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Mehr Geld, mehr Innovation

 

Um Chinas Wirtschaft nach den Wirren der Kulturrevolution in Schwung zu bringen, hatte der große Reformer Deng Xiaoping zu Beginn der achtziger Jahre es zugelassen, dass die „einen eben erst reich werden sollen“. Davon würde irgendwann das ganze Land profitieren. Damit outete sich Chinas damaliger Oberkommunist ausgerechnet als Anhänger der Trickle-Down-Theorie, einer wirtschaftspolitisch äußerst liberalen Denkweise. Deng war sich sicher, dass ein zunehmender Wohlstand der Reichen nach und nach die unteren Schichten der Gesellschaft erreichen würde.

Heute gehört China zu den großen Volkswirtschaften mit den höchsten Einkommens- und Vermögensunterschieden überhaupt. Während sich vor noblen Hotels und Restaurants in Peking und Shanghai die Luxuskarossen aneinanderreihen, leben in vielen ländlichen Regionen die Menschen noch immer wie vor 30 Jahren von den kümmerlichen landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die sie selbst angebaut haben. Mehr können sie sich nicht leisten.

Diese Entwicklung drückte sich in den vergangenen Jahren auch in Zahlen aus: Im Jahr 2009 lag nach Angaben des chinesischen Statistikamtes der Gini-Koeffizient, der die soziale Ungleichheit misst, bei einem Wert von 0,49. Je mehr der Wert sich der eins nähert, desto größer ist die Ungleichheit. Hat er die Marke von 0,4 überschritten, sehen Sozialwissenschaftler die Gefahr von sozialen Unruhen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Gini-Koeffizient bei 0,29.

Doch nun scheint Deng Recht zu behalten und Chinas drastische soziale Ungleichheit nimmt ab – wenn auch bislang nur in kleinen Schritten. Jüngsten Daten der OECD zufolge, ist der Gini-Koeffizient für China seit 2009 leicht gesunken. Während die Einkommens- und Vermögensunterschiede auf dem Land weiter hoch sind, liegt der Gini-Koeffizient in den Städten inzwischen nahe der 0,3 Marke. Dieser Wert weist daraufhin, dass sich der Abstand zwischen arm und reich zumindest in den Städten langsam deutschen Verhältnissen nähert.

Doch anders als Deng damals dachte, kommt diese Angleichung keineswegs von selbst. Der Staat muss kräftig nachhelfen. Die derzeit amtierende Führung hat das erkannt und tatsächlich scheinen ihre Maßnahmen gegen die soziale Ungleichheit langsam zu greifen. Vor einem Jahr hatte Chinas Staatsführer Xi Jinping nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt unter anderem angekündigt, den Mindestlohn bis 2015 auf mindestens 40 Prozent des Durchschnittslohnes anzuheben. Bis 2020 sollen sich die allgemeinen Einkommen gegenüber 2010 gar verdoppeln.

Was auf den ersten Blick sehr ambitioniert klingt, kommt ökonomisch zur rechten Zeit und ist im derzeitigen Entwicklungsstadium Chinas auch notwendig. Eine gerechtere Einkommensverteilung mindert nicht nur das Potenzial sozialer Unruhen im Land, die in den vergangenen Jahren tatsächlich deutlich zugenommen haben. Sie führt auch zu mehr Innovation.

Darauf verweist auch die Buchautorin und Wirtschaftsredakteurin der tageszeitung Ulrike Hermann in ihrem jüngsten Werk Der Sieg des Kapitals. Darin beschreibt sie sehr anschaulich die Entwicklung des Kapitalismus der vergangenen 200 Jahre. Der Durchbruch zur modernen Wohlstandsgesellschaft begann auch im Mutterland der Industrialisierung Großbritannien erst ab etwa 1860, als nämlich die Reallöhne anfingen, deutlich zu steigen.

Hermanns Erklärung ist plausibel: Solange Arbeitskräfte günstig sind und sie in den Fabrikhallen für Hungerlöhne Schuhe und Hemden nähen, hält es der Unternehmer auch nicht für nötig, den Produktionsablauf zu verändern. Steigen jedoch die Löhne, sieht er sich gezwungen, Maschinen zu entwickeln, die die Produktivität erhöhen. Steigende Löhne sind damit die eigentlichen Treiber von Produktivitätsfortschritt, die wiederum für mehr Wachstum sorgen und auch jenen Arbeitskräften neue Jobs bieten, die im Zuge der Produktivitätssteigerungen weggefallen sind. Zugleich schaffen hohe Löhne auf breiter Basis erst die Massennachfrage, die es für viele Unternehmen überhaupt erst interessant macht, in die Produktion einzusteigen.

Genau diese Entwicklung lässt sich derzeit auch in China beobachten. Die Chinesen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu niedrigen Löhnen in den Fabriken Jacken, T-Shirts und Turnschuhe genäht und CD-Spieler oder iPhones für den Rest der Welt zusammengeschraubt. Das hat zwar jede Menge Arbeitsplätze geschaffen und einige wenige zu erheblichem Wohlstand verholfen. Sehr viele eigene innovative Produkte hat China in dieser Zeit aber nicht hervorgebracht.

Seitdem nun aber die Löhne kräftig steigen, werfen die Chinesen immer erfolgreicher auch eigene Produkte auf den Weltmarkt. In denselben Regionen, die lange Zeit als „Werkbank der Welt“ bekannt waren, haben sich inzwischen Konzerne wie Huawei, Tencent oder Lenovo etabliert, die weltweit mit eigenen innovativen Produkten punkten.

Sie machen zwar bislang erst einen kleinen Anteil der chinesischen Wirtschaft aus. Aber ein Anfang ist gemacht.