Die Piratenpartei ist in aller Munde. Dies erst recht, seit jüngst das Forsa-Institut vermeldete, die Piratenpartei habe erstmals in der Wählergunst die Grünen überflügelt. Diese Folgerung wird auf den Befund gestützt, daß die Piratenpartei in der jüngsten vom Forsa-Institut zwischen dem 2. und 4. April durchgeführten Befragung 13 Prozent Zustimmung erreichte, während die Grünen auf 11 Prozent kamen. Es kann kaum überraschen, daß diese Ergebnisse die öffentliche Diskussion über die Piratenpartei weiter befeuern und zu neuen Deutungen des Phänomens anregen.
Bei aller Aufregung sollten jedoch einige handwerkliche Grundlagen der Umfrageforschung nicht aus dem Blick geraten. Die regelmäßig veröffentlichten Stimmenanteile von Parteien beruhen – im günstigsten Fall – auf Befragungen von (angenäherten) Zufallsstichproben aus den Stimmberechtigten. Sieht man von weiteren möglichen Komplikationen ab, kann man von den Ergebnissen auf der Basis einer solchen Stichprobe auf alle Stimmberechtigten schließen. Allerdings ist bei einem Schluß von einer Zufallsstichprobe aus ein- oder zweitausend Personen auf mehrere Millionen Stimmberechtigte eine gewisse Unschärfe unvermeidbar. Im Falle einer Zufallsstichprobe kann man diese Unschärfe beziffern, nämlich in Form von Fehlertoleranzen. Berechnet man sie für die Stimmenanteile der Grünen und der Piratenpartei in der jüngsten Forsa-Umfrage, nehmen sich die Ergebnisse weniger spektakulär aus, als es die öffentliche Diskussion nahelegt. Für die Piratenpartei ergibt sich ein Intervall von rund 11,5 Prozent bis etwa 14,5 Prozent, das den wahren, aber unbekannten Stimmenanteil der Piraten unter allen Stimmberechtigten mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent umschließt. Für die Grünen liegt das Intervall zwischen rund 9,6 und etwa 12,4 Prozent. Betrachtet man beide Intervalle zusammen, wird klar, daß die Stimmenanteile der Piratenpartei und der Grünen unter Berücksichtigung der statistischen Unschärfe nicht unterscheidbar sind. Die Schlagzeile, die Piraten hätten die Grünen in der Wählergunst überholt, verdankt sich offenbar dem Reiz, der von scheinpräzisen Prozentangaben ausgeht.
Nun mag es den Anschein haben, als ob Hinweise auf handwerkliche Grundlagen nur dazu dienen können, Schlagzeilen zu entzaubern. Doch auch dieser Schein trügt. Geht man in der Forsa-Datenreihe eine Woche zurück, findet man für die Grünen 13 Prozent ausgewiesen, für die Piratenpartei 12 Prozent. Unter Berücksichtigung der Fehlertoleranzen sind diese Anteile nicht voneinander zu unterscheiden. Gestützt auf die Forsa-Befunde, hätte man also titeln können: „Piraten holen die Grünen ein“. Diese Schlagzeile blieb aus, offenbar war der Reiz der Scheinpräzision zu groß. Stattdessen folgte eine Woche später – vermutlich aus einem ähnlichen Grund – eine unzutreffende Schlagzeile. Es ist zu hoffen, daß dies das einzige Gebiet ist, dem die Öffentlichkeit gelegentlich zur falschen Zeit aus den falschen Gründen ihre Aufmerksamkeit zuwendet.