Wer wissen will, wie sehr die Sprache von Politikern und die Auslegungen von Journalisten längst ihre eigenen Dynamiken geschaffen haben, der sollte sich den vermeintlichen Steuerstreit in der SPD ansehen.
Die Partei hat angekündigt, bei einem Wahlsieg Steuern zu erhöhen. Der Spitzensatz der Einkommenssteuer soll von 42 auf 49 Prozent steigen, die Vermögenssteuer soll wieder kommen und auch an der Erbschaftssteuer soll wohl gedreht werden. So steht es im SPD-Wahlprogramm, jeder kann es nachlesen.
Am Sonntag nun machte eine Vorabmeldung des Spiegels die Runde. Darin wird Parteichef Gabriel mit der Aussage zitiert: „Die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerdumping ist der bessere Weg zum Schuldenabbau und zu höheren Investitionen in Bildung und Infrastruktur in Deutschland als Steuererhöhungen.“ Klar, denkt man als unbedarfter Leser, Steuerbetrug ist ja illegal und Steuerdumping mindestens verwerflich, da wäre es natürlich besser, diese unschönen und für den Staat teuren Vergehen zu verhindern, anstatt ehrlich verdientes Geld zu besteuern.
Der Spiegel schreibt dann weiter: „Damit rückt Gabriel offenbar von den bisherigen Beschlüssen in dem Bereich ab.“ Gemeint sind die Steuererhöhungen. Das ist eine zulässige, aber zugespitzte Interpretation der Aussage des Parteichefs. Denn er hat ja nicht gesagt, dass er nun definitiv die Steuern nicht erhöhen will.
Was wäre die SPD ohne Probleme?
Also fragten Journalisten Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, ob sich denn nun was ändere am SPD-Kurs. Die Antwort war eindeutig: „Die Vorstellung der SPD ist nach wie vor: Wir wollen nicht alle Steuern für alle, aber einige Steuern für einige erhöhen“, sagte er noch am Sonntag. Erst wenn man erfolgreich sei bei der Bekämpfung von Steuerbetrug, könne man über Steuersenkungen nachdenken. Damit wäre die Sache eigentlich geklärt, könnte man denken.
Von wegen. Noch am Sonntagabend musste sich Steinbrück in einer RTL-Sendung von einem potenziellen Wähler anpampen lassen, was die SPD da wieder für ein Chaos veranstalte und ob er denn seinen Parteichef nicht im Griff habe. Montagmorgen füllte der vermeintliche Konflikt die Schlagzeilen. Und Spiegel Online zeigte einmal mehr, wie man einen Streit herbeischreibt, wo keiner ist. „Es ist völlig klar, dass unser Steuerkonzept bleibt. Abstriche daran stehen nicht zur Debatte“, sagte der SPD-Linke Ralf Stegner. Über den Kampf gegen Steuerbetrug sagte er: „Wenn wir es schaffen, da Milliardenbeträge reinzuholen, können wir über Steuersenkungen reden.“ Also genau das Gleiche, was Steinbrück zuvor auch schon gesagt hatte und keinerlei Widerspruch zu Gabriels Aussage. Spiegel Online aber moderierte Stegners Zitate mit dem Satz an: „Die SPD-Linke hat die Parteispitze vor einer Abkehr der im Wahlprogramm formulierten Steuererhöhungen gewarnt.“ Wo eine Warnung ist, da ist auch ein mögliches Problem, und Probleme und SPD, das passt einfach, das ist die große mediale Erzählung dieses Wahlkampfs.
Da macht auch Grünen-Spitzenmann Jürgen Trittin gerne mit, immerhin der Wunschkoalitionspartner der SPD. Es sei unklug, „hasenfüßige Signale zu setzen, also eigene Programmatik zu kassieren, um vorauseilend Koalitionsverhandlungen zu führen für eine große Koalition. Das erleichtert das Kalkül der Kanzlerin.“ Und der FDP-Abgeordnete Volker Wissing behauptete bei Twitter gar: „Gabriel macht die Kehrtwende.“
Was also ist das nun, ein Null-Ereignis, medial überdreht und zu einem vermeintlichen Konflikt hochgeschrieben? Ja und nein. Denn natürlich wollte Gabriel mit seinem Zitat durchaus ein Signal senden, das sagen auch Sozialdemokraten hinter vorgehaltener Hand. Er hat, indem er beides in einem Satz nannte, ohne Not einen direkten Zusammenhang zwischen Steuererhöhungen und dem Kampf gegen Steuerbetrug hergestellt. Das sollte bedeuten: Liebe Leute, die Ihr Angst habt, dass wir Euch Geld wegnehmen, unterstützt uns beim Kampf gegen die Betrüger, dann wird es auch für Euch vielleicht weniger teuer. Gabriel hat also versucht, die Wähler zu beruhigen und die Aufmerksamkeit weg von den SPD-Steuerplänen auf das Thema Steuerbetrug zu lenken. Die anderen Parteien versuchen mit ihren lauten Anschuldigungen nun, die SPD weiter in der Rolle des zerstrittenen Chaoshaufens festzunageln. Daraus wiederum machen dann Journalisten ihre Geschichten.
Es ist also lautes Wahlkampfgerangel mit echtem politischen Hintergrund. Ausgelöst durch einen vermeintlich harmlosen Satz Gabriels. Von außen mögen solche Erregungsspiralen merkwürdig erscheinen. Innerhalb des Berliner Politikbetriebs sind sie nur logisch.