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Mehr direkte Demokratie wagen?

 

Wie in früheren Bundestagswahljahren erscheinen auch 2009 zahlreiche Bücher zu politischen Themen. Einen publikumswirksamen Startschuss gab Gabor Steingart mit dem Band „Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers“ ab. In seiner Philippika rechnet der Spiegel-Journalist mit den Parteien ab und fordert zum kalkulierten Wahlboykott auf. In einem jüngst erschienenen Band wirbt Beatrice von Weizsäcker unter dem provokanten Titel „Warum ich mich nicht für Politik interessiere“ für politisches Engagement. So unterschiedlich beide Autoren und Bücher sein mögen, eint sie das Plädoyer für mehr direktdemokratische Verfahren in Deutschland, und zwar auch auf der Bundesebene. Davon versprechen sich Steingart wie von Weizsäcker nicht zuletzt eine Steigerung des politischen Interesses und Engagements, aber auch eine Stärkung des politischen Verantwortungsgefühls der Bürger.

Ihre Argumente für die Ausweitung direktdemokratischer Elemente klingen auf den ersten Blick bestechend. Wenn die Bürger erst einmal mehr zu entscheiden hätten, würden sie sich besser über politische Fragen informieren, intensiver mit Politik auseinandersetzen und dann ebenso kompetente wie verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen. Nicht zuletzt entkräftet diese Argumentation den beliebten Einwand, Umfrageergebnisse zeigten, dass Deutschland unter den Bedingungen direkter Demokratie nicht Nato-Mitglied geworden wäre und längst wieder die Todesstrafe eingeführt hätte. Denn verändern direktdemokratische Verfahren tatsächlich die Haltung der Bürger zur Politik, dann lassen sich aus vorliegenden demoskopischen Befunden gerade keine Rückschlüsse auf die Ergebnisse direktdemokratischer Prozesse ableiten.

Auch plausible Argumente können sich jedoch als empirisch falsch erweisen. Um das zu klären, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Denn die internationale Abstimmungsforschung hat einige Befunde zur Frage zusammengetragen, wie sich direktdemokratische Elemente auf politisches Interesse und Engagement der Bürger auswirken. Diese Untersuchungen, in erster Linie gestützt auf Material aus den USA und der Schweiz, legen den Schluss nahe, dass direktdemokratische Elemente kein Wundermittel zur Stimulierung des politischen Engagements der Bürger sind. Das politische Wissen der Bürger scheint infolge direktdemokratischer Verfahren ebenso allenfalls leicht zuzunehmen wie das Gefühl der Bürger, politisch kompetent zu sein. Auch lassen direktdemokratische Elemente das Gefühl der Bürger, das politische System reagiere auf ihre Wünsche und Forderungen, kaum intensiver werden. Auf die Wahlbeteiligung lassen sich in den USA leichte Mobilisierungseffekte nachweisen, während in der Schweiz eher umgekehrte Effekte aufzutreten scheinen.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass Befunde nicht ohne weiteres von Land zu Land übertragen werden können, hieße es wohl, die empirische Evidenz allzu sehr zu strapazieren, interpretierte man sie als Beleg dafür, dass nach der Einführung direktdemokratischer Verfahren ein sprunghafter Anstieg des politischen Interesses und Engagements in Deutschland zu erwarten wäre. Steingart und von Weizsäcker scheinen sich von direktdemokratischen Verfahren also mehr zu versprechen, als diese zu leisten vermögen. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht andere gute Gründe geben könnte, ernsthaft über die Einführung direktdemokratischer Elemente auch auf Bundesebene nachzudenken.