Mein Text aus der ZEIT von morgen, Nr. 2, S.3:
Zwei Terrorakte zum Jahreswechsel, die mit knapper Not abgewehrt werden: Der »Unterwäsche-Bomber« von Detroit und der »Axtmann« von Kopenhagen – war das nur eine Koinzidenz? Ein 23jähriger Nigerianer besteigt am ersten Weihnachtstag ein Flugzeug nach Amerika. In seine Wäsche hat er genug Sprengstoff eingenäht, um ein Loch in die Bordwand und Hunderte in den Tod zu reißen. Wenige Tage später, am Neujahrstag, dringt ein 28jähriger Somalier in das Haus des Karikaturisten Kurt Westergaard ein, bewaffnet mit Axt und Messer. Macht das neue Jahrzehnt weiter, wo das alte aufhörte – noch eine Dekade der Angst?
Das war ganz sicher die beabsichtigte Botschaft. Die christliche Festzeit wurde nicht zufällig für die geplanten Morde gewählt. Wir erleben – nach heutigem Kenntnisstand – keine zentral ferngesteuerte nächste Welle des islamistischen Terrors. Doch darin liegt wenig Trost. Denn es gibt durchaus Zusammenhänge zwischen den Taten der beiden jungen Männer, auch wenn sie nicht aus einer afghanischen Höhle koordiniert wurden. Wer die Verästelungen jener Netzwerke verfolgt, in denen sie agieren, erkennt den Wandel des islamistischen Terrorismus.
Die Lage ist paradox: Der Islamismus, vor wenigen Jahren noch als dritte große »totalitäre Herausforderung« nach Kommunismus und Nationalsozialismus beschworen, steht vielerorts am Rande des Scheiterns. Der muslimische Mainstream kann mit der destruktiven Rhetorik der Hetzer in randständigen Moscheen und im Internet nichts anfangen. Deutlich mehr Muslime als so genannte »Ungläubige« werden zu Opfern der Dschihadisten. Seit Jahren sind den Terroristen keine spektakulären Anschläge im Herzen des Westens mehr gelungen. Es sterben aber Schiiten im Irak durch die Hand ihrer sunnitischen Glaubensbrüder, oder pakistanische Dorfbewohner, die sich nicht dem Tugendterror der Taliban fügen wollen – wie letzte Woche erst 90 Menschen in Schah Hasan Khel, die ein Volleyballspiel besucht hatten. Sie wurden von einer Autobombe zerfetzt. Mit jedem solchen Attentat führen die Dschihadis ihre eigene Argumentation ad absurdum, sie kämpften gegen die Unterdrückung der Muslime durch den Westen und seine Marionetten. Wer soll glauben, der Massenmord an Glaubensbrüdern bringe das Fernziel der islamischen Fundamentalisten näher – die Wiederkehr des Kalifats?
Doch eben diese prekäre Lage kann bedeuten, dass wir nun in eine besonders gefährliche Phase eintreten… Denn jetzt zieht es offenbar eine Kohorte radikaler Verlierer in den Bann des Terrors – individuell motivierte, amateurhafte Möchtegernbomber, die schwer zu bekämpfen sind, weil sie sich in westlichen Gesellschaften zu bewegen wissen und sich oft in kürzester Zeit selbst per Internet indoktrinieren. Faruk Abdulmutallab ist so einer – als reicher Leute Kind aus Nigeria hat er lange in London studiert. Kurt Westergaards Angreifer, dessen Name geheim gehalten wird, gehört zur Zehntausende zählenden Diasporagruppe von Bürgerkriesgflüchtlingen aus Somalia – ein Asylbewerber mit einwandfreien Aufentshaltspapieren. Beide handelten augenscheinlich nicht auf Anweisung und Rechnung der zentralen Al-Kaida-Führung. Aber es gibt klare Hinweise, dass sie Kontakte zu dem Netzwerk unterhielten. Bin Ladens geistige Kinder, das lehren nicht erst diese Aktionen, warten nicht mehr auf dessen Befehl.
