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Wer versteht die Bundesregierung? Die Webseiten der Bundesregierung im Verständlichkeitstest

 

Dass die Bedeutung der politischen Online-Kommunikation von Parteien und Politikern stetig zunimmt, dürfte heute als Konsens bezeichnet werden können. Dass diese Online-Kommunikation gerade in Wahlkampfzeiten aber besonders wichtig ist, hat nicht zuletzt der beeindruckende Wahlkampf und Wahlerfolg von Barack Obama in den USA gezeigt. Auch die deutschen Parteien haben auf diese Entwicklung reagiert und zur Bundestagswahl ausnahmslos aufwändige Kampagnen-Portale gestartet. Und die amtierende deutsche Bundeskanzlerin ist die erste Regierungschefin der Bundesrepublik, die einen regelmäßigen Video-Blog im Internet betreibt. Zweifellos scheint die Chance der direkten und ungefilterten Ansprache der Wähler über das Internet von der deutschen Politik erkannt worden zu sein. Doch schlägt sich diese Erkenntnis auch in einer angemessenen Ansprache der Zielgruppe nieder? Gelingt es der Politik, die Übersetzungsleistung der Medien zu kompensieren und sich bei der direkten Ansprache ihrer Wählerschaft verständlich zu machen?

Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim sind dieser Frage nun erstmals nachgegangen. Als Forschungsobjekt haben sie hierbei die Online-Auftritte der Bundesregierung unter die Lupe genommen. Denn: Keine andere politische Institution in Deutschland verfügt über mehr Ressourcen, um einen angemessenen Online-Auftritt zu realisieren, als Kanzleramt und Bundesministerien. Trotzdem stießen die Forscher bei ihrer Recherche schnell auf Wort- und Satzungetüme, die darauf schließen lassen, dass eine institutionalisierte Verständlichkeitsprüfung der veröffentlichten Webseiten-Texte in den meisten Berliner Ministerien keinesfalls Gang und Gäbe ist. Ein Beispiel gefällig? „Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zur Ausweitung der Schutzklausel bei der Rentenanpassung beschlossen.“ Nominalstil in Reinkultur, entnommen aus dem Info-Text „Schutz vor Rentenkürzungen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Dass es auch anders geht, bewiesen die Hohenheimer Forscher ebenfalls: Alle untersuchten Texte wurden in ihrer Verständlichkeit optimiert. Aus dem obigen Satzbeispiel wurde so beispielsweise: „Die Bundesregierung hat heute den Entwurf zu einem Gesetz beschlossen, das die Höhe der Rente schützen soll.“ Diese optimierten Text-Versionen wurden ebenso wie die Original-Texte zwei Gruppen von Probanden zur Bewertung und zum anschließenden Ausfüllen von Verständnistests vorgelegt. Das Ergebnis dieses Experiments: Bei allen optimierten Texten konnte die subjektive Verständlichkeitsbewertung sowie das objektive Verständnis signifikant verbessert werden. Der Optimierungseffekt betrug hierbei teilweise bis zu 56 Prozent.

Quelle: Universität Hohenheim. Die Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung sollte die Verantwortlichen in den Ministerien besonders hellhörig werden lassen: Alle untersuchten Wählergruppen, ob mit hoher oder niedriger Bildung, mit hohem oder niedrigem politischen Wissen, profitierten in ähnlicher Weise von den verbesserten Texten. Selbst die Stärke der Parteiidentifikation wirkte sich nicht systematisch und in der erwarteten Richtung auf den Optimierungseffekt aus. Im Gegenteil: Der Optimierungseffekt lag bei den stark Parteigebundenen in vielen Fällen sogar höher als bei den schwachen Parteianhängern und den Parteilosen. Eine Verständlichkeitsoptimierung politischer Webseiten wäre demnach keineswegs eine Nischen-Strategie für bestimmte Teilgruppen der User, sondern würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der gesamten Nutzer-Gemeinde zugute kommen; eine Perspektive, die sicher nicht nur Demokratietheoretiker interessieren dürfte.