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Lässt Deutschland die iranischen Oppositionellen im Stich?

 

Mein Text aus der ZEIT vom 29.4.2010, S. 11:

Als Hunderttausende Iraner im vergangenen Sommer in Teheran friedlich gegen die gefälschten Wahlen protestierten, konnten sie sich der Sympathie der ganzen Welt sicher sein. Erst recht, als das Regime seine Schläger losschickte, in die Menge schießen ließ und schließlich Tausende seiner Bürger in Gefängnisse warf.
Auch Angela Merkel kritisierte die Brutalität der Sicherheitskräfte und versicherte »den Angehörigen der Opfer meine Anteilnahme«.
Wie viel ist das Mitgefühl der deutschen Regierung wert? Das müssen sich heute jene fragen, die Tod, Folter und Gefängnis in Iran mit knapper Not entkommen konnten. Seit Monaten schon setzen sich Menschenrechtler dafür ein, dass die Bundesrepublik wenigstens einige besonders stark gefährdete und traumatisierte Oppositionelle aufnehmen soll. Die Exil-Iraner Mehran Barati und Farin Fakhari, beide Gegner des Schahregimes und der Mullahs und deshalb schon seit vielen Jahren in Deutschland, haben zusammen mit dem Berliner Professor Hajo Funke den Kontakt der Flüchtlinge zu deutschen Behörden hergestellt.
Es sind Studenten darunter, die im Gefängnis mit Stöcken vergewaltigt wurden. Einem wurden mehrere Wirbel zertrümmert. Wieder ein anderer war schlimmem Psychoterror ausgesetzt – man zwang ihn, Fäkalien zu essen –, infolge dessen er unter asthmatischen Angstattacken leidet. Die Türkei duldet diese Menschen in armen Satellitenstädten am Südostrand des Landes. Dort kämpfen sie ohne Einkommen und ausreichende ärztliche Betreuung ums Überleben, in steter Angst vor dem iranischen Geheimdienst.
Der Bundesregierung liegt bereits seit Januar eine Liste mit etwa 80 Namen und Fallgeschichten vor – darunter die vieler Journalisten, Blogger und studentischen Aktivisten der »grünen Bewegung«. Doch die deutschen Stellen bemühten sich zunächst, die Liste der Kandidaten für eine Aufnahme auf höchstens 20 zusammenzustreichen. Selbst diese geringe Zahl will im zuständigen Innenministerium niemand bestätigen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr nahmen alleine die USA aus der Türkei 1169 iranische Flüchtlinge auf, Kanada 255, Australien 89 und Schweden immerhin 45.
Am 8. März schien kurzzeitig Bewegung in die Sache zu kommen. Vor der Bundespressekonferenz kündigte die Sprecherin des Bundesinnenministers an, Deutschland werde »eine Reihe von begründeten Einzelfällen« aufnehmen. Sieben Wochen später teilt das Ministerium auf Anfrage der ZEIT wortgleich mit, man habe »im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt entschieden, in einer Reihe von begründeten Einzelfällen Schutz suchende iranische Staatsangehörige aus dem Ausland, vor allem der Türkei, in Deutschland aufzunehmen.« Mit anderen Worten: Es ist in sieben Wochen nichts passiert.
Der Politologe Hajo Funke hat den Eindruck, dass das Innenministerium auf eine Strategie der Entmutigung setzt – gegenüber den Betroffenen und denjenigen, die sich für sie einsetzen. Es solle offenbar deutlich werden, »dass eine restriktive Praxis fortgeführt wird«. Weil man zu Zeiten des Schahs und später des Ajatollah Chomeini viele Iraner aufgenommen habe, hieß es im Ministerium. Jetzt seien erst mal andere Nationen dran. Und übrigens brauche man die Bereitschaft der Bundesländer zur Aufnahme der Flüchtlinge. Für Funke sind das alles schlechte Ausreden: Nicht nur handeln andere Nationen bereits viel aufgeschlossener – Norwegen etwa will 140 Iraner ins Land lassen. In Deutschland haben zudem drei Bundesländer – Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin – signalisiert, insgesamt deutlich mehr als 20 Schutzsuchende aufnehmen zu können. »Bremst das Bundesinnenministerium allzu ›gutmenschliche‹ Länderinnenminister aus?«, fragt Funke.
Soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, die schwarz-gelbe Regierung praktiziere eine großzügige Asylpolitik? Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz setzt sich nicht nur aus menschenrechtlichen Gründen für die iranischen Flüchtlinge ein. Für ihn steht die Glaubwürdigkeit der deutschen Iranpolitik auf dem Spiel. Es müsse den Richtern und Staatsanwälten in Iran, die sich an der Unterdrückung der Opposition beteiligt haben, deutlich gemacht werden, »dass wir ihre Schandurteile nicht hinnehmen«, sagt Polenz. Deutschland solle sich an der Lösung des Flüchtlingsproblems beteiligen, um Iran deutlich zu machen, dass man sich durch Teherans Atompläne nicht von den Menschenrechtsverletzungen ablenken lasse.
Im Fall von Flüchtlingen aus dem Irak hat die  Bundesrepublik seit 2008 fast 2500 unbürokratisch übersiedelt. Das hängt offenbar mit dem großen C der Regierungspartei zusammen. Zuerst sollten nur Christen Aufnahme finden, die im Irak besonders brutal verfolgt werden. Dann fiel auf, dass dies rechtlich – und moralisch – heikel war: Wie christlich ist es, nur Christen zu helfen? So kamen auch Iraker anderer Religionen in den Genuss der Einreiseerlaubnis.
Die Iraner können darauf nicht hoffen. Schon die geringe Zahl von 20 Flüchtlingen der »grünen Bewegung« löst heftige Abwehrreflexe aus. In der kommenden Woche könnte das richtig peinlich werden. Am 7. Mai nimmt in Hamburg der Iraner Maziar Bahari den Henri-Nannen-Preis in Empfang, den wichtigsten Preis des deutschen Journalismus – stellvertretend für seine iranischen Kollegen, wie es in der Begründung heißt, »die in ihrem Land schwersten Repressalien ausgesetzt sind«. Das ist eine schöne Geste gegenüber Bahari, der selber verhaftet worden war und erst nach vehementen Protesten nach London ausreisen durfte.
Dass Baharis Leidensgenossen – deren Artikeln, Videos, Blogs und Tweets die deutsche Öffentlichkeit ihr Wissen von der grünen Revolution verdankt – gleichzeitig von der deutschen Regierung im Stich gelassen werden, wäre eine bittere Pointe.