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Wir können alles – außer einem gewöhnlichen Bewerberfeld: OB-Wahl in Stuttgart

 

Von Thorsten Faas und Johannes Blumenberg

Sonntagszeit ist Oberbürgermeisterwahlzeit. Zumindest in Stuttgart. Am kommenden Sonntag steht der erste Wahlgang an, insgesamt 14 Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich zur Wahl.

Die Stuttgarter OB-Wahl ist aus mehreren Gründen brisant und bemerkenswert:

  • Die Zahl deutscher Großstädte, die von einem Bürgermeister aus den Reihen der Union regiert werden, eignet sich inzwischen als Übungsaufgabe für Erstklässler – der Zahlenraum bis 10 ist völlig ausreichend. Noch gehört Stuttgart dazu, doch Amtsinhaber Wolfgang Schuster stellt sich nicht zur Wiederwahl. Das Rathaus ist ein „open seat“.
  • Trotzdem (oder deshalb?) haben CDU und SPD darauf verzichtet, ein Mitglied aus ihren Reihen zu nominieren, sondern sich für parteilose Kandidaten entschieden. Für die Union tritt Sebastian Turner an, Publizist, Werbefachmann und in dieser Funktion auch der Erfinder des Slogans „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Turner wird auch von der FDP und den Freien Wählern unterstützt und versucht mit dem Slogan „Ein Bürger als Oberbürgermeister“ und einem Brezel-Logo zu punkten. Die SPD vertraut auf die derzeitige Bürgermeisterin von Schwäbisch-Hall, Bettina Wilhelm (Slogan: „Die Nächste für Stuttgart.“, „Rathauskompetenz“) .Für die Grünen, die die stärkste Kraft im lokalen Parlament sind, geht Fritz Kuhn ins Rennen, aus politischer Sicht vermutlich das schwerste Gewicht im Bewerberfeld – kein unwichtiger Aspekt angesichts eines Wahlzettels, auf dem nur die Namen der Personen, nicht aber ihre parteipolitischen Verbindungen vermerkt sind.
  • Aufgemischt wird das Feld weiterhin von Hannes Rockenbauch. Bundesweit bekannt geworden ist Rockenbauch als das Gesicht des Widerstands gegen das Bahnprojekt „Stuttgart21“ im Schlichtungsverfahren mit (unter?) Heiner Geißler. Er tritt für das Bündnis „Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS)“ als Kandidat an und bereitet vor allem den Grünen Bauch- und Kopfschmerzen. Gegner von Stuttgart21 könnten bei „Hannes kann es“ Rockenbauch ihr Kreuzchen machen – und nicht bei Kuhn.

Zehn weitere Kandidaten ergänzen das Feld. Vertrauen wir jedoch den jüngsten Umfrageergebnissen, so werden diese am kommenden Wahlsonntag kaum ins Gewicht fallen. Die eigentliche Entscheidung wird demnach vielmehr zwischen Kuhn und Turner gefällt; um Bronze kämpfen Wilhelm und Rockenbauch.

Zwei parteilose Kandidaten, ein Kandidat aus eher unbekannten (parteipolitischen) Reihen und ein bundesweit bekannter Grüner. Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld, könnte man sagen.
Ein wenig Orientierung für noch Unentschlossene bietet die Stuttgarter Zeitung. Diese hat – in Anlehnung an den (nicht nur treuen Blog-Lesern) wohl vertrauten Wahl-o-mat42 Thesen formuliert, zu denen sich die örtlichen Kandidatinnen und Kandidaten positionieren sollten. Halten sie ein umfassendes Glas- und Flaschenverbot auf öffentlichen Plätzen für sinnvoll? Wird Stuttgart 21 die Stadt städtebaulich voranbringen? Und vieles mehr…
Wie bei Wahlen und den Antworten der Parteien, so lässt sich natürlich auch hier aus den Antworten der Kandidaten ablesen, wer im Mittel wem wie nahe oder fern steht, indem man einen einfachen Übereinstimmungsindex (*) berechnet. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Wie die Abbildung zeigt, findet sich die größte Übereinstimmung über alle 42 Aussagen hinweg zwischen Fritz Kuhn und Hannes Rockenbauch. Die beiden, die sich bei den zahlreichen Debatten im Vorfeld der Wahl so heftig beharkt haben, wenn es um Stuttgart21 ging, sind sich letztlich in der Gesamtschau doch so nah. Umgekehrt liegt die größte Distanz zwischen Sebastian Turner und Hannes Rockenbauch. Bettina Wilhelm nimmt eine moderate Position in der Mitte ein.

Insgesamt ergibt sich aller Besonderheiten zum Trotz beim Blick auf die Positionen ein recht bekanntes Bild: Turner – Wilhelm – Kuhn – Rockenbauch. Anders würde die Reihung bei einer Landtagswahl- oder Bundestagswahl auch nicht aussehen, wenn man die unterstützenden Parteien auf einer Dimension von links nach rechts sortieren würde.

Wir können alles außer einem herkömmlichen Bewerberfeld mag der Fall sein, aber ein bisschen Ordnung braucht der Schwabe dann eben doch. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass am Ende dann doch wieder alles so ist wie früher: Der Kandidat einer Partei gewinnt.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 42 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Johannes Blumenberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.