In diesen Tagen jährt sich zum 25. Mal die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tian’anmen-Platz. Während in China selbst die Ereignisse von damals konsequent totgeschwiegen werden, wird in den meisten westlichen Medien ausführlich an diesen Jahrestag erinnert. Wie schon damals wird überwiegend auf die politischen Entwicklung geschaut. Dabei hatten die Proteste ganz klar auch ökonomische Motive.
Im Kern ging es vor 25 Jahren um Grundrechte. Die Studenten protestierten für mehr Meinungsfreiheit, mehr Demokratie und die Einführung eines Mehrparteiensystems. Doch sie waren nur eine kleine Minderheit. Dass über die Studenten hinaus nicht nur Millionen von Chinesen mit den Anliegen der Studenten sympathisierten, sondern viele von ihnen mit demonstrierten, hatte vor allem wirtschaftliche und soziale Gründe.
Im Frühjahr 1989 hatten sich Chinas soziale Probleme dramatisch zugespitzt. Die von Staatsführer Deng Xiaoping zehn Jahre zuvor angestoßenen Wirtschaftsreformen brachten der Volksrepublik in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zwar einen enormen Entwicklungsschub. Die Wirtschaftsleistung wuchs zweistellig, die Industrieproduktion weitete sich aus. Und vor allem der Privatsektor legte kräftig zu und entwickelte sich zum Wachstumstreiber.
Doch schon ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erhielt Dengs Reformeifer die ersten Dämpfer, zum Teil selbst verschuldet, zum Teil aus makroökonomischer Unwissenheit, zum Teil aber auch, weil Deng das Ausmaß der rasanten Wirtschaftsentwicklung unterschätzt hatte. Das unkontrollierte Wachstum bescherte dem damals in vielen Teilen unterentwickelten Land eine Reihe von Folgeproblemen. Besonders problematisch war die zunehmende Inflation.
Dabei hatte es Deng durchaus gut gemeint. Seine Logik: Damit die zum damaligen Zeitpunkt auch weiterhin staatlich festgelegten Einheitslöhne mit der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung mithalten, müssten die Löhne eben angehoben werden. Daran ist im Prinzip auch nichts falsch, doch es ging alles ein wenig zu schnell. Binnen nur eines Jahres wurden die Löhne 1984 um 30 Prozent erhöht. Die Kreditvolumen wurde ebenfalls innerhalb kurzer Zeit auf das Doppelte ausgeweitet. Der höheren Geldmenge stand jedoch ein sehr viel langsamer wachsendes Angebot an Waren und Dienstleistungen gegenüber. Die Folge: Inflation
Lag die Preissteigerung 1984 noch bei moderaten 2,8 Prozent, schnellte sie im Jahr darauf auf 9,3 Prozent und erreichte im August 1988 fast 40 Prozent. In einigen Städten kam es wegen der hohen Preise zu sozialen Unruhen. Inzwischen sahen nicht nur die Arbeiter in den Staatsbetrieben, wie die Kaufkraft ihrer Löhne dahinschmolz. Auch auf dem Land wuchs der Unmut, weil die Bauern ihre Saat nicht mehr bezahlen konnten. Daraufhin verfügte der damalige Premierminister Li Peng ein radikales Sparprogramm. Das wiederum würgte das Wirtschaftswachstum abrupt ab.
Die Studenten in Peking, die schon zwei Jahre zuvor auf die Straße gegangen waren, sich damals aber lediglich über die schlechten Lebensbedingungen an den Unis beklagten, wussten im Frühjahr 1989 den allgemeinen Unmut im Land zu nutzen. Sie warben auch um die Unterstützung der Bauern und Arbeiter. Pekings Arbeiter schlossen sich dem Protest auf dem Tian’anmen-Platz an. Erst durch sie schwollen die Demonstrationszüge in den folgenden Tagen und Wochen auf zeitweise über eine Million Teilnehmer an.
Nach der blutigen Niederschlagung der Proteste am 4. Juni 1989 fiel die Inflationsrate schnell wieder auf einen niedrigen einstelligen Wert. Das hing zwar vor allem damit zusammen, dass die ausländischen Investitionen ausblieben. Zumindest ökonomisch hatte Chinas Führung ihre Lektion aber gelernt: Trotz wieder einsetzendem Wirtschaftswachstum ab 1991 sorgte sie in den Folgejahren stets dafür, die Preise stabil zu halten.
Und wie ist die Situation heute? Die ökonomischen Probleme häufen sich, das Wachstum hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich nachgelassen, die soziale Kluft in China gehört zu einen der größten der Welt. Dengs einst gemachtes Versprechen, die einen sollen erst reich werden, der Rest würde schon irgendwann folgen – dieses Ziel ist in weite Ferne gerückt.
Zudem ist die Schuldenlast enorm gestiegen. Und ebenfalls erstmals seit Jahren steigt in einigen Landesteilen auch wieder die Arbeitslosigkeit.
Entsprechend groß ist die Nervosität unter Pekings Führern zum 25. Jahrestag. Seit Wochen sind Dutzende von kritischen Bloggern, Anwälten und Angehörigen der damaligen Opfer in Haft oder stehen unter Hausarrest. Studenten an den Pekinger Universitäten werden angewiesen, den Campus am 3. und 4. Juni nicht zu verlassen. Und auch ausländische Journalisten werden eingeschüchtert und in ihrer Berichterstattung behindert.
Der allgemeine soziale Unmut hat die Studentenproteste vor 25 Jahren erst zu einer Massenbewegung werden lassen. Doch ganz ohne einen politischen Kern wäre das nicht möglich gewesen. Und genau hier versucht die Regierung derzeit, jeden Protest im Keim zu ersticken.