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Aus der Kategorie „Immer Ärger mit diesem Wahlrecht“, heute: Berlin

 

Als Wahlrecht hat man es in diesen Tagen nicht leicht… Auf Bundesebene gibt es derzeit kein verfassungsgemäßes Wahlrecht. Auch in Schleswig-Holstein war das Wahlrecht, das bei der jüngsten Landtagswahl zur Anwendung kam, nicht verfassungskonform, weswegen im kommenden Jahr eine vorgezogene Wahl stattfinden muss.

Nun wählt am Sonntag Berlin – und wieder könnte ein Wahlrechtsdetail für großen Aufruhr sorgen. Es geht um §18 des Berliner Wahlgesetzes, betitelt „Sperrklausel“. Dort heißt es:

Parteien, die im Wahlgebiet weniger als fünf vom Hundert der abgegebenen Zweitstimmen erhalten haben, werden bei Berechnung und Zuteilung der Sitze nach § 17 nicht berücksichtigt; dies gilt nicht, sofern mindestens ein Bewerber oder eine Bewerberin der Partei nach § 16 einen Sitz im Wahlkreis errungen hat.

Klingt nach einer ganz „gewöhnlichen“ 5%-Klausel, wie wir sie auch bei Bundes- und sonstigen Landtagswahlen kennen. Ist es aber nicht (ganz). Im Bundeswahlgesetz lautet die analoge Bestimmung nämlich: „Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten … haben“.

Worin liegt der Unterschied? In Berlin müssen 5% der abgegebenen Stimmen erreicht werden, im Bundesgebiet (und auch in allen anderen Ländern) 5% der gültigen Stimmen. In einem Fall zählen die ungültigen Stimmen also mit, im anderen Fall nicht. Es könnte daher die paradoxe Situation aufkommen, dass die Balken, die wir ab 18 Uhr in den Prognosen und Hochrechnungen sehen werden, zwar über die 5%-Marke hinausragen (denn die Basis der Balken sind die gültigen Stimmen), eine Partei aber trotzdem NICHT ins Abgeordnetenhaus einzieht. Hoffentlich bringt das den Touchscreen nicht aus der Ruhe…

Ein Beispiel: Am Sonntag werden 2,47 Millionen Bürgerinnern und Bürger wahlberechtigt sein. Nehmen wir an, 58% von ihnen machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch (das entspricht der Wahlbeteiligung der Wahl 2006). Demnach gäbe es 1.432.600 abgegebene Stimmen. Nehmen wir weiterhin an, dass 2% dieser abgegebenen Stimmen (bezogen auf die Zweitstimme) ungültig sind, das wären 28.652 ungültige Stimmen; somit gäbe es 1.403.948 gültige Stimmen.

Um in das Abgeordnetenhaus in Berlin einzuziehen, braucht eine Partei 5% der abgegebenen Stimmen, das wären 71.630 Stimmen. Würde dagegen eine Regel analog zum Bundeswahlgesetz gelten, dann würden 5% der gültigen Stimmen ausreichen, das wären 70.197,4 (also 70198) Stimmen – ein Unterschied von immerhin 1.432 Stimmen!

Wären sogar 4% der abgegebenen Stimmen ungültig (wie jüngst in Mecklenburg-Vorpommern), dann gäbe es „nur“ 1.375.296 gültige Stimmen und dann würden „normalerweise“ sogar 68.765 Stimmen reichen, um in einen Landtag einzuziehen – außer eben in Berlin; dort bräuchte man 2.865 mehr (nämlich weiterhin besagte 71.630).

Heißt also ganz konkret: Würde eine Partei – nennen wir sie zum Beispiel „Die Seefahrer“ oder „GDP“ – in ersten Szenario (mit 2% ungültigen Stimmen) 71.629 Stimmen erhalten, dann würde der Balken in ARD und ZDF 5,1% anzeigen – und trotzdem wäre die Partei draußen, denn bezogen auf die abgegebenen Stimmen wären es nur 4,9999 Prozent. Im zweiten Fall (mit 4% ungültigen Stimmen) würden der Balken sogar 5,2% anzeigen, reichen würde es trotzdem nicht.

Für Spannung ist also gesorgt am Sonntag, auch aus dieser Warte!

Übrigens: Keine der beiden Lösungen ist zwangsläufig besser, vielmehr ist die eine so arbiträr wie die andere. Die Berliner Lösung ist lediglich ungewöhnlich. Man könnte sogar argumentieren, dass eigentlich die Zahl der Wahlberechtigten eine sinnvolle Bezugsgröße für eine Sperrklausel wäre. Dann hätten nämlich Parteien einen Anreiz, auch die Wahlbeteiligung im Auge zu behalten, die leider allzu oft an den Diskussionen an Wahlabenden untergeht.