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„Der Lissabon-Vertrag höhlt das Grundgesetz aus“

 

Immer mehr Gegner des EU-Reformwerks formieren sich in Europa. In Deutschland streitet der CSU-Mann Peter Gauweiler gegen den Vertrag. Er rechnet seiner Klage vorm Bundesverfassungsgericht gute Chancen aus

Die Reiter gegen den Lissabon-Vertrag sammeln ihre Truppen. In Brüssel eröffnete kurz vor Weihnachten die irische Gruppe „Libertas“ ihr Europa-Büro. Von hier aus will der Multimillionär Declan Ganley Fäden spinnen, um bei den Europawahlen am 7. Juni mit einer eigenen Partei anzutreten. Das einzige Ziel der neuen Formation ist es, das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zu verhindern.

In Irland hatte Ganley damit bereits Erfolg. Im vergangenen Juni lehnte eine knappe Mehrheit der Iren – auch infolge von Ganleys finanzkräftiger Kampagne – den Reformvertrag für die EU ab.

In Großbritannien versprach der Tory-Vorsitzende David Cameron unterdessen, den Lissabon-Vertrag einer Volksbefragung zu unterwerfen, sollte er an die Macht kommen. In der tschechischen Republik gründete ein Berater von Präsident Vaclac Klaus, der 32 Jahre alte Petr Mach, soeben die „Partei freier Bürger“, die sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hat, das Aufwachsen der Europäischen Union zu einem Superstaat zu verhindern.

Und in Deutschland? Dort wagt es bisher nur ein einziger prominenter Politiker, gegen den Lissabon-Vertrag zu streiten. Peter Gauweiler, CSU-Bundestagsabgeordneter, hat gegen den Vertrag Verfassungsbeschwerde eingelegt. Seiner Ansicht nach würde bei einem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages die Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt ausgehebelt.

Am 11. und 12. Februar wird das Bundesverfassungsgericht über den Lissabon-Vertrag verhandeln.

Vor dem Verband der Deutscher Zeitschriftenverleger hielt der Beschwerdeführer Gauweiler kürzlich einen flammenden Vortrag über den seiner Ansicht nach falschen Integrationskurs Europas.

Darin sagte er unter anderem:

„Der Vertrag von Lissabon steht gegen das Demokratiegebot für alle deutsche Staatsgewalt, weil durch diesen Vertrag die Gesetzgebungskompetenz der deutschen Volksvertretung ausgehöhlt wird.“

Wie auch schon in diesem Blog geschehen, warnt Gauweiler davor, dass durch den Grundsatz der Doppelten Mehrheit im Europäischen Rat künftig einzelne Regierungen von anderen überstimmt werden können:

„Dabei kann es in Zukunft vorkommen, dass das deutsche Volk Rechtsakten unterworfen wird, denen die Volksvertretung vorher nicht nur nicht zugestimmt hat, sondern die gegen den erklärten Willen des Bundestags beschlossen worden sind.“

Als Beispiel führt Gauweiler in seiner Klage das – mittlerweile tatsächlich erlassene – Glühbirnen-Verbot durch die EU an:

„Der Bundesumweltminister scheitert im Bundestag mit seinem Wunsch, Glühbirnen in Deutschland als umweltschädlich verbieten zu lassen. Als nächstes bringt er diese Initiative im europäischen Rat ein, wo sie von seinen Ministerkollegen unterstützt und beschlossen und von der Kommission als Richtlinie erlassen wird. Dies führt nunmehr dazu, dass die deutsche Staatsgewalt eine solche Regelung vollziehen muss, obwohl sie zuvor vom Bundestag ausdrücklich abgelehnt worden war.“

Aber trägt daran nicht der Bundestag eine Mitschuld? Warum, möchte ich von Gauweiler wissen, haben die deutschen Volksvertreter beispielsweise ihrem Umweltminister nicht vor seiner Reise nach Brüssel Zügel angelegt? Sie könnten den Regierungsvertretern doch Auflagen und Begrenzungen mit auf den Weg geben. An die müssten die sich bei den Verhandlungen mit den 26 europäischen Kollegen halten.

Gauweiler gibt darauf die Antwort, die ich schon von anderen Bundestagsabgeordneten gehört habe:

„Allein die Masse an EU-Dokumenten macht es fast unmöglich, sich vernünftig mit dem Material, das aus Brüssel kommt, auseinanderzusetzen. Oft ist es auch noch fremdsprachig, so dass die Neigung, sich damit zu beschäftigen, bei vielen Abgeordneten, sagen wir mal, gering ist. Außerdem gibt es Beißhemmungen bei EU-Themen. Man hat den Eindruck, es mit einer Instanz zu tun zu haben, die wegen ihrer Komplexität beinahe unangreifbar ist.“

Galt diese Beißhemmung vielleicht auch für den Lissabon-Vertrag selbst?

„Natürlich. Ich kann mich erinnern, dass ich den konsolidierten Text des Vertrages erst fünf Tage vor der Abstimmung im Bundestag bekommen habe. Sicher, im Europa-Ausschuss war eine Anhörung durchgeführt worden. Aber die war einseitig besetzt mit kritiklosen Anhängern des EU-Apparates. Das war eine völlig einstimmige Veranstaltung. Beispielsweise durfte nicht einmal der ehemalige Bundespräsident, Präsident der Verfassungsgerichts und führende Grundgesetz-Kommentator Roman Herzog, der vor der Aufweichung deutscher Grundrechtestandards warnte, gehört werden. Das galt auch für andere kritische Verfassungsrechtler.“

Wie erklären Sie sich, dass es über den Lissabon-Vertrag in Deutschland insgesamt keine öffentliche Debatte gab? Bei jedem anderen Bürgerrechtsthema sind Parlamentarier und Medien extrem sensibel und wachsam. Über einen Vertrag, der in struktureller Weise in die Reichweite der Bürgerrechte eingreift, gab es dagegen keine Diskussion. Warum nicht?

„Nun ja, zunächst mal wurde das Parlament ja vor vollendete Tatsachen gestellt…“

…über den Lissabon-Vertrag, beziehungsweise die Europäische Verfassung, ist jahrelang diskutiert worden.

„Wo denn? An der Diskussion beteiligt waren europaweit vielleicht 10.000 Berufspolitiker und Experten. Eine Bürgerdiskussion gab es gerade nicht. Und dann kam hinzu, dass in der Schlussphase der Vertragsverhandlungen nicht über Juristisches, sondern nur über Politisches diskutiert wurde. Welche Opt-outs bekommen die Briten? Kann Angela Merkel den polnischen Kaczynski-Brüdern doch nur Zugeständnisse abringen? – Mit den eigentlichen Regelungsinhalten hat sich doch niemand mehr beschäftigt.“

Sie sagen, der Lissabon-Vertrag mache Europa nicht mehr, sondern weniger demokratisch. Warum?

„Der Lissabon-Vertrag installiert ein System über den Kontinent, das mit den Prinzipien der Gewaltenteilung nicht vereinbar ist. Selbst ‚ausbrechende‘ Rechtsakte der EU-Exekutive gegen jedermann werden nach Inkrafttreten des Vertrages nicht mehr durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden können…“

… aber schon heute überlasst das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Prüfung von EU-Recht – weil Karlsruhe davon ausgeht, dass die EU einen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet wie die Bundesrepublik Deutschland.

„Ja. Aber bisher konnte das Verfassungsgericht Entscheidungen immer noch wieder an sich ziehen, wenn es bestimmte rechtsstaatliche Standards nicht mehr gewährleistet sah. Diese ‚Reservefunktion‘ wird das Bundesverfassungsgericht unter dem Lissabon-Vertrag verlieren. Der EuGH, der nicht dem Grundgesetz verpflichtet ist, wird zur Letztinstanz auch für die Bundesrepublik Deutschland. Daraus ergibt sich, dass das Grundgesetz und seine Grundrechte kein Maßstab mehr für die Überprüfung von EU-Recht sein werden. Dieser Vorrang besteht auch für die in Lissabon vereinbarte ‚dritte Säule‘, also die Bereiche, die in der Bundesrepublik Deutschland im StGB, im der StPO, in der ZPO und die Polizeigesetzen der Länder geregelt sind. – Im 60. Gründungsjahr des Grundgesetzes wird die Schutzfunktion des Grundgesetzes für unsere Bevölkerung so außer Kraft gesetzt. Tatsächlich müsste das Bundesverfassungsgericht auch in Zukunft zuständig bleiben, einen ausreichenden Grundrechtsschutz auch gegenüber der EU zu gewährleisten.“

Ein Einwand gegen diese Lesart lautet, dass die nationalen Länderparlamente gegen EU-Rechtsakte, die gegen die Subsidiarität verstoßen, klagen können. Voraussetzung ist, dass sie dazu innerhalb von acht Wochen ein Viertel ihrer Mitglieder mobilisieren.

„Angesichts der parlamentarischen Abläufe ist die Annahme, dass die Frist eingehalten werden kann, völlig illusorisch. Außerdem, wer entscheidet über eine solche Parlamentsklage? Nicht das Bundesverfassungsgericht, sondern auch wieder der EuGH.“

Mittlerweile macht sich selbst bei manchem Berufseuropäer in Brüssel ein mulmiges Gefühl über einige der zitierten Bestimmungen des Lissabon-Vertrages breit. Warum gibt es trotzdem noch immer keine kritische öffentliche Debatte?

„Erstens, weil Wissen etwas Belastendes sein kann. Und nicht jeder will sich mit jedem Wissen belasten. Zweitens hat natürlich jeder, der das Thema anspricht, Angst, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Deshalb hat auch die demokratische Linke den Verfassungsvertrag lange schweigend hingenommen.
Es war keine wirklich rationale Diskussion möglich, weil die Debatte sofort in ein Freund-Feind-Schema über die europäische Idee als solche abglitt. Jetzt erst erkennen zum Beispiel die Gewerkschaften, dass der Lissabon-Vertrag und die Rechtsprechung des EuGH ein Wirtschafts- und Menschenbild befördern können, das sich nicht mit den Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes deckt, jedenfalls nicht in allen Punkten. Ich freue mich, dass mich immer mehr wichtige Verbände, darunter auch DGB-Gerwerkschaften, einladen, um zu diesem Thema zu sprechen. Hinter vorgehaltener Hand sagten mir schon vorher viele: Gut, dass du die Sache nach Karlsruhe gebracht hast.“

Der Berichterstatter für Ihre Verfassungsbeschwerde dort ist Udo di Fabio, ein als konservativ und europakritisch geltender Richter. Bekommen Sie schon Signale vom Gericht?

„Was heißt Signale? Immerhin hat das Gericht den Bundespräsidenten angehalten, die Ratifizierung für den Lissabon-Vertrag auszusetzen, bis eine Entscheidung in der Sache gefallen.“

Das heißt?

„Namhafte Verfassungsrechtler stützen mich in der Überzeugung, dass wir gute Chancen haben.“