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Koalitionsbildung im Bundestag: Höhere Chancen für Schwarz-Rot als für Schwarz-Grün

 

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 hat zu keinem Sieg eines der beiden klassischen „Lager“ – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün – geführt. Entsprechend kompliziert gestaltet sich momentan die Suche nach einer tragfähigen Koalitionsregierung auf Bundesebene. Neben Einschätzungen und Spekulationen seitens der Beobachter des politischen Prozesses in Berlin kann auch die empirisch-analytische Politikwissenschaft helfen, Licht ins Dunkel zu bringen. Theorien der Koalitionsbildung unterstellen Parteien und ihren Repräsentanten zum einen, dass sie Bündnisse mit programmatisch ähnlich ausgerichteten Akteuren bevorzugen. Dies führt dazu, dass die Koalitionspartner jeweils ein Höchstmaß ihrer eigenen inhaltlichen Positionen in der Regierung umsetzen können. Zudem sollten politische Parteien solche Regierungskoalitionen bevorzugen, die ihnen einen möglichst hohen Anteil an Posten innerhalb einer Regierung versprechen. Umso mehr Ministerien von einer Partei kontrolliert werden, desto eher kann die entsprechende Partei ihre Politikziele implementieren und zudem Posten an Mitglieder der Parteispitze verteilen.

In Deutschland spielen noch weitere Faktoren für die Regierungsbildung auf Bundes- und Landesebene eine entscheidende Rolle. Neben den Koalitionsaussagen der Parteien, durch die manche Bündnisse von vorneherein ausgeschlossen werden – wie etwa die Zusammenarbeit mit der Linken seitens der SPD –, hat die Kräftekonstellation im Bundesrat einen nicht unbedeutenden Einfluss auf das Ergebnis des Regierungsbildungsprozesses. Wenn eine Bundesregierung eine Mehrheit der Stimmen in der Länderkammer kontrolliert, dann lässt es sich in der Regel leichter regieren, da – trotz Föderalismusreform – noch immer ein Anteil von rund 40% aller Gesetzesinitiativen der Zustimmung einer Mehrheit des Bundesrates bedarf.

Auf der Grundlage eines Datensatzes, der Informationen zu den 97 Regierungsbildungsprozessen in Bund und Ländern seit Januar 1990 umfasst und auf dessen Grundlage es möglich ist, in 78 Fällen (81,3%) das Ergebnis der Regierungsbildung korrekt vorherzusagen, können wir mit Hilfe statistischer Analysetechniken die Wahrscheinlichkeiten ermitteln, die jede theoretisch denkbare Koalition (hierzu zählen etwa auch Einparteien-Minderheitsregierungen) nach der Bundestagswahl 2013 aufweisen (siehe Bräuninger und Debus 2009, 2012; Debus 2011).

Selbst wenn man nicht berücksichtigt, dass die CSU sich skeptisch bis ablehnend gegenüber einer Koalition aus Union und Grünen zeigt und dass eine Mehrheit der Wähler eine große Koalition statt Schwarz-Grün befürwortet, so ergibt sich bereits eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Bildung einer schwarz-roten Koalition (51,8%) gegenüber einem schwarz-grünen Bündnis, für das eine Wahrscheinlichkeit von 39,1% ermittelt werden kann. Die Chancen für die Bildung einer Minderheitsregierung der Union liegen den Schätzungen zufolge bei 5%, für die Etablierung einer rot-grünen Minderheitsregierung bei 2,9%.

Warum sind die Chancen für eine große Koalition höher als die für Bildung eines schwarz-grünen Bündnisses? Ein Grund liegt – neben der Mehrheitssituation im Bundesrat – schlichtweg darin, dass die programmatische Distanz zwischen Union und Grünen, die auf der Grundlage ihrer Wahlprogramme ermittelt werden kann, auf dem alles entscheidenden Politikfeld Wirtschaft, Arbeit und Finanzen größer ist als zwischen CDU/CSU und SPD. Die beiden großen Parteien sollten sich also leichter auf inhaltliche Kompromisse einigen können und müssten – im Vergleich zu einer Koalition aus Union und Bündnis 90/Die Grünen – weniger stark von ihren eigenen Positionen abrücken, wenn sie eine Koalition eingehen. Auch wenn es lange und zähe Verhandlungen zwischen den Parteien in Berlin geben wird, vieles spricht aus diesem Blickwinkel für eine Neuauflage einer Koalition aus CDU, CSU und Sozialdemokraten und einer Bundeskanzlerin Merkel.

Literatur:

Bräuninger, Thomas und Marc Debus. 2009. “Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009.” Zeitschrift für Politikberatung 2 (3): 563-567.

Bräuninger, Thomas/Marc Debus. 2012. Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Debus, Marc. 2011. “Parteienwettbewerb, Regierungsbildung und Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2009.” In: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2009. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 281-306.