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Arabischer Frühling, afrikanischer Herbst: Der Kongo vor den nächsten Wahlen

 

Am 23. Oktober wählen die Tunesier eine verfassungsgebende Versammlung, am 25. November gehen die Marokkaner an die Wahlurnen, am 28. November die Ägypter. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, welcher Herbst auf den arabischen Frühