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Eldar Farbers „Deutsche Landschaften“

 

Morgen erscheint in der ZEIT ein Dossier mit dem Titel „Das gelobte Land“, in dem ich zusammen mit drei Kollegen der Frage nachgehe, wie Deutschland, unbemerkt von den Deutschen, zu einem Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt werden konnte. Ich habe in diesem Zusammenhang den israelischen Maler Eldar Farber getroffen. Hier mein Part vorab:

Vor fünf Jahren stand der israelische Maler Eldar Farber auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück vor einem mächtigen Baum, als ihm eine merkwürdige Frage durch den Kopf ging: „Kennt dieser Baum meinen Vater?“
Farber beschloss, den Baum zu malen. Bäume sind seine Spezialität. In Israel war Farber schon ein gefeierter Landschaftsmaler, als er sich 2005 entschloss, nach Deutschland zu reisen. Er war 35, und es war sein erster, lange heraus geschobener Besuch in Deutschland. Seine Eltern hatten beide als Kinder den Holocaust überlebt, der Vater war in Ravensbrück Häftling gewesen, bevor ihn die Sowjetarmee später im Lager Sachsenhausen befreite.
60 Jahre danach fand sich Eldar Farber auf dem KZ-Gelände hinter Leinwand und Staffelei. Wie malt man einen solchen Ort, dem der Vater nur mit Glück entkommen ist und von dem man abends am Kinderbett, wenn die Eltern vom Krieg erzählten, schreckliche Dinge hörte? Über den weiten uckermärkischen Himmel schoben Schulen von Kumuluswolken dahin.
Eldar Farber ging mit Ravensbrück um, als wäre es ein Ort wie jeder andere. Es gibt kein Zeichen des vergangenen Schreckens auf dem Bild, überhaupt kein Drama, außer dem der Wolken, die hell leuchtend über der öden Hoffläche zwischen den Baracken dahinschieben. Ein schöner, stiller, herrlicher Sommertag in Deutschland: Eldar Farbers Bild ist das Dokument einer bestandenen Mutprobe. Er war da gewqesen, an jenem Ort, und er hatte sich nicht überwältigen lassen. Der Ort hatte keine Macht über ihn. Und damit konnte er anfangen, Deutschland zu mögen.

Viele tausende, vorwiegend junge Israelis haben sich dauerhaft in Deutschland, vor allem in Berlin niedergelassen. Man schätzt sie auf mindestens 3.000. Geringe Lebenshaltungskosten und eine coole Kunst- und Musikszene spielen natürlich eine Rolle, wie für Tausende anderer junger Leute aus aller Welt. Viele israelische Linke kommen auch, weil sie das politische Klima daheim zunehmend unerträglich finden. Aber etwas Besonderes tritt hinzu, und Eldar Farbers Ravensbrück-Bild zeugt davon: In Deutschland – und hier vor allem in Berlin – lässt sich für Israelis erleben, dass die Vergangenheit, die nicht vergehen will, eben doch keine Macht mehr über einen hat. Das ist eine euphorisierende und befreiende Erfahrung, von der Farber in seinem Atelier an der Stargarder Straße im Prenzlauer Berg kaum aufhören kann zu erzählen.

„Wenn ich meine Leinwand vor mir habe, kann mir nichts passieren. Sie ist mein Schild,“ sagt Farber. Er war eigentlich nicht nach Deutschland gekommen, um Orte des Schreckens zu malen. Im Gegenteil. Seit seinen Kindertagen in Tel Aviv hatte er eine Sehnsucht nach dem deutschen Wald. Als Junge hatte er sich ausgemalt, unter Bäumen zu leben: Sich eine Hütte bauen, Beeren pflücken, jagen. In Israel gibt es keine Wälder, in denen man sich verlieren kann. Der deutsche Wald aber kann auch sehr unheimlich sein.

Bei seinem ersten Besuch brauchte Farber die Leinwand fast ein bisschen mehr als Schutzschild denn als Arbeitsmittel. Er kam jedoch in den folgenden Jahren immer wieder. Heute teilt er sein Leben zwischen Tel Aviv, Jerusalem und Berlin auf. Er verbringt die warmen Monate hier und arbeitet weiter an seinem großen Projekt der „Deutschen Landschaften“.

Wenn man seine israelischen Bilder anschaut, ist man verblüfft, wie mitteleuropäisch die Natur bei ihm aussieht. „Deine Bilder sehen überhaupt nicht israelisch aus“, hat man ihm damals vorgehalten. Er glaubt fest daran, dass ihm das Bildgedächtnis seiner Eltern, die in Polen aufwuchsen, vererbt worden sei: „Der Wald ist in meinen Genen.“

In seinem Berliner Atelier an der Stargarder Strasse im Prenzlauer Berg steht ein neues Bild, das er soeben angefangen hat, eine smaragd- bis olivfarben schillernde Waldszene aus dem Tiergarten. Ein Sehnsuchtsort, an dem man sich auch verlaufen könnte. Man würde sich nicht wundern, ein Hexenhaus im Hintergrund zu sehen.

Aber da ist kein Haus. Eldar Farber findet den Urwald oder die Savanne mitten in der Hauptstadt. Nur sehr selten malt er Objekte oder Strukturen, die an den Menschen erinnern. Er hatte eine schwer fassbare Angst vor Deutschland, als er zum ersten Mal herkam. Mit jedem Bild, das er malte, nahm sie ab. Seine Eltern waren, anders als viele Überlebende, sehr offen mit ihren Erlebnisse umgegangen. Es gab keine Geheimnisse.

Erst als er in Berlin ankam, stellte er fest, dass diese Stadt in seiner Vorstellung bis dahin schwarzweiß gewesen war, wie in alten Wochenschau-Aufnahmen.
Als er vom Flughafen Tegel aus mit dem Taxi nach Mitte fuhr, erwischte er sich bei dem Gedanken, dass das Licht an einem langen Berliner Sommerabend wunderschön ist: „In Israel gibt es dieses weiche Licht nicht. Die Kontraste sind bei uns viel härter. Aber hier in Deutschland waren sogar in den dunklen Tönen lauter Nuancen zu erkennen.“

Er begann seine Sommer im „sanften Berliner Licht“ zu verbringen, wenn die gnadenlose Sonne in Tel Aviv das Arbeiten unmöglich machte: „In Israel herrscht dann die brutale Alternative gleißenden Lichts und schwärzesten Schattens.“ Er lässt immer ein deutsche Bild unvollendet, bevor er im Herbst zurückgeht. Das Bild wartet dann den Winter über auf ihn, und so kommt er immer wieder zurück. Er will kein Deutscher werden. Berlin zieht ihn an, weil er hier ohne Angst anders sein kann.
„Zu meinem eigenen Erstaunen“, sagt Eldar Farber, fühle er sich „bei den Deutschen auf eine verrückte und zugleich natürliche Art wohl“: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage. Aber ich liebe die Ordnung hier, dass sich die Leute an Regeln halten.“

Zugleich ist es gerade das Undeutliche und Unfertige an den heutigen Deutschen, das ihn anzieht. Farber verfolgt die Debatten mit Interesse: Deutschland ist immer noch verstört von seiner Vergangenheit. Nun muss es in eine neue Rolle hineinwachsen. Es muß Kriege führen, den Euro retten, soll die Vereinigten Staaten von Europa schaffen. Das Land ist verwirrt, weil die Lektion der Geschichte, das „Nie wieder“, keine Antwort auf die neuen Herausforderungen ist.

Eldar Farber gefällt es, in einem Land mit unsicherer Identität zu leben. Israel ist viel zu belagert, um sich so viel Unbestimmtheit leisten zu können wie Deutschland heute. Israel muss sich stets behaupten. Viele Feinde zu haben, ist Teil seiner Identität. Deutschland ist ironischer Weise vom Feind der Menschheit zu einem Land ohne Feinde geworden, das nur noch von Freunden umgeben ist.
Es passiert ihm immer noch, dass neue Bekannte merkwürdig beklommen werden, wenn sie feststellen, dass er Jude und Kind von Überlebenden ist. Er macht sich nicht lustig über die beflissene und gewissenhafte Art, mit der die Deutschen auch in der dritten Generation der Normalisierung widerstehen. „Ich bewundere das. Man kehrt da nicht unter den Teppich, sondern setzt sich wirklich auseinander mit der Vergangenheit. Und zwar, weil man es selber braucht, nicht um meinetwillen.“

Seine deutsche Freundin, mit der er Englisch spricht, hat sich einmal fürchterlich geschämt, als sie ein unpassendes Wort für die Kollaboration der Europäer bei der Judenvernichtung gebraucht hatte: „Sie hatte gesagt, die Deutschen hätten damals viel ‚outsourcing“ betrieben. Sie meinte die vielen Lager in ganz Europa. Ich musste über das Wort sehr lachen, aber sie hat fürchterlich geweint. Das war für mich ein befreiender Moment.“

Farbers „Deutsche Landschaften“ wurden letztes Jahr in Tel Aviv gezeigt. Viele alte „Jeckes“ – Israelis deutschen Ursprungs – kamen zur Vernissage. Alle Bilder wurden verkauft, bis auf das Bild aus dem Lager Ravensbrück.

Eldar Farber hat es seinem Vater geschenkt. Nun hängt es zuhause in Tel Aviv. Sein Vater liebt das Bild. Ein großer alter Baum steht im Zentrum, und der Himmel über Ravensbrück ist blau.