Radfahrer sind gut für Autofahrer: Je mehr von ihnen über Land und in einer Stadt unterwegs sind, umso zügiger kommen die Pkw voran. In den Niederlanden ist diese Sichtweise verbreitet, den Deutschen ist sie fremd. Höchste Zeit, von den Nachbarn zu lernen.
2007 und 2008 litten die Niederlande unter einem enormen Stauproblem. „Wir schaffen die Staus ab“, versprach die Ministerin für Infrastruktur und Umwelt, Melanie Schultz van Haegen, 2010 bei ihrem Amtsantritt. Normalerweise verbindet man mit so einer Aussage den Ausbau der Straßen – in den Niederlanden baut man aber auch Radinfrastruktur.
Um das vollmundige Versprechen der Ministerin zu erfüllen, hat die niederländische Regierung zwar auch in Autobahnen investiert – zugleich aber das Programm Beter benutten (auf Deutsch: „Besser ausnutzen“) ins Leben gerufen. Mit Beter benutten will die Regierung Staus mit innovativen Mitteln beseitigen, die Reisezeiten der Autofahrer verbessern und gleichzeitig das bestehende Verkehrsnetz besser auslasten.
Zwar kann der Staat in den Niederlanden die Infrastrukturplanung in den Städten nicht direkt beeinflussen. Es ist dort wie in Deutschland: Die Regierung bezahlt den Bau und den Unterhalt der Radwege an Bundesstraßen. Für den Rest sind die jeweiligen Regionen und Kommunen zuständig. Doch die niederländische Regierung hat sich etwas Besonderes ausgedacht. Um Staus auf Autobahnen zu reduzieren, versprach sie den Kommunen einen Zuschuss, die sich an diesem Ziel kostengünstig beteiligen.
Dabei ging es nicht nur um den Bau von Straßen. Eher war Phantasie gefragt. Etwa bei dem B-Riders-Projekt, das 2014 vom Ministerium für Infrastruktur und Umwelt und der Provinz Nord-Brabant gefördert wurde. In dieser Region gab es laut dem niederländischen Verkehrsexperten und Programmierer Dirk Bussche zu Stoßzeiten regelmäßig Stau auf der Autobahn. Um den zu beseitigen, mussten pro Stunde 1.000 Autos weniger die Strecke passieren. „Eine weitere Fahrspur hätte Millionen Euro gekostet“, sagt Bussche. Die Alternative: die Zahl der Autofahrer reduzieren. Dazu sollten viele auf E-Bikes wechseln.
Um potenzielle Umsteiger zu finden, wurden zunächst über stationäre Kameras Autofahrer identifiziert, die regelmäßig dort im Stau standen. Sie bekamen per Post sinngemäß dieses Angebot: Sie bekommen ein E-Bike geschenkt, wenn Sie damit regelmäßig zur Arbeit fahren. 2.300 Autofahrer meldeten sich.
Das Programm führte selbst in den fahrradaffinen Niederlanden zu emotionalen Diskussionen. Einige Radfahrer waren empört, dass Autofahrer beschenkt werden. „Allerdings hat das Angebot dazu geführt, dass Autofahrer ihr Verhalten ändern“, sagt Bussche. „Und im Vergleich zu der Alternative, eine weitere Fahrspur zu bauen, war die Maßnahme sehr günstig.“
Was die Forscher überraschte: Selbst ohne den finanziellen Anreiz blieben 80 Prozent der Teilnehmer bei ihrem neuen Verhalten. Auch aus diesem Grund wird das Angebot bis heute modifiziert weitergeführt. „5.000 Autofahrer machen mit. Sie können selbst entscheiden, ob sie Auto oder Rad fahren, aber für jeden Radkilometer erhalten sie eine finanzielle Vergütung und Anreize über ein Coaching-Programm“, sagt Bussche.
Obwohl die Niederlande mittlerweile eher auf ein Stauproblem mit den Radfahrern zusteuern, fördern sie weiterhin das Umsteigen. „Wir wollen, dass alle fahren: Kinder, Dicke, Rentner und Sportler“, sagt Bussche. „Wir wollen die Infrastruktur so gestalten, dass sie zu jedem passt und sich jeder sicher fühlt.“ Denn Radfahrer benötigen auf jeden Fall weniger Platz im Verkehr als Autofahrer.