1.230 Kilometer mit dem Rad in weniger als 90 Stunden: das sind die Bedingungen für das älteste Radrennen der Welt, Paris-Brest-Paris. Unter den Langstreckenfahrern ist dieses alle vier Jahre stattfindende Brevet – so nennen Fachleute ein Langstreckenrennen, bei dem eine vorgegebene Strecke innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu fahren ist – legendär. Wer starten will, muss die Teilnahme an vier Rennen mit 200, 300, 400 und 600 Kilometern Länge nachweisen. Beim Rennen im August 2015 war Curly Pictures aus Hamburg dabei. Die Produzenten haben einen Film gedreht, der ein bisschen süchtig macht und beim Zuschauen den Drang erzeugt, sich anzumelden, aufs Rad zu steigen und mitzufahren.
Wenn 1.230 Kilometer vor einem liegen, hat man als Fahrer keine Eile. Im Gegenteil. Man ist konzentriert, organisiert, man funktioniert wie ein Uhrwerk. Wer seine Kräfte nicht einteilt, ist ansonsten schnell draußen.
So bleibt viel Zeit für Gespräche beim Pedalieren. Noch mehr Zeit hat jeder Fahrer mit sich allein. Curly Pictures greift in Brevet dieses Element auf: in der Darstellung der Landschaft, der Menschen am Wegesrand und der Fahrerinnen und Fahrer.
Der Zuschauer begleitet drei Protagonisten bei diesem Rennen: Claus Czycholl ist 72 Jahre alt und lebt in Hamburg. Im Arbeitsleben war er als Streetworker auf St. Pauli unterwegs und später Schulsozialarbeiter. Damals hat er mit Ausdauersport begonnen, als Ausgleich. Erst lief er Marathon, dann fuhr er Rennrad.
Michael Kopmann, 36, ist Ingenieur für Reaktorphysik und Ironman-Teilnehmer. Er wird später im Ziel über das Brevet sagen: „Ein Ironman ist im Vergleich zu der Veranstaltung hier ein Kindergeburtstag.“
Die dritte ist Sina Witte. Sie ist ebenfalls Ingenieurin und 38 Jahre alt. Sie lebt in Paris, für sie ist das Brevet quasi ein Heimspiel. Ihr Freund ist ebenfalls dabei. Allerdings geht er die Tour bedeutend sportlicher an: Nach maximal 55 Stunden will er ins Ziel kommen.
Die erste Etappe führt durch die gelben Stoppelfelder der Normandie. Bereits hier zeigt sich der besondere Geist dieses Brevets: Die Menschen entlang des Weges seien der Motivator, sagt Czycholl. Das sei schon beim ersten Brevet 1891 so gewesen und ist heute immer noch so. Tatsächlich feuern sie auf der ganzen Strecke die Fahrer an. Sie applaudieren ihnen, und Freiwillige versorgen die Rennfahrer mit Essen, Trinken und Schlafplätzen.
Einige der Helfer sind ehemalige Teilnehmer. „Café Crème“, ruft ein Mann den Fahrern zu. Er ist die Strecke einmal gefahren, jetzt verteilt er mit seiner Familie kostenlos Crêpes und Kaffee auf der Straße. Sie stecken den Fahrern Zettel mit ihrer Adresse und der Bitte zu, ihnen eine Postkarte aus ihrer Heimat zu schicken. Mehrere Stellwände an der Hauswand sind bereits mit Postkarten bedeckt.
Die erste Nacht fahren die meisten Radfahrer durch. Einige gönnen sich einen Kurzschlaf von zwei bis zehn Minuten an einem der Kontrollpunkte. Wenn sie dort ihren Stempel erhalten haben, essen sie etwas und legen kurz den Kopf auf den Tisch. Dann geht es zurück in den Sattel.
In der zweiten Nacht wird die Unterstützung immer wichtiger. Fahrer, die ohne Schlaf durchzukommen versuchen, erreichen ihre Grenzen. „Ich bin fast im Straßengraben gelandet“, sagt Kopmann am nächsten Morgen zu seinen Mitfahrern. Andere fahren Schlangenlinien, bis sie endlich am Kontrollpunkt schlafen können. Manche legen sich eine Stunde auf die Liegen in den Turnhallen, manche fünf. Andere wickeln sich in ihre Rettungsweste ein und schlafen direkt am Straßenrand.
Es gibt viele unterschiedliche Wege, Paris-Brest-Paris zu fahren. Seinen Weg muss jeder für sich allein finden, und er kann in jedem Jahr anders sein. Das illustriert der Film sehr deutlich. Er zeigt auch die Menschen, die aufgeben; die, die anderen helfen, einander unterstützen und voneinander profitieren. Paris-Brest-Paris ist ein besonderes Erlebnis. Ob man als Team oder Einzelfahrer unterwegs ist, macht keinen Unterschied. Glücklich ist, wer Teil dieses Brevets sein durfte.
Der Film erscheint im Januar auf DVD oder als VOD. Premiere ist am 16.01.2016 in Hamburg im Abaton-Kino. Wer die Gelegenheit hat, sollte ihn sich ansehen. Es lohnt sich.