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Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das nie eines war

 

Als die Massenmedien den Volksentscheid in Bayern wenige Tage vor der Abstimmung für sich entdeckten, fehlte in kaum einem Bericht der Hinweis darauf, dass die Ja- und die Nein-Seite Kopf an Kopf lägen. Womöglich haben diese Berichte die beiden Kampagnenseiten zusätzlich angestachelt, womöglich auch die Beteiligung am 4. Juli ein wenig gesteigert. Ob solche Wirkungen aufgetreten sind, wissen wir (noch) nicht. Bemerkenswert sind die Berichte in jedem Fall, und zwar aus zwei Gründen.
Als Grundlage für die Kopf-an-Kopf-Diagnose diente eine Telefonumfrage, die TNS Infratest im Auftrag von „Bayern sagt Nein!“ durchgeführt hatte, und zwar in der Zeit vom 8. bis zum 23. Juni. Merkwürdigerweise wurden Ergebnisse dieser Mitte Juni geführten Interviews noch Anfang Juli als aktueller Stand dargestellt. Dies legt den Eindruck nahe, dass die geradezu gebetsmühlenhaften Hinweise, dass es sich bei Umfrageergebnissen um Momentaufnahmen handele, in der öffentlichen Kommunikation weitgehend ungehört verhallen.
Es kommt hinzu, dass die Kopf-an-Kopf-Diagnose die Realität offenbar nicht zutreffend beschrieb. Diese Einsicht verdanken wir einem – unkoordinierten – Methodenexperiment. Denn zwischen 8. und 23. Juni fand nicht nur eine Befragung im Auftrag der Nein-Seite statt, sondern auch im Rahmen des Forschungsprojekts zum Volksentscheid an der Universität Bamberg. Beide Erhebungen verwendeten die gleiche Befragungsmethode im gleichen Zeitraum – gelangten aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wie Tabelle 1 zeigt, zeichnete sich in der Umfrage im Auftrag der Nein-Seite ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. In der Bamberger Untersuchung war dagegen eine deutliche Mehrheit für ein Ja zu erkennen, wie im gesamten Erhebungszeitraum vom 25. Mai bis zum 3. Juli. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab es demnach nicht – wie auch nicht bei der Abstimmung am 4. Juli.

Tabelle 1: Angaben zum Stimmverhalten am 4. Juli in den beiden Befragungen

  „Bayern sagt Nein!“ Uni Bamberg
Dafür 48 62
Dagegen 49 29
Ungültig 0
Weiß nicht 2 6
Keine Angabe 1 3
N 740 1327

Quelle: „Volksentscheid Bayern – Nichtraucherschutz-Gesetz Juni 2010“ Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und eigene Analysen der Daten aus dem Bamberger Projekt zum Volksentscheid. Aus Vergleichsgründen werden nur Personen betrachtet, die „bestimmt“, „wahrscheinlich“ oder „vielleicht“ am Volksentscheid teilnehmen wollten.

Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Der Schlüssel dürfte in den Frageformulierungen liegen. In der Bamberger Untersuchung wurde gefragt: „Beim Volksentscheid am 4. Juli können Sie für oder gegen den Gesetzentwurf ‚Für echten Nichtraucherschutz!‘ stimmen. Wie werden Sie stimmen: für oder gegen den Gesetzentwurf?“ Das Aktionsbündnis der Nein-Seite ließ fragen: „Die Befürworter des Volksentscheids wollen ein komplettes Rauchverbot durchsetzen, die Gegner wollen, dass das geltende Nichtraucherschutzgesetz Bestand hat, dass also auch weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten geraucht werden darf. Wie würden Sie beim Volksentscheid am 4. Juli abstimmen: für den Gesetzentwurf oder dagegen?“ Diese Formulierung bietet den Befragten wesentlich mehr Informationen als das Bamberger Instrument – und vermutlich mehr Informationen, als viele der eher wenig informierten Befragten vor dem Interview besaßen. Zudem scheinen die Hinweise auf das „komplette Rauchverbot“, auf den „Bestand des geltenden Nichtraucherschutzgesetzes“ und auf die Möglichkeit, „weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten“ zu rauchen, manche Befragte zu einem Nein veranlasst zu haben. Im Ergebnis bildete das Interview offenbar die Meinungsbildung einiger Bürger nicht zutreffend ab, so dass die Umfrage einen falschen Eindruck von der Stimmungslage in Bayern vermittelte.
Man könnte versucht sein, dieses Beispiel zum Anlass zu nehmen, die Umfrageforschung und ihre Ergebnisse zu verwerfen. Das hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn Umfragen können wichtige Erkenntnisse über die Gesellschaft an den Tag bringen, wenn sie sorgfältig und sachkundig konzipiert, durchgeführt und interpretiert werden – und dabei kann es gelegentlich auf vermeintlich vernachlässigbare Details ankommen.