Die Bedrohung durch Al-Kaida lässt sich heute grob in drei Kategorien aufspalten: Die Kerntruppe um Bin laden und Ayman al-Sawahiri ist dank permanenter Drohnenangriffe im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet – über 50 hat Obama allein im letzten Jahr angeordnet – mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Die Al-Kaida-Partnerorganisationen im Irak, in Nordafrika, im Jemen und in Somalia kämpfen zwar lokal teils erfolgreich gegen korrupte und schwache Zentralregierungen, doch fehlen ihnen prestigereiche Aktionen, um die islamistische Internationale auf sich aufmerksam zu machen. Und dabei kommen nun junge Männer wie die Täter der letzten Woche ins Spiel. Sie pflegten beide Kontakte zu Radikalen in Ostafrika und im Jemen. Der Somalier ist nach neuesten Informationen im letzten Jahr mehrere Wochen in Kenia festgehalten worden. Damals wurde wegen Attentatsplänen gegen die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton bei ihrem Afrika-Besuch ermittelt. Auch soll er in Schweden für die somalische Terrororganisation Al-Schabab Geld gesammelt haben, die mit Al-Kaida kooperiert, zusammen mit einem anderen Somalier, der später in Mogadischu einen Selbstmordanschlag mit 24 Toten beging.
Abdulmutallab erhielt seinen Sprengstoff im Jemen, und zwar nach amerikanischen Geheimdienstinformationen von dem gleichen Bombenmacher, der bereits jenen Selbstmordattentäter ausgestattet hatte, der wenige Monate zuvor den saudischen Prinzen bin Naif beinahe mit sich in den Tod gerissen hatte. Abdulmutallab hatte dort auch Kontakt zu dem Imam Al-Awlaki, einem in Amerika geborenen charismatischen Hassprediger, der vom Jemen aus vor allem englischsprachige Muslime aufhetzt. Al-Awliki steht seit Jahren im Zentrum der Fahndung nach den Mentoren des Terrors. Im Oktober hatte er auf seiner Website geprotzt, der Jemen werde »die Überraschung der Saison« und die »wichtigste Front des Dschihad in der Welt«. Da klingt die Sehnsucht des Apokalyptikers heraus, den Weltenbrand zu entfachen. Al-Awliki und die anderen, die den jungen Mann mit explosiver Unterwäsche losschickten, wollen den Jemen zum Kriegsschauplatz zu machen, auf dem die (muslimischen) Kräfte des Lichts gegen die (»ungläubigen«) Kräfte der Finsternis kämpfen sollen. Die amerikanische Regierung wird ihnen – ernüchtert von den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan – diesen Gefallen nicht tun. Sie wird sich keine weitere Front im Krieg gegen den Terrorismus aufzwingen lassen und statt dessen weiter den Kampf im Schatten führen – durch Komandooperationen, Militärhilfe, Drohnenangriffe. Al-Awliki hat Abdulmutallabs gescheitertes Attentat übrigens als Antwort auf die von den USA unterstützten gezielte Tötungen von Terroristen im Jemen gerechtfertigt. Ist der scheinbar erratische Terrorakt also in Wahrheit die Rückseite des Schattenkrieges, den Obama längst schon mit großer Härte führt? Vielleicht gar ein Zeichen für den Erfolg dieser Taktik?
Es wäre verharmlosend, die Taten der jungen Männer von Detroit und Kopenhagen als Akte »isolierter Extremisten« abzutun. Sie sind zwar, wie unsere deutschen »Sauerlandbomber«, entfremdete, verstörte Individuen auf der Suche nach Halt in einer großen Idee, für die sich zu töten und zu sterben lohnt. Aber isoliert fühlen sie sich eben nicht. Die jungen Männer, die in unsere Alpträume eindringen wollen, sehen sich als die wahren Muslime. Nach dem Ende des Linksextremismus ist der Islamismus die letzte internationalistische Bewegung mit historischer Wucht und einem Nimbus des radical chic.
Und hier kommen die moderaten Muslime ins Spiel, die nichts dafür können, dass auch im Namen ihres Gottes gebombt und gemordet wird. Sie müssen solche Taten immer und immer wieder als barbarisch und unislamisch brandmarken. Reichlich spät scheinen dies nun auch die Institutionen der gemäßigten Muslime so zu sehen. Der Sprecher der Organisation Islamischer Staaten ließ im saudiarabischen Dschidda wissen, dass der versuchte Mord an Kurt Westergaard »als Reaktion auf die schändlichen Karikaturen von 2005 von allen Muslimen ohne Abstriche zurückgewiesen und verurteit werden sollte, weil er völlig gegen die Lehren des Islams verstößt.« Offenbar wächst die Einsicht, dass der radikale Islamismus auch die Interessen der islamischen Welt bedroht. Ob das Appellieren etwas nützt? Die bereits Radikalisierten kann man wohl nicht erreichen. Aber man kann ihnen das Geschäft verderben, indem man der Öffentlichkeit im Westen hilft, sich angesichts des Terrors von Bin Ladens Kindern nicht von der eigenen Angst hinwegtragen zu lassen.
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