Kurz vor dem Start der 100. Tour de France ist jetzt die Graphic Novel Unmöglich ist kein französisches Wort erschienen. Der Titel ist etwas sperrig, im Gegensatz zum Comic. Denn der niederländische Cartoonist Jan Cleijne zeichnet in zehn Episoden ein sehr atmosphärisches Bild von der Tour de France und all dem, was sie ausmacht. Das Buch ist eine Hommage an die Rundfahrt, die die Legenden würdigt, aber ihren Fokus auch dorthin lenkt, wo es wehtut.
Eigentlich war die erste Tour de France nur ein Maketing-Gag. Der Chefredakteur der Sportzeitung L’Auto, Henri Desgrange, initiierte die Rundfahrt 1903, um die Auflage der Zeitung zu steigern. Ein cleverer Schachzug, der aufging. Starteten die Fahrer damals noch recht unbeobachtet in Paris, wurden sie drei Wochen später von zehntausenden Zuschauern jubelnd in Paris empfangen. Diese plötzliche Begeisterung war der Verdienst von L’Auto. Ausführlich schilderten Reporter Leid und Leidenschaften der Fahrer. Ohne Bremsen und Gangschaltung kämpften sie sich von Paris ans Mittelmeer und zurück in die Hauptstadt. Dort wurden sie wie Helden empfangen.
Interessant sind die kleinen Nebenaspekte, die Jan Cleijne in seinem Buch herausgreift. Anekdoten, die den Charakter der frühen Tour beschreiben. Etwa als Eugène Christophe im Jahr 1913 auf einer Bergetappe die Gabel brach. Er lag zu dem Zeitpunkt hinter dem Führenden der Tour, Odiel Defraye. Damals galten die Regeln, wie sie zurzeit wieder bei Selbstversorgerfahrten etwa der Tour Divide oder der Grenzsteintrophy modern sind: Fremde Hilfe ist verboten. Aufgeben kam nicht in Frage. Christophe schulterte sein Rad und lief damit mehr als zehn Kilometer ins nächste Dorf. Beim Dortschmied reparierte er eigenhändig den Schaden. Mit einem enormen Rückstand kam er ans Etappenziel, kämpfte sich aber später in der Gesamtwertung auf den sechsten Platz und war der erklärte Held der Zuschauer.
Gegenüber den damaligen Bedingungen erscheint die heutige Tour fast wie eine anstrengende Sonntagsausfahrt. Desgrange schickte die Fahrer auf einen nächtlichen Ritt durch die Pyrenäen von Bayonne nach Luchon – und das bei Starkregen und Schnee. In dieser Episode zeigt sich die Stärke von Cleijnes Graphic Novel. Die Zeichnungen illustrieren die Strapazen besser, als es Worte vermögen. Sie lassen den Leser die Qualen, die Kälte und die Einsamkeit der Fahrer beim Betrachten fast selbst nachspüren. Viele Fahrer mussten aufgeben und wurden von Privatpersonen eingesammelt.
Schon damals zeichnete sich das bisweilen etwas merkwürdige Wechselspiel zwischen Publikum und Peloton ab. Dezent verweisen Cleijnes Zeichnungen auf die Macht des Publikums. Sei es, dass sie Nägel auf die Straße streuen, den Briten Tom Simpson ein Stück den Mount Ventoux hochschieben, Eddy Merckx mit einem gezielten Faustschlag beim Fahren attackieren oder Jacques Anquetil immer wieder ausbuhen. Die Zuschauer spielen und spielten eine entscheidende Rolle bei der Tour. Sie spenden den Fahrern Trost oder strafen sie ab.
Der Autor, Jahrgang 1977, ist selbst begeisterter Amateurfahrer, und das ahnt der Leser. Bei aller Kritik, die durchaus mitschwingt, ist die große Leidenschaft, die Cleijne mit diesem Sport verbindet, stets spürbar. Präzise und liebevoll schildert der Niederländer die großen Dramen der berühmten Fahrer, aber auch die kleinen Anekdoten am Rand der Tour, die der Geschichte erst die nötige Würze verleihen. Es ist ein wunderbar witziges wie ernsthaftes Buch, das sehr treffend und stimmungsvoll gezeichnet ist. Es wird auch Leser faszinieren, die sich noch nie mit der Tour beschäftigt haben.
„Unmöglich ist kein französisches Wort“ von Jan Cleijne, Covadonga Verlag, 144 Seiten, broschiert, 19,80 Euro.