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Wegweisend: Schwimmender Radweg für London

 

© Leon Cole/ River Cycleway Consortium/ Rex
© Leon Cole/ River Cycleway Consortium/ Rex

Welche Möglichkeiten haben Städte, wenn der Platz für Fußgänger, Radfahrer, Autos oder Busse jetzt schon kaum noch ausreicht, die Stadt aber weiterhin wächst? Diese Frage wird für viele Stadt- und Verkehrsplaner in Europa immer drängender. Der Architekt David Nixon hat mit der Künstlerin und Unternehmerin Anna Hill für Radfahrer jetzt einen neuen Platz in London entdeckt: die Themse. Wenn sie Geldgeber finden, wollen sie dort einen schwimmenden Radweg installieren.

Der Thames Deckway soll auf einer Strecke von zwölf Kilometern über Pontons von Canary Wharf östlich des Zentrums nach Battersea im Westen führen. Gedacht sind jeweils zwei Fahrspuren in beide Richtungen. 12.000 Radfahrer pro Stunde könnten hier von einem Ende zum anderen fahren, sagt Nixon. 30 Minuten benötigten sie für die Strecke. Außerhalb der Stoßzeiten sollen auch Fußgänger die schwimmende Promenade betreten dürfen.

Für die Errichtung des Radwegs rechnen seine Erfinder mit Kosten von etwa 600 Millionen Pfund, das sind ungefähr 757 Millionen Euro. Sie wollen den Bau privat finanzieren. Die Kosten für die Instandhaltung sollen über eine Nutzungsgebühr hereinkommen. Kalkuliert wird mit etwa 1,50 Pfund pro Strecke, also rund 1,90 Euro.

Der Entwurf und sein Preis sorgen natürlich für Wirbel. Kritiker fragen: Warum brauchen Radfahrer einen derart teuren Luxus-Radweg, schön gelegen am Ufer der Themse mit Blick auf Big Ben, London Eye, Millennium und Tower Bridge? Und vor allem: Wer soll das bezahlen? Gegen die 600 Millionen Pfund sind die 220 Millionen Pfund, die im vergangenen Jahr Norman Foster für seinen 6,5 Kilometer langen Radweg über der Londoner S-Bahn veranschlagt hat, geradezu ein Schnäppchen – ZEIT ONLINE berichtete.

Aber bevor man kopfschüttelnd auf den Preis schaut, sollte man anders herum fragen: Können Stadtplaner es sich heute noch leisten, in alten Strukturen zu denken und nichts weiter tun, als die vorhandenen Straßenzüge immer neu aufzuteilen? Platz ist in Städten endlich, gerade in London. Städte wie Paris oder Berlin mit ihren großzügigen breiten Prachtstraßen verfügen da über ein ganz anderes Potenzial.

London soll Radfahrerparadies werden

Zurzeit leben rund 8,4 Millionen Menschen in der britischen Hauptstadt, in der Metropolregion etwa 13,6 Millionen. Laut BBC wird die Londoner Bevölkerung in den kommenden Jahren um rund zwölf Prozent wachsen. Es wird also noch enger.

Dass politischer Wille tiefgreifende Veränderungen herbeiführen kann, hat London schon vor Jahren bewiesen. Um die Blechlawine einzudämmen, führte der damalige Bürgermeister Ken Livingstone 2004 die City-Maut von acht Pfund für jedes Fahrzeug ein, zuzüglich Parkgebühren. Damit reduzierte er nach eigenem Bekunden den Autoverkehr in der Innenstadt um rund 20 Prozent.

Wenn es nach dem heutigen Bürgermeister Boris Johnson geht, soll die Infrastruktur für Radfahrer wesentlich verbessert werden. Die im Sommer 2010 eingeführten öffentlichen Leihräder sind im Volksmund längst als Boris Bikes bekannt. Johnson will aus London eine Radfahrstadt machen. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Der schwimmende Radweg und auch das Foster-Projekt haben durchaus Potenzial, Johnsons Plan voranzutreiben. Statt einen schmalen Radstreifen zwischen zwei Autospuren zu quetschen, suchen sie nach Alternativen – Wege, auf denen sich Radfahrern gerne und zügig fortbewegen können und die zugleich zum Aushängeschild von London werden könnten.

Fraglich ist aber, ob Londons Politiker schon so weit sind, diese Modelle ernsthaft in Erwägung zu ziehen. In den Niederlanden oder auch in Kopenhagen hat man weniger Probleme damit, Radverkehr im großen Maßstab zu denken. Dort darf Infrastruktur für Radfahrer attraktiv sein und durchaus etwas kosten.

Der Hovenring, über den ZEIT ONLINE berichtete, ist dafür ein gutes Beispiel. Im Grunde ist es ein Kreisel für Radfahrer. Er hätte viel schlichter aussehen können, viel günstiger sein können und dennoch seinen Zweck erfüllen. Aber so wie er jetzt in Eindhoven steht, ist er ein Wahrzeichen für die Stadt weltweit geworden.

Der schwimmende Radweg fällt in dieselbe Kategorie. Allerdings minimieren seine Macher bereits in der Projektbeschreibung die Bedeutung des Radverkehrs. Sie wollen den Thames Deckway außerhalb der Stoßzeiten als Flaniermeile für Fußgänger freigeben. Das ist ein Witz. Wo sonst werden Fahrstreifen einer Fahrbahn außerhalb der Stoßzeiten zweckentfremdet? Zudem ist ein Radweg, der zweispurig in jede Richtung führt, nur zeitgemäß und kein exorbitanter Luxus. Wie es scheint, haben David Nixon und Anna Hill noch gar nicht erkannt, welches Potenzial der Radverkehr in London hat und wie zukunftsweisend ihre Idee eigentlich sein kann.