Erste Hürde genommen! Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD steht. Die SPD hat es geschafft, ihre Handschrift im Koalitionsvertrag klar und deutlich sichtbar zu machen. Die zentralen Forderungen, die Sigmar Gabriel noch auf dem Parteitag in einer emotionalen Rede als conditio sine qua non genannt hatte, fanden Eingang in das Werk: Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft, Rente mit 63. Doch wie geht es nun weiter?
Die empirische Sozialforschung hat hier recht klare Antworten: Erstens werden wir einen parteiinternen Wahlkampf sehen, in dem Politikvermittlung nicht über die Massenmedien, sondern in erster Linie über sogenannte Meinungsführer stattfinden wird. Diese werden den Koalitionsvertrag in den Ortsvereinen als Chance verkaufen. Und diese Form der Politikvermittlung ist am gewinnbringendsten. Den Meinungsführern wird Glauben geschenkt, man vertraut ihnen.
Zweitens wird das Quorum von 20% deutlich überschritten werden, die Mitglieder werden an die Wahlurne gehen – denn es geht um etwas! Je knapper das Rennen, desto stärker lassen sich die Wähler mobilisieren. Das wird auch hier der Fall sein. Auch Genossen, die ansonsten eine rein passive Mitgliedschaft haben – also ein Parteibuch haben, aber nicht aktiv sind –, werden sich mobilisieren lassen.
Der Vorwurf, hier dürfe nun eine exklusive Gruppe über die Geschicke des Landes bestimmen, verfängt übrigens auch nicht. Die Alternativen, eine Beschlussfassung durch den Vorstand oder einen Parteitag, hätten nicht mehr Legitimität, sondern weniger. Die Basis, die ihre Parteiorgane wählt, ist immer die gleiche. Stimmt sie nun selbst ab, so ist das Votum schlicht und ergreifend direkter.
Drittens ist die Rolle der Medien zu beachten. Interessant zu verfolgen war in den letzten Tagen und Wochen, dass diese mehrheitlich dem Mitgliederentscheid kritisch gegenüberstanden – ohne empirische Befunde aufzuführen. Das Bild heute: Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen und nach der Präsentation des Vertrages haben sie den Mitgliedern eher zugeraten, diesem Vertrag zuzustimmen.
Dies betrifft, viertens, insbesondere die Darstellung der Inhalte des Vertrages. Man geht davon aus, dass diese die SPD-Basis überzeugen können. Personalfragen hingegen werden auf Wunsch der SPD nicht öffentlich besprochen. Es wirkt also, als glaube die SPD, dass ihre Inhalte überzeugender sind, als ihr Personal.
Interessant wird dabei allerdings sein, wie die SPD nun auf die Mitglieder zugeht. Werden sich – wie etwa bei Volksabstimmungen – im Brief mit den Abstimmungsunterlagen auch Pro- und Contra-Statements finden? Dies wäre ein Zeichen für eine echte basisdemokratische Kultur. Vermutlich wird es aber lediglich eine Pro-Empfehlung des Vorstands geben – dann wären die Unterlagen letztlich ein weiteres Instrument für die parteiinterne Kampagne.
Eine Prognose des Ergebnisses fällt aus vielen verschiedenen Gründen schwer. Nicht zuletzt gibt es keine „Messlatte“, denn nie zuvor haben die Mitglieder über den Koalitionsvertrag abgestimmt. Daher ist nicht einmal die Beteiligung zu ermessen, das Quorum von 20% wirkt dementsprechend auch ein wenig künstlich. Gerade bei einer hohen Beteiligung ist allerdings zu erwarten, dass das Beispiel Schule machen wird. Oder anders: Könnte es sich die SPD überhaupt erlauben, beim nächsten Mal die Basis nicht zu fragen? Und können die anderen Parteien weiterhin in Gremien entscheiden, wenn eine andere einen Schritt weiter geht? Möglich, dass auf den zweiten Streich der SPD viele weitere folgen werden.