Christian Wulff hat am Wochenende nicht nur sein Amt verloren, sondern nachträglich auch die Bundespräsidentenwahl 2010. Er ist der doppelte Verlierer des gestrigen Abends – und Angela Merkel? Auf den ersten Blick scheint auch sie verloren zu haben, musste sie doch ihre Position aufgeben, einen anderen Kandidaten als Joachim Gauck zu nominieren. Allerdings hat sie sich dabei zugleich auch als die präsidiale, überparteiliche Kanzlerin präsentiert. Sie hat gezeigt, dass sie lernfähig ist, und nicht nur das: Durch ihre Entscheidung, direkt nach Wulffs Rücktritt zu verkünden, dass man den nächsten Kandidaten in Absprache mit SPD und Grünen suchen werde, hat sie Gaucks zweite Kandidatur überhaupt erst ermöglicht. Die FDP mag gestern einen großen Moment gehabt haben; einen, der der Partei Selbstbewusstsein geben kann. Aber überbewerten sollte man die überraschende Initiative der Liberalen nicht – die Entscheidung lag bei der Kanzlerin.
Natürlich stellt sich die Frage, warum Angela Merkel nicht schon vor knapp zwei Jahren der Nominierung von Joachim Gauck zugestimmt hat. Wr erinnern uns: Merkel war im Sommer 2010 in einem beachtlichen Stimmungstief, die Bevölkerung war mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden. In diesem Moment war Angela Merkel mehr Partei- als Regierungschefin – und musste somit in der Bundespräsidentenfrage eine parteipolitische Entscheidung treffen.
Heute liegen die Dinge anders: Merkel ist durch ihr Krisenmanagement dem Parteienstreit ein wenig entrückt. Sie wird als Staatsfrau wahrgenommen, die auf internationaler Ebene für die Interessen aller Deutschen eintritt. Der daraus resultierende Effekt ist nicht neu: In Krisenzeiten vertraut die Bevölkerung den Amtsinhabern, sofern diese keine offensichtlichen Fehlentscheidungen treffen. Daher reicht derzeit in Umfragen niemand an die Kanzlerin heran.
Ist dies bereits ein Vorbote für die Strategie im Jahr 2013? Bundestagswahlen müssen immer auf ein klares Ziel ausgerichtet sein und natürlich müssen auch alle Koalitionsoptionen durchgespielt werden, um einen geeigneten Wahlkampf anzulegen. Allerdings wird 2013 einmal mehr die Amtsinhaberin im Mittelpunkt stehen. Sie kann mit dem Thema Wirtschaft und Finanzkrise punkten – gerade auf Grund ihrer Rolle im europäischen Krisenmanagement kann sie über dieses Thema viele Wähler erreichen, die keine Unionsanhänger sind.
Der Reiz ist daher groß, auf dieses Thema zu setzen und einen weiteren Wahlsieg einzufahren. Die Einschränkung dabei: Wenn die Krise künftig noch stärker als bisher die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und damit den Geldbeutel der Bürger betreffen sollte, könnte sich auch die Meinung zur Regierung um Angela Merkel massiv ändern – und die Kanzlerin hätte kein Gewinnerthema mehr. Die Strategie wäre also nicht ohne Risiko. Die Alternative wäre ein Befreiungsschlag wie im Falle der Bundespräsidentenwahl: Angela Merkel muss gar nicht auf Sieg spielen; wenn sie ihrer Linie treu bleibt, eröffnen sich damit neue Möglichkeiten.
Aber das ist Zukunftsmusik. Bevor wir 2013 ein neues Parlament wählen und damit über die Zukunft der Regierung Merkel abstimmen, geht es am 18. März erst einmal zur Bundespräsidentenwahl. Deren Ausgang wird – so viel ist seit gestern klar – kaum Raum für Strategien oder politische Überraschungen bieten.