jugendlichen waren sich ihrer Wissens- und Verständnisdefizite also nicht bewusst. Dass deshalb ähnliche Folgen einer Wahlrechtsreform wie in Österreich durchaus auch in Deutschland möglich wären, zeigt z.B. das Ergebnis der sog. U18-Jugendwahl in Baden-Württemberg, die kurz vor der Landtagswahl am 27. März 2011 durchgeführt wurde und an der sich über 30.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren beteiligten. Hier erhielt die NPD eine Zustimmung von 3,9 Prozent und damit einen etwa vier Mal so hohen Stimmenanteil wie bei der eigentlichen Landtagswahl (1,0 Prozent).
Abbildung 2: Wahlergebnis der U18-Jugendwahl und der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 (Quellen: Statistisches Landesamt, www.jugendwahl-bw.de)
Fazit: Um Risiken und Chancen eines Wahlrechts ab 16 Jahren gesichert einschätzen zu können, sind weitere und umfangreichere Datenerhebungen dringend nötig. Die bislang vorhandenen Daten weisen jedoch darauf hin, dass für Gemeinde-, Landes- und Bundesebene durchaus unterschiedliche Beurteilungen und Maßnahmen sinnvoll sein könnten. Demnach wurde in Österreich möglicherweise der zweite vor dem ersten Schritt getan, wie nach der Wahl auch der Vorsitzende der SPÖ-Fraktion im Nationalrat, Walter Steidl, feststellte: „Normalerweise wäre der erste Schritt nämlich die Vorbereitung der jungen Menschen auf diese Situation. Und das hat man etwas verschlafen.“
Weitere Quellen zum Thema:
Mößner, Alexandra (2006): Jung und ungebunden? Parteiidentifikation von jungen Erwachsenen. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 337-359.
Schoen, Harald (2006): Junge Wilde und alte Milde? Jugend und Wahlentscheidung in Deutschland. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 379-406.