Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat während ihres China-Besuchs am vergangenen Freitag einen bemerkenswerten Satz gesagt: Erst gab es die Sorge, dass es in China gar keine Patente gegeben habe. „Jetzt wird alles patentiert. Immer auf Nummer sicher“, sagte die Kanzlerin.
China, das Land der Fälscher und Kopierer – das gehört wohl zunehmend der Vergangenheit an. Jetzt fürchten viele westliche Unternehmen eine Patentschwemme aus Fernost. Die Angst kommt nicht von ungefähr. In der Volksrepublik selbst, aber auch weltweit werden die Ämter derzeit mit Patentanmeldungen überflutet.
Allein im vergangenen Jahr erfolgten in China 1,1 Millionen Patentanmeldungen, 90 Prozent davon von Chinesen selbst. Auf eine Million Einwohner kommen damit 740 Erfindungen. Das ist gut ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Zum Vergleich: In Europa kamen im selben Zeitraum auf eine Million Einwohner lediglich 152 Anmeldungen. Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass die Chinesen sogar die USA überholt haben. Damit ist die Volksrepublik der weltgrößte Innovator.
Diese Entwicklung erfüllt ganz die Erwartungen der Zentralregierung. Nach Ansicht von Chinas Premierminister Wen Jiabao gibt es für eine Nation nur dann Hoffnung, wenn sie sich auf Intelligenz stützt. Sie habe dagegen keine Hoffnung, „wenn sie nur kopiert und abschreibt“. Der aktuelle Fünfjahresplan setzt seinen Schwerpunkt ganz explizit auf Forschung und Entwicklung.
Der Präsident des Österreichischen Patentamtes hat denn auch vor einer Woche gewarnt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis diese „übervoll gefüllte Pipeline“ nach Europa fließt. Auch das ein bemerkenswerter Satz: „Wir sind gewohnt, die Chinesen nur als Kopiervolk zu sehen und übersehen, dass dort eine gewaltige Innovationsmacht entsteht.“
Nun ist jedoch nicht alles Gold was glänzt. Denn zugleich ist zumindest nach Ansicht der Leiterin der Abteilung geistiges Eigentum beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, Doris Möller, in China auch die Zahl der junk patents stark gestiegen. Viele Firmen würden keine wirklich neuen Erfindungen anmelden, sondern bloß die Rechtsunsicherheit auf dem chinesischen Markt vergrößern, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters.
Tatsächlich ist es in China zum Volkssport geworden, alles mögliche patentieren und schützen zu lassen. Besonders beliebt: Namensrechte. Der Streit um den Namen iPad mit Apple ist das bekannteste Beispiel. Eine chinesische Minifirma hatte sich den Namen bereits vor einigen Jahren gesichert, nachdem mit dem iPod überhaupt die Idee aufkam, vor einem Produkt den Buchstaben „i“ zu setzen. Viele Chinesen haben vorsorglich bereits auch alle möglichen anderen Buchstaben-Produkt-Kombinationen schützen lassen. Wer seinem neuen Produkt bei der Bezeichnung etwa ein „e“ vorsetzen möchte, sollte prüfen, ob nicht schon irgendeine chinesische Firma den Namen bereits gesichert hat.
Ganz neu ist das Phänomen nicht. Schon Volkswagen hatte in den neunziger Jahren bei Einführung des Jetta Probleme, einen chinesischen Namen zu finden, der so ähnlich klingt. Auch da hatte eine chinesische Firma in weiser Voraussicht die meisten Möglichkeiten bereits schützen lassen. Audi erging es ähnlich. Häufig enden die Auseinandersetzungen mit einem Vergleich.
Dennoch sollten Merkel und die deutsche Wirtschaft nicht allzu laut klagen. Denn alles in allem ist das ja eine positive Entwicklung. Dass in China nun so viel patentiert wird, hängt damit zusammen, dass auch chinesische Firmen in den vergangenen Jahren zunehmend unter Produktpiraterie und Markenklau gelitten haben – und nicht nur westliche Unternehmen. Siemens-Chef Peter Löscher, zugleich auch Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, stellte bereits im Februar fest: Seitdem Chinesen selbst verstärkt Patente anmelden, wird sehr viel weniger kopiert. Tatsächlich verklagen sich in der Mehrzahl mittlerweile chinesische Firmen gegenseitig.