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Chinas E-Bike-Boom auf Kosten der Umwelt

 

Chinesisches E-Bike © Schlegel und Partner
Chinesisches E-Bike © Schlegel und Partner

Jahrzehntelang war China eine Fahrradnation. Mittlerweile sinkt der Anteil des klassischen Radverkehrs rapide. Neben dem stark wachsenden Autoverkehr nimmt die Zahl der Elektrofahrräder auf Chinas Straßen gewaltig zu. 23 Millionen E-Bikes wurden nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Schlegel und Partner dort allein im vergangenen Jahr verkauft. Anders als in Europa haben die elektrisch angetriebenen Räder in China aber einen immens schlechten Ruf – und das nicht ohne Grund.

Chinesische E-Bikes haben mit ihren europäischen Vettern nur den Namen gemein. Es sind Elektroroller beziehungsweise eine Mischung aus Roller und Fahrrad. Anders als die europäischen Fahrer haben die Chinesen auch nicht vor zu treten. „Sie legen morgens die Füße auf den Rahmen und trampeln abends mühsam heim, wenn die Batterien leer sind“, beschreibt Daniel Kennel seine Beobachtungen aus Peking. Für Schlegel und Partner hat er in der Studie Electrified Two-Wheelers die Märkte in China und Europa verglichen.

Vor allem hinken die E-Bikes in China dem Stand der Technik hinterher. „China ist ein Low-Budget-Markt“, sagt Kennel. Gerade mal 180 Euro koste dort ein E-Bike. Dafür bekomme man schwere Räder, die wenig aushalten mit veralteter Technologie. „97,8 Prozent der Räder fahren mit Blei-Säure-Batterien“, sagt der Marktforscher. Die sind giftig, haben eine geringe Reichweite und laufen auch mal aus. Entsorgt werden sie im Abfall, manche werfen sie über eine Mauer oder lassen einfach irgendwo stehen, wie Kennel beobachtete.

Gerade mal zwei Prozent der E-Bike-Fahrer sind in China mit Lithium-Ionen-Akkus unterwegs. Das klingt unglaublich wenig, es sind aber etwa 400.000 Räder. Das wiederum sind 20.000 mehr Elektroräder, als im vergangenen Jahr insgesamt in Deutschland verkauft wurden.

Der Einsatz von Blei-Akkus ist eine Katastrophe – gesundheitlich und umweltpolitisch. Der Verschleiß ist immens. Laut Kennel hat ein typisches chinesisches E-Bike eine Lebensdauer von vier Jahren und bekommt in dieser Zeit fünf bis sieben Mal eine neue Batterie. Sind es sechs Batterien, können bis zu 200 Pfund Blei austreten, wenn die Gehäuse nicht fachgerecht entsorgt werden.

Batterienfriedhof © Schlegel und Partner
Batterienfriedhof © Schlegel und Partner

„Die schiere Menge der benötigten Batterien sorgt dafür, dass bis zu 20 Prozent der verfügbaren Bleimenge für die Batterieproduktion verwendet wird“, heißt es in dem Artikel E-Bikes: Was Deutschland von China lernen kann bei stromtipp.de. Darum sei der Bleipreis kräftig gestiegen. Hinzu kommt, dass der Strom in aller Regel aus veralteten Kohlekraftwerken kommt.

Aber nicht nur aus Umweltschutzgründen haben Elektroräder in Asien einen schlechten Ruf. Ihre Fahrer gelten zudem als rücksichtslos. Während die normalen Radfahrer mit etwa 10 km/h dahinrollen, schlängeln sich die Fahrer auf den E-Bikes mit Tempo 30 bis 35 im Slalom an ihnen vorbei. „Wie ein Sebastian Vettel, der von der hintersten Startposition startet“, sagt Kennel. Dabei scheuen die Fahrer keinen Körperkontakt und rempeln die unmotorisierten Radler an.

„Für die Oberschicht ist das E-Bike eine Seuche“, sagt er: Die Elektroradfahrer machten das Autofahren noch anstrengender.

Chinesisches E-Bike © Schlegel und Partner
Chinesisches E-Bike © Schlegel und Partner

Allerdings ist das E-Bike laut Kennel für 98 Prozent der Bevölkerung ein lebensnotwendiges Fortbewegungsmittel. Sie fahren am Tag 25 bis 40 Kilometer, zur Arbeit in die Fabriken und Restaurants oder nutzen es als Arbeitsplatz, zum Beispiel als mobile Suppenküche.

Experten erwarten, dass die chinesische Regierung in absehbarer Zeit eine Versicherungspflicht einführt oder die Elektrofahrräder registriert werden müssen. Die Hersteller versprechen sich davon eine bessere Marktübersicht, einen Überblick über die Nachfrage. In den Städten ist der Markt für Neuräder gesättigt. Dafür wachse der Markt für Ersatzteile, sagt Kennel. Die Branche dafür steht bereits in den Startlöchern. Durch den Tausch des Motors und einer höherwertigen Batterie könnten laut Kennel die Ladezyklen von 200 möglicherweise auf 1.000 aufgestockt werden.

Einen Wachstumsfaktor für Elektrofahrräder sehen chinesische Hersteller im ländlichen Raum. Allerdings sind für diesen Einsatzzweck die Anforderungen komplett anders. Sie entsprechen eher dem Premiummarkt Europas: hochwertige robuste Räder mit langen Akkulaufzeiten.