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Youcef Nadarkhani darf nicht sterben!

 

Im folgenden dokumentiere ich einen Brief des Penzberger Imams Benjamin Idriz bezüglich des Falls des iranischen Pastors Youcef Nadarkhani:

Seine Eminenz

Ayatollah Seyyed Ali Chamenei

Führer der Obersten Rechtsgelehrten

Islamische Republik Iran

 

 

Appell zur Amnestierung und Freilassung von Pastor Youcef Nadarkhani

 

 

Eure Eminenz,

 

als Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg (IGP) und als Vorsitzender des „Zentrums für Islam in Europa-München“ (ZIE-M) in Deutschland muss ich Ihnen mitteilen, dass ich entsetzt und traurig bin über die Nachricht eines möglichen Vollzugs der Todesstrafe an dem iranischen evangelischen Pastor Youcef Nadarkhani.

 

Erlauben Sie mir, Eminenz, dazu eine Bitte auszusprechen:

 

Ich bitte Sie, im Einklang mit der islamischen Lehre Ihre Autorität voll auszunutzen um die Hinrichtung des Pastors zu verhindern und ihn nicht zur Rückkehr zum Islam zu zwingen.

 

Wie Sie ja wissen, sieht der Koran weder eine Strafe für denjenigen vor, der sich von der Religion abkehrt, noch zwingt er jemanden zum Islam. Es widerspricht dem Koran, die eigene Religion und Lebensweise anderen aufzuzwingen: »Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf der Erde sind, geglaubt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, Gläubige zu werden?« (10/99). Gott verweist mit dem Vers: »Für euch eure Religion und für mich meine Religion« (109/6) nicht nur auf die unbestreitbare Realität, dass es mehr als eine Religion gibt, sondern er stellt auch die Forderung auf, Menschen Freiheit im Glauben zu  gewähren.

Als Muslime dürfen wir die Freiheit, die wir uns selbst wünschen, nicht anderen vorenthalten. Es ist eine Doppelmoral, wenn wir unter uns die Freiheiten einschränken, während wir für uns von anderen absolute Freiheit fordern. Vor allem wir Muslime müssen die Freiheit anerkennen, anders zu glauben, zu denken und zu leben, die Unterschiede zu achten und zu akzeptieren. Mit dem Koranvers: »Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens« (2/256) erlaubte Gott die freie Wahl des Glaubens und verbot den Zwang zu irgendeinem Glauben.

Auch nach unserer islamischen Religion bleibt dem Einzelnen die Entscheidung überlassen, ob er überhaupt glaubt oder nicht. Die Entscheidungsfreiheit zwischen Glauben und Nichtglauben unterstrich der Koran mit dem Vers: »Lasse denn an sie glauben, wer will, und lasse sie verwerfen, wer will« (18/29).  Darüber zu richten was falsch und was richtig ist, steht nicht dem Menschen, sondern Gott zu: »Gott wird zwischen euch am Auferstehungstag richten hinsichtlich all dessen, worüber ihr uneins zu sein pflegtet« (22/69).

Eure Eminenz,

 

die Würde des Menschen ist eine allen Menschen gemeinsame Eigenschaft, und man kann niemanden davon ausschließen. Aus diesem Grund bezeichnet der Koran den Schutz der Würde und das Leben eines einzelnen Menschen als das Bewahren der Würde aller Menschen:»Wenn jemand einem Menschen das Leben rettet, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben gerettet hat.« (5/32).

Die natürlichen Rechte des Menschen gründen in seiner Würde und menschlichen Natur. Religiöse, ethnische, oder andere Unterschiede z.B. das Geschlecht ändern nichts an dieser Tatsache. Der Mensch hat ein Recht auf Leben, weil er Mensch ist, und nicht weil er Muslim, Christ, Jude oder ohne Glaube ist. Die Ablehnung von Zwang und der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben impliziert das Recht auf Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Religionsfreiheit des Einzelnen. Der Islam erkennt jedes dieser Bedürfnisse an, akzeptiert sie ausnahmslos und fordert vom Menschen unter keinen Umständen den Verzicht auf eines dieser natürlichen und essentiellen Bedürfnisse. Dafür hat Gott den Menschen mit Vernunft begabt, Propheten entsandt und Heilige Schriften offenbart und ihm die Freiheit der Zustimmung oder Ablehnung gewährt.

 

Ich bitte Eure Eminenz, dem Pastor zu vergeben und ihn freizulassen, weil Gott die liebt, die »…ihren Ärger unter Kontrolle halten und ihren Mitmenschen vergeben, weil Gott die liebt, die Gutes tun« (3/134),  und diejenigen die verzeihen: »Aber (gedenkt, dass ein Versuch,) Übel zu vergelten, auch ein Übel werden mag: darum, wer immer (seinem Feind) verzeiht und Frieden macht, dessen Lohn liegt bei Gott – denn, wahrlich, Er liebt nicht Übeltäter.« (42/40).

 

Ich will Eure Eminenz zum Schluss an ein Wort von dem von uns allen Muslimen, Sunniten und Schiiten, geachteten Kalif Imam Ali bin Abu Talib, Friede sei mit Ihm, erinnern, der gesagt hat: “Die besten und hochgeschätzten Menschen sind diejenigen, die, obwohl sie in der Lage sind zu bestrafen, verzeihen und amnestieren. Der Mächtige zeigt seine Macht, wenn er verzeiht.“ (Nahj al-Balagha, S. 674).

 

Ich bin überzeugt, dass Sie diese Weisheit von Imam Ali (a) umsetzen werden.

 

Als Gottes Prophet Muhammed, Friede sei mit Ihm und mit seiner Familie, der von denjenigen ausgegrenzt und vertrieben wurde, die keine Gedankenfreiheit duldeten, gestärkt nach Mekka zurück kam, verzichtete er auf Rache und sagte folgende richtungsweisende Worte: “Es wird keine Rache gegenüber euch ausgeübt. Gott möge es mir und euch verzeihen. Geht, wo ihr hinwollt, denn ihr seid frei!“

 

Wir als seine Nachfolger müssen versuchen, uns seine vorbildlichen Eigenschaften anzueignen und auch Zeichen der Versöhnung, Vergebung und Maß zu setzen und dies auszustrahlen. Denn diese Werte sind für die Menschen, sowohl für die Muslime wie für die Nicht-Muslime, im Osten wie im Westen wichtig und notwendig.

 

Ich hoffe, dass dieser Aufruf bei Ihnen ein verstehendes Ohr und Wirkung finden  möge.

 

Friede sei mit Ihnen und die Gnade Gottes und Seine Segnungen.

 

Penzberg/München, 01.03.2012

 

 

Imam Benjamin Idriz