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Japan: Ganz gelassen auf dem Sattel

 

© Reidl
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Radfahren auf dem Fußgängerweg ist Jugendlichen wie Erwachsenen in Deutschland verboten und führt außerdem schnell zu Konflikten. Ganz anders ist das in Japan in der Stadt Matsuyama. Dort ist Radfahren selbst auf schmalen Bürgersteigen selbstverständlich – und funktioniert reibungslos.

Matsuyama ist eine Universitätsstadt mit etwa 520.000 Einwohnern auf der Insel Shikoku. Dort sind Menschen aller Altersstufen mit dem Rad unterwegs. Sie fahren meist gemütliche City-Bikes. Und fahren tatsächlich überall: auf der Straße, separaten Radwegen und auch auf schmalen Fußwegen.

Auf dem Fußweg geht es sehr gesittet zu. Radfahrer und Fußgänger verhalten sich extrem zuvorkommend. Radfahrer halten Abstand und passen sich dem Tempo des Vordermannes an – selbst wenn sie schneller fahren könnten. Ist ausreichend Platz vorhanden, also mehr als eine Armlänge Abstand zum Lenker des Nebenmanns, überholen sie. Ist es zu eng, warten sie mit dem Überholen bis zur nächsten Kreuzung.

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Selbst Gegenverkehr auf dem Fußweg funktioniert mit Radfahrern. Jeder weicht frühzeitig aus. Hektische Bewegungen, genervte Blicke oder stures Spurhalten, weil sich jemand im Recht fühlt, gibt es nicht. In Matsuyama nimmt man Rücksicht aufeinander.

Ich war sehr beeindruckt und habe mir dieses Miteinander an einer besonders schmalen Passage eine Weile angeschaut. Es war ein gleichmäßiger Verkehrsfluss, niemand – ob Radfahrer oder Fußgänger – wurde bedrängt oder abgedrängt. Diese Gelassenheit und selbstverständliche Rücksichtnahme, die alle Verkehrsteilnehmer einander zukommen lassen, wünsche ich mir in Deutschland auch. Hier geht es im Verkehr eher egozentrisch und raubeinig zu. Ein Stück von der japanischen Toleranz würde vielen Verkehrsteilnehmern gut tun.

Günter Burger aus Freiburg besucht seit 1989 regelmäßig Matsuyama und bestätigt meine Eindrücke. Freiburg ist Matsuyamas Partnerstadt, und Burger leitet im Rathaus das Büro für internationale Kontakte. Anders als in Tokio oder Osaka sei Radfahren in weiten Teilen Japans völlig selbstverständlich und habe eine lange Tradition, sagt er. Bei jedem gegenseitigen Besuch der Städtepartner ist auch die Fahrradinfrastruktur ein wichtiges Thema. Mittlerweile habe er den Eindruck, dass in Matsuyama vermehrt separate Radwege gebaut würden.

© Reidl
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Aus europäischer Sicht sind die Sättel meistens etwas zu niedrig eingestellt. Der Vorteil ist, dass die Fahrer beim Stopp im Sattel sitzen bleiben können und dennoch einen Fuß mit gebeugtem Bein flach auf dem Boden stellen können. Beim Fahren kann das zu Knieproblemen führen. Allerdings liegt Matsuyama in der Ebene und die Japaner, die ich gesehen habe, fuhren alle sehr entspannt und recht langsam Fahrrad.

Was außerdem auffällt: Häufig hängt ein Korb am Lenker der City-Bikes. Auch die Kindersitze werden anders als in Deutschland häufig am Lenker befestigt, und die Kleinen sitzen dann gut behütet zwischen den Armen ihrer Eltern.

Typischer Kindersitz in Japan © Reidl
Typischer Fahrradkindersitz in Japan © Reidl

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In Matsuyama habe ich auch dieses bewachte Fahrradparkhaus entdeckt. Dort, wie auf den Straßen, stehen alle Räder in Reih und Glied. In der Einkaufspassage im Zentrum ist das die Aufgabe einiger Rentner, wie mir Burger berichtet. Sie rücken die Räder ordentlich in die Reihe, wenn ihre Besitzer das verpasst haben. Für sie ist das ein Nebenjob. Das ist etwas bizarr, sieht aber im Stadtbild durchaus gut aus.

Bewachtes Fahrradparkhaus in Matsuyama © Reidl
Bewachtes Fahrradparkhaus in Matsuyama © Reidl

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