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Nobelpreisträger Orhan Pamuk sagt Deutschlandreise aus Angst ab

 

Als das Nobelpreiskomittee sich im letzten Jahr entschied, dem türkischen Autor Orhan Pamuk die höchste Ehre der Literaturwelt zu verleihen, würdigte es mit dem Preis einen Autor, der wegen seiner grossartigen Romane lange schon als Kandidat gegolten hatte.

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Es mag aber auch eine Rolle gespielt haben, dass man den streitbaren Intellektuellen Pamuk schützen wollte. Wegen seiner klaren Äusserungen zum Völkermord an den Armeniern war er ein Jahr zuvor so sehr unter Druck geraten, dass er es vorzog, zeitweilig das Land verlassen musste.

Jetzt hat Pamuk seine bereits geplante und ausverkaufte Lesetour durch Deutschland abgesagt. Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, daß ein Literaturnobelpreisträger aus Furcht nicht nach Deutschland kommen kann.
Ich habe Orhan Pamuk in der Zeit der Armenien-Kontroverse in New York getroffen, um ihn zu interviewen.

Ich habe einen Schriftsteller kennengelernt, der unter der Politisierung seiner Rolle litt und sie widerwillig annahm – weil sonst niemand unter den türkischen Intellektuellen dafür stehen wollte. Schon damals war er sehr vorsichtig und bat mich, alle Bezüge zu dem Armenien-Thema aus dem Interview herauszunehmen. Man konnte ahnen, wie stark der Druck auf ihm und seiner Familie lastete.

Pamuk hatte zuvor gegenüber einer Schweizer Zeitschrift die Tatsache ausgesprochen, dass die Türken 30.000 Kurden und eine Million Armenier ermordet haben. Dafür traf ihn der Hass der türkischen Nationalisten. Er hat dies auch auf sich genommen, um türkisch-armenische Patrioten wie Hrant Dink nicht alleine zu lassen.

Dink ist tot, nicht zuletzt deshalb, weil es zu wenige gab, die sich wie Pamuk vor ihn stellten. Die türkische Öffentlichkeit hat das endlich verstanden: Die große Demonstration bei Dinks Beerdigung war ein eindrucksvolles Zeugnis demokratischen Erwachens.

Doch auch Orhan Pamuk wird von den Mördern Dinks bedroht. Der mutmassliche Mörder rief, als er dem Gericht zugeführt wurde: „Orhan Pamuk, sei vernünftig!“
Pamuk ist ein Held wider Willen. Das macht ihn so sympathisch und glaubwürdig. Er sucht nicht die Rolle des Gewissens der Nation. Es bleibt ihm aber nichts anderes übrig, als sie zu übernehmen.

Viele Türken sind darum auch stolz auf ihn – auf seine unprätentiöse Gradlinigkeit als politischer Kopf, die in einem produktiven Kontrast zu der Vielstimmigkeit und Komplexität seiner Romane steht.

Doch leider hassen ihn auch nicht wenige, die vom alten türkischen Komplex des Verratenseins und der Dauerparanoia angefressen sind. Selbst seinen Nobelpreis haben sie ihm nicht gegönnt. Er habe ihn nur bekommen, weil er sich beim Westen lieb Kind gemacht habe, wurde von den Nationalisten ventiliert. Selbst die Mainstream-Presse der Türkei hat bei der Hetze eine zeitlang mitgemacht.
Dass Öffentlichkeit schützt – die Hoffnung des Nobelpreiskomitees und aller, die sich für verfolgte Intellektuelle einsetzen – , kann man nach dem Tod Hrant Dinks nicht mehr so selbstverständlich annehmen. Orhan Pamuk hat, wie sein Verleger Michael Krüger sagte, einfach nicht die Kraft, eine Lesetour durchzustehen, bei der er immer wieder darauf angesprochen werden würde, wie er mit der Bedrohung lebt.

Von einer akuten Bedrohung Pamuks in Deutschland weiss sein Verleger zwar nichts. Doch der Schriftsteller kann im Moment dem Druck nicht standhalten, als potentielles nächstes Opfer durch die Lande zu ziehen und auch noch immer wieder dazu befragt zu werden – wodurch seine Attraktivität als Ziel für einen Mord wiederum steigen würde.
Wo ist der Ministerpräsident Erdogan in all dem? Es wäre an der Zeit für eine Geste der türkischen Regierung: Sie muss sich jetzt endlich vor den größten Literaten ihres Landes stellen.

Und sie muss den Schand-Paragraphen 301 abschaffen, der die „Beleidigung des Türkentums“ unter Strafe stellt, um den nationalistischen Irrsinn zu stoppen.