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Mein Reharad, ein cooler Flitzer

 

Rabea vor zwei Jahren vor ihrem Pino © credit: Frank Dippel
Rabea vor zwei Jahren vor ihrem Pino © Frank Dippel

Frank Dippel fährt gerne Rad, und wenn er fährt, dann weit und schnell. Mit seiner Tochter Rabea heizt er mit Vergnügen Passstrassen hinunter. Die beiden radeln im Chiemgau oder gehen mit dem Fahrrad auf Städtetour.

Das können sie nur mit dem Stufentandem Pino. Denn die 14-Jährige kann aufgrund einer angeborenen Muskelschwäche nur kurze Strecken laufen und kurze Zeit pedalieren. Als Frontfrau muss sie beim Pino nicht dauerhaft treten. Das Rad hat vorne einen Freilauf. Das ist selten bei Tandems, aber eine perfekte Lösung für Kinder oder Menschen mit Handicap.

Die Auswahl an attraktiven Spezialrädern ist für diese Zielgruppe extrem klein, aber sehr fein. Hersteller wie Hase bauen Velos, die sich auf den ersten Blick kaum als behindertentauglich outen. Allerdings haben nur wenige Fachhändler die Tandems und Liegedreiräder überhaupt  im Programm.

Hase-Räder gehören zu den Topmodellen moderner Reha- oder Behindertenräder. Die Velos sehen aus wie hochwertige herkömmliche Tourenräder. Die Sonderausstattung für das jeweilige Handicap gibt es bei dem Waltroper Unternehmen nach Wunsch. Die Fahrer können bei den dreirädrigen Liegerädern wählen, ob sie mit den Füßen pedalieren wollen, mit den Händen kurbeln oder per Schulter lenken. Es gibt unter anderem einseitige Antriebe für Menschen mit halbseitiger Lähmung, Spezialpedale mit Wadenhaltern sowie einen so genannten Totpunktüberwinder – das ist ein Gummiseil, das die Pedale automatisch zurückholt.

Reharad von Hase © Hase
Reharad von Hase © Hase

Aufgrund ihres niedrigen Schwerpunkts sind Trikes bei vielen Menschen mit Einschränkungen beliebt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Reha-Dreirädern, die wie Citybikes mit zwei Hinterrädern aussehen, haben sie eine hohe Kippsicherheit. „Deshalb werden sie gerne von Leuten mit Gleichgewichtsproblemen gefahren“, sagt Paul Hollants von HP Velotechnik.

In der Szene ist HP Velotechnik eigentlich ein Synonym für schnelle, sportliche Trikes, die öfter Designpreise auf der Eurobike gewannen. Für Hollants ist das kein Widerspruch. „Menschen mit Handicaps muss das Fahren auch Spaß bereiten“, sagt er. Vielen Kunden sei es wichtig, dass die Reise- und Tourentrikes nicht nach „Reha-Fahrzeugen aus dem Sanitätshaus“ aussehen, sondern schönes Design und Sportlichkeit ausstrahlen.

HP Velotechnik ist ein klassischer Reiseradhersteller. Aber mittlerweile hat das Unternehmen auch höhenverstellbare Sitze (von 26 bis 46 Zentimeter) oder Aufstehhilfen im Programm. „Für die Einstellung der seitlich angebrachten Stangen sind gut geschulte Händler wichtig“, sagt Hollants. Denn die zentimetergenaue Platzierung ist für Menschen mit Handicap entscheidend. Außerdem kann bei Rädern von HP Velotechnik ebenso wie bei den Hase-Rädern die gesamte Bedienung auf eine Lenkerseite gelegt werden.

Ein Scorpion mit senkrechter Aufstehhilfe oberhalb der Vorderräder © credit HP Velotechnik
Ein Scorpion mit senkrechter Aufstehhilfe oberhalb der Vorderräder © HP Velotechnik

Schönes Design, Leichtbau, hochwertige Komponenten, die die Handicaps ihrer Fahrer ausgleichen: Das alles sollten selbstverständliche Kriterien für moderne Reha- und Therapieräder sein. Die Technik und das Wissen sind vorhanden. Ein entsprechendes Angebot ebenso, auf das Betroffene zurückgreifen können. Schließlich erweitert es ihren Handlungsspielraum und vergrößert oftmals ihre Selbstständigkeit. Wie das aussehen kann, zeigt ein Blick auf die Webseite Radfahrlust. Dort sind gemeinsame Radausflüge von Multiple-Sklerose-Patienten beschrieben.

Je nach Ausstattung kosten die Räder von Hase oder HP Velotechnik zwischen 2.000 und 8.000 Euro (mit Motor). In Deutschland bezahlen die Krankenkassen die Reha- und Therapieräder für Kinder und Jugendliche bis zum 15. Lebensjahr, bis auf den Selbstkostenanteil der Eltern. Voraussetzung ist aber, dass die Räder eine Hilfsmittelnummer haben. Diese bescheinigt den Behörden, dass das Rad den technischen Anforderungen für ein Behindertenfahrrad entspricht.

© credit: Hase
© Hase

Hase hat für sein Jugendrad Trix so eine Nummer, ein weiteres Kinder- und Jugendrad soll bald folgen.

Erwachsene erhalten in der Regel in Deutschland von der Krankenkasse keinen Zuschuss für Reharäder. Ausnahmen gibt es. Aber Länder wie Norwegen haben Deutschland in dieser Beziehung einiges voraus. Dort zahlen Krankenkassen auch für Erwachsene.

Eine gute Gelegenheit, um Spezialräder anzuschauen, sie auszuprobieren und im direkten Vergleich zu testen, ist die Spezialmesse in Germersheim am 27. und 28. April. Nähere Informationen gibt es hier.

Hier eine Auswahl der Hersteller, die außergewöhnliche Räder für Menschen mit Handicaps bauen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Anthrotech ist seit 20 Jahren mit einem ausgereiften Liegedreirad auf dem Markt. BeneCYKL baut Handbikes und Anhänger, in denen Jugendliche bequem Platz finden. bimobil Klitsch stellt ein faltbares Dreirad her. Bobtecbaut Liegeräder. Die Tandems von COMPACT-tandem haben sehr kurze Rahmen, die Fahrer sitzen nah beieinander. Die Fahrradwerkstatt baut ein Stufendreirad. Ergodynamik Busch vertreibt verschiedene Räder für Menschen mit Handicap und passt die Räder an. Junik, Juliane Neuß baut Räder für Kleinwüchsige und hat einen Laufrad-Tretroller entwickelt. PF Mobility hat Dreiräder im Programm, die Fahrer sitzen nebeneinander. Tandemhersteller sind unter anderem Zweipluszwei, Haas, Bernds Tandems.

Nicht auf der Messe, aber interessant sind Rahmenbauer wie Thomas Veidt, er hat sich auf Räder für Kleinwüchsige spezialisiert. Einen Bericht über Veidts Arbeit gibt es hier auf ZEIT ONLINE.
Außerdem verkaufen Kalle Kalkhoff und Michael Kemper Pedersenfahrräder. Diese werden laut Kalle Kalkhoff gerne von Menschen mit Beinprothesen gefahren.