Über Erwin Sellerings Aussage zu den Schwächen, aber eben auch Stärken der früheren DDR habe ich an dieser Stelle schon einmal einige Zahlen geliefert. Am Wochenende hat Sellering seine Aussagen noch einmal bekräft – und mittlerweile gibt es auch noch neue Zahlen, die dazu passen. Im Allbus 2008 konnten die ostdeutschen Befragten (wieder einmal) angeben, ob sie sich mit der früheren DDR und ihren Bürgern verbunden fühlen. Das Ergebnis – für Ostdeutschland insgesamt, aber auch aufgeschlüsselt nach Bundesland – zeigt die folgende Grafik:
Zwei Drittel der Bürger fühlen sich demnach auch weiterhin mit der früheren DDR verbunden – in Mecklenburg-Vorpommern wird dabei der höchste Wert überhaupt erreicht: Für rund 75 Prozent der Bürger gilt dies dort. Die neuerlichen Aussagen des wahlkämpfenden Sellering sind vor diesem Hintergrund (weiterhin) verständlich.
Erwin Sellering hat die DDR verteidigt. Das mag man für unerhört halten – oder auch nicht. Es könnten einem auch viele Gründe dafür einfallen, was den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern eigentlich dazu veranlasst hat. In einem Superwahljahr, das natürlich auch ein Superwahlkampfjahr ist, scheinen die Einlassungen des westdeutschen Juristen jedenfalls nicht ganz und gar unverdächtig. Allerdings stellt sich damit eine wichtige Frage: Taugt die DDR als Wahlkampfthema?
Aus meiner Sicht ein klares „Nein!“. Denn dagegen sprechen mindestens zwei Gründe. Erstens sind die Wählerinnen und Wähler nicht so schlicht im Gemüt, als dass sie ihre Wahlentscheidung nur an einem Thema ausrichten würden. Es gehört vielmehr zu den sicheren Befunden der Wahlforschung, dass die Entscheidung für die eine oder andere Partei von mehreren Inhalten beeinflusst wird. Außerdem hängt sie von einem überzeugenden Kandidatenangebot der Parteien ab.
Zweitens spielt es eine mitunter wahlentscheidende Rolle, welcher Partei die Menschen am ehesten zutrauen, die Probleme zu lösen, die ihnen auf den Nägeln brennen. Nach dem Anfang März dieses Jahres veröffentlichten Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen waren das vor allem die Arbeitslosigkeit sowie die Banken- und Finanzkrise, die 47 bzw. 40 Prozent der Deutschen nannten. In derselben Umfrage meinten 90 Prozent der Deutschen, dass die Managergehälter in Deutschland zu hoch sind. Schließlich hat sich die Sicht auf die allgemeine Wirtschaftslage weiter verdüstert: Haben im Januar noch 25 Prozent der Deutschen die Wirtschaftslage im Land schlecht beurteilt, waren es Ende März bereits 47 Prozent.
Was lässt sich im aktuellen Wahlkampf also anfangen mit dem Thema DDR? Die Menschen haben offensichtlich andere Sorgen.
Erwin Sellering („mein Bekanntheitsgrad [lässt sich] bundesweit sicher noch steigern“) hat mit einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (erstmals) für Aufsehen gesorgt. Was hat er gesagt?
„Es ist ja nicht so, dass ein idealer Staat auf einen verdammenswerten Unrechtsstaat stieß. Die alte Bundesrepublik hatte auch Schwächen, die DDR auch Stärken.“
Schauen wir uns doch im Vergleich dazu mal an, was Bevölkerungsumfragen der jüngeren Vergangenheit an Ergebnissen liefern:
Im Allbus – der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften – stimmten 2006 73,9 Prozent der ostdeutschen Befragten der Aussagen zu: „Der Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“. Auch bei 47,1 Prozent der Westdeutschen stößt die Aussage auf Zustimmung.
Im Allbus 2000 gaben 54 Prozent der ostdeutschen Befragten an, sich mit der früheren DDR verbunden zu fühlen.
In einer Wahlstudie zur Bundestagswahl 2002 gaben 32 Prozent der ostdeutschen Befragten an, ihr persönlicher Lebensstandard sei vor der Wende besser gewesen; 56 Prozent fanden die Einkommensverteilung gerechter; 78 Prozent fanden die soziale Sicherheit besser; 80 Prozent fanden den Zusammenhalt der Menschen untereinander besser; 75 Prozent fühlten sich besser vor Verbrechen geschützt.
Ministerpräsident Sellering scheint mit seinen Aussagen also keineswegs allein zu sein.