Seit Jahren ärgern sich Fahrradhersteller immer wieder über Testergebnisse, die die Stiftung Warentest über ihre Produkte veröffentlicht. Sie werfen der Verbraucherorganisation fehlende Transparenz vor und bezeichnen ihre Testverfahren teilweise als realitätsfern. Jüngstes Beispiel sind verheerende Ergebnisse eines E-Bike-Tests. Doch anders als in den Vorjahren fordert die Branche dieses Mal vehement Aufklärung.
Zu den Skandalrädern des Tests gehörte das Modell C5R Deluxe der Firma Flyer. Note 4,6 – mangelhaft, lautete die Bewertung der Stiftung Warentest (Stiwa). Das Rad fiel durch wegen Rahmenbruchs am Ausfallende – also an der Stelle des Rahmens, wo die Hinterradachse montiert wird. Ein vernichtendes Urteil, ausgerechnet für den E-Bike-Pionier Flyer.
Die Schweizer Firma hat vor rund zehn Jahren die ersten Elektrofahrräder verkauft. Es sind die typischen Tiefeinsteiger mit dicken Rohrdurchmessern. Die Räder galten immer als stabil und waren beliebt aufgrund ihrer hohen Laufruhe. Von der Nordsee bis zum Bodensee findet man sie in den Urlaubsregionen bei vielen Fahrradverleihern. Mehr als 500.000 Stück surren laut Flyer-Sprecher Peter Kreuder inzwischen über die Straßen.
Kein einziges Rad sei in den vergangenen zehn Jahren am linken Ausfallende gebrochen, sagt Kreuder. Hatten die Fahrer bislang nur Glück, oder birgt der Test Fehler?
Laien gehen davon aus, dass nach normierten Testverfahren geprüft wird. Schließlich gibt es in Europa für alles festgelegte Normen und Gesetze. Für fast alles. Für E-Bikes gilt momentan lediglich die EN 15194. Sie legt alles rund um die Elektronik der Räder fest, ansonsten müssen sich die Hersteller offiziell nur an den DIN-EN-Normen für herkömmliche Räder orientieren.
„Wir sind der Meinung, dass das nicht reicht“, sagt Kolja Oppel, Projektleiter bei der Stiwa. „Die höheren Geschwindigkeiten und Kraftanforderungen ergeben andere Belastungen, und die übertragen wir auf den Prüfstand.“ Diesen Ansatz verfolgen auch die E-Bike-Hersteller. Bereits jetzt geben sie Elektroräder freiwillig in unabhängige Prüfinstitute, für anspruchsvollere Testverfahren.
Aber verschiedene Testverfahren liefern unterschiedliche Ergebnisse. Wer testet also richtig?
Genau um diesen Punkt rankt sich der Konflikt. Denn um Testergebnisse vergleichen oder Abweichungen erklären zu können, müssen die Verfahren offengelegt werden. „Die Stiwa sagt nicht, wie sie testet“, monieren die Hersteller. Oppel hält dagegen: „Unser Prüfprogramm ist das gleiche wie vor zwei Jahren. Die Hersteller kennen das, es gab einzelne Einwände, aber keine Kritik am ganzen Verfahren.“
Hersteller verlangen transparente Prüfkriterien
Dirk Zedler, der seit rund 20 Jahren das renommierte gleichnamige Prüfinstitut leitet, lacht, wenn er das hört. Auf die Informationen zur Versuchsanordnung warte er seit Jahren, sagt Zedler. 2010 habe ihm der Stiwa-Untersuchungschef, Holger Brackemann, auf dem Podium des Vivavelo-Kongresses versichert, sie ihm zu schicken. Bis heute habe er sie nicht erhalten.
Die Schlange der Stiwa-Kritiker, die eine Offenlegung der Prüfkriterien einfordern, ist lang. Erst am Wochenende kritisierte Severine Lönne, Geschäftsführerin bei Cycle Union in Oldenburg, in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Nach welchen Kriterien ADAC und Stiftung Warentest getestet haben, war für uns nicht erfahrbar. Wir produzieren nach DIN und testen unsere Produkte regelmäßig. Keiner unserer Kunden hatte ähnliche Erfahrungen. Die Produkte sind meiner Meinung nach kaputtgetestet worden.“ Im Stiwa-Test war ein E-Bike der Cycle-Union-Marke Kreidler aufgrund eines Lenkerbruchs mit „mangelhaft“ bewertet worden.
Lönnes Bemerkung offenbart eine Schwachstelle beim Testen: Man kriegt jedes Fahrrad klein, wenn man es nur stark genug und an den richtigen Stellen traktiert.
Die Herausforderung für die Prüfinstitute ist deshalb laut Zedler, ein angemessenes Prüfverfahren zu entwickeln. Dazu müssen die Daten, die man auf der Teststrecke ermittelt hat, richtig interpretiert und entsprechend übertragen werden.
Der Fahrradexperte stellt darum die entscheidenden Fragen: Wie gewichten die Prüfer die verschiedenen Faktoren, die sie auf der Straße ermittelt haben? Was lassen sie weg? Wie übertragen sie die Werte auf den Prüfstand und damit auf das Rad? Wie ordnen sie die Prüfzylinder an, wie und wo spannen sie das Velo oder die Komponente ein? “Die Fahrräder müssen realitätsgetreu befestigt werden”, sagt er. Denn auf dem Prüfstand wird innerhalb kürzester Zeit ein ganzes Fahrradleben simuliert. Zu hohe Belastungen oder falsche Fixierungen haben fatale Folgen.
„Deshalb braucht man immer ein bewährtes Rahmenmodell als Blindprobe“, fordert Zedler. Benchmarking nennt man das im Fachjargon. Damit überprüft ein Institut die gewählten Anforderungen an einem bewährten Modell. Erst im direkten Vergleich erhalte man ein aussagekräftiges Ergebnis, sagt Zedler.
Falsche Methode – oder nicht?
Abgesehen von Prüfverfahren und Testanordnungen steht für den Experten fest: „Die Norm für Elektrofahrräder ist schwach, sie ist nicht ausgereift.“ Durch die Mitsprache aller EU-Länder sei es sehr langwierig, sie schnell zu verbessern. Aus diesem Grund plädiert er für eine lokale Norm mit dem obersten Ziel Transparenz. Damit die Hersteller ihr Produkt verbessern können und die Käufer sichere Pedelecs erhalten.
Transparenz vermisst zurzeit die Firma Flyer. Sie erhält nach eigenen Angaben nur Infos von der Stiwa, wenn sie Anwälte einschaltet – und auch dann nur häppchenweise. Um trotzdem möglichst schnell Klarheit über den Vorwurf des Rahmenbruchs am Ausfallende zu erhalten, gab Flyer weitere Exemplare des vermeintlichen Skandalrads in zwei verschiedene Testlabore. Sie wurden nach dem üblichen Verfahren getestet. Das Ergebnis: kein Rahmenbruch. Dann wurde die Belastung verdoppelt: kein Rahmenbruch. Anschließend wurde das Rad immer weiter belastet – bis der Rahmen brach.
Allerdings tat er das am Oberrohr. Das hatten die Tester erwartet. „Ein Bruch am linken Ausfallende ist sehr unwahrscheinlich, weil dort kaum Kräfte auftreten“, sagt Kreuder. Und wenn es überhaupt an einem Ausfallende brechen sollte, dann doch eher rechts, weil dort die Kette verlaufe und folglich stärkere Kräfte einwirkten als links.
„Wir bezweifeln die Testergebnisse der Stiwa“, sagt Kreuder. Eigene Tests, die Flyer in Auftrag gegeben habe, hätten ganz andere Resultate gebracht. Den Bruch, den die Stiwa festgestellt hat, erklärt er wie folgt: Sie habe das Hinterrad an der Nabe fixiert sowie den Lenker direkt neben dem Vorbau. So fixiert konnte der Rahmen am Hinterrad nicht flexibel reagieren, was er aber beim Fahren ständig tut, sagt Kreuder sinngemäß. Flyerrahmen seien sehr steif gebaut. Mit ihnen soll man bei 65 km/h sicher bergab fahren.
Flyer verdoppelt die Garantiezeit
Die Stiwa weist die Kritik zurück. Sie arbeite mit anerkannten Prüfinstituten aus der Mobilbranche zusammen. „Aus unserer Sicht verwenden wir keine falsche Methode“, sagt Elke Gehrke, wissenschaftliche Leiterin bei der Stiwa. Der Vorwurf der falschen Einspannung stehe im Raum und werde diskutiert. Auch den Vorwurf der mangelnden Transparenz lässt Gehrke nicht gelten. Interessierte, so auch Flyer, erhielten auf Nachfrage stets einen Internetlink. Dort könnten sie dann einen Teil der Prüfverfahren einsehen, sagt Gehrke. Wer ein Interesse an weiteren detaillierteren Infos habe, erhalte auch die.
Vielleicht gehören derlei Auseinandersetzungen bald der Vergangenheit an. Die Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft ist dabei, ein marktübergreifendes Gremium zu bilden, das sich aus Industrievertretern und unabhängigen Experten zusammensetzt. Ihr Ziel ist es, eine einheitliche Prüfnorm für Elektrofahrräder zu erarbeiten.
Bis es soweit ist, geht Flyer seinen eigenen Weg. „Wir haben die Garantie auf unsere Rahmen erhöht“, sagt Kreuder, „von fünf auf zehn Jahre – und zwar auf sämtliche Rahmen, die das Unternehmen je verkauft hat.“ In diesem Fall ist die Botschaft jedenfalls klar.