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Chinas neue Super-Ungleichheit

 

Es ist eine Zahl, die Chinas neue Führung aufschrecken muss. Der Economist zitiert eine neue Studie des chinesischen Forschungszentrums für Haushalt und Finanzen, der zufolge ausgerechnet die kommunistische Volksrepublik weltweit zu den Ländern mit dem größten Wohlstandsgefälle zählt.

Der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Kluft zwischen Arm und Reich misst, hat demnach den höchst gefährlichen Wert von 0,61 erreicht (liegt der Wert bei null, herrscht völlige Gleichheit, bei 1 völlige Ungleichheit). Bislang waren die Chinesen von einem Wert von knapp 0,4 ausgegangen. Ein Wert über 0,5 ist sehr hoch und gilt vielen Soziologen als gefährlich. Eine hohe Ungleichheit, dafür gibt es zahlreiche Belege, bringt eine Menge sozialer Probleme mit sich. Laut dem Economist liegt die Ungleichheit nur in einem Land höher als in China: in Südafrika. Dort beträgt der Gini-Koeffizient 0,7.

Auch wenn die chinesische Führung aus Furcht vor Unruhen seit zehn Jahren keine Zahlen zur Ungleichheit veröffentlicht: Die staatlich kontrollierten Medien berichten ausführlich über die neuen Daten. Die englischsprachige Global Times bezeichnet den Wert von 0,61 als „alarmierendes“ Zeichen. Große Teile der Bevölkerung würden vom Wirtschaftsboom der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht profitieren. Andere Zeitungen fordern die Regierung auf, Geringverdiener stärker zu unterstützen und die Bildung zu fördern. Das Forschungsinstitut selbst hingegen hält die Zahlen für nicht sonderlich ungewöhnlich.

Tatsächlich ist Super-Reichtum in China noch ein relativ neues Phänomen. Vor einem Jahrzehnt gab es noch so gut wie gar keine Dollar-Millionäre. 2006 lag die Zahl bei unter 100.000. Jetzt sind es aktuellen Berechnungen zufolge über 1,4 Millionen – mehr gibt es nur in den USA. Konkret heißt das: Die vielen Porsche Cayennes auf Chinas Straßen gibt es erst seit den vergangenen drei bis fünf Jahren. Dass viele von Chinas neuen Superreichen selbst noch nicht so recht wissen, wie sie mit dem vielen Geld umgehen sollen, lässt sich an ihrem Verhalten beobachten. Einige von ihnen etwa verlassen ein Armani-Geschäft mit gleich mehreren Dutzend Tüten in beiden Händen. Andere gehen wie noch vor zwanzig Jahren mit einer Plastikhandtasche auf Dienstreise. Darin befindet sich nicht mehr als ein paar Reisedokumente, eine Zahnbürste und eine Wechselunterhose.

Chinas plötzlicher Reichtum ist eine Erklärung für die hohe Ungleichheit. Der Gini-Koeffizient steigt, wenn die Reichen reicher werden, die Armen zurückfallen oder wenn beides geschieht. In China überwiegt der erste Fall. Das dürfte auch der Grund sein, warum der soziale Unmut in der Volksrepublik noch nicht ganz so drastisch ausfällt wie etwa in Südafrika oder in einigen Ländern Lateinamerikas, wo fast täglich wütende Banden durch die Städte ziehen und versuchen, vom Reichtum der wenigen etwas abzubekommen.

Aber wie lange noch? Der Unmut wird wachsen, wenn sich abzeichnet, dass sich die soziale Ungleichheit dauerhaft verfestigt, wenn die Superreichen sich einigeln, und die Aufstiegschancen für weniger Gutbetuchte kaum mehr möglich sind. So weit ist China bislang nicht. Noch überwiegt im Reich der Mitte der Glaube vom Tellerwäscher zum Millionär. Viel Zeit dürfte Chinas Führung aber nicht bleiben, diesen Glauben aufrecht zu erhalten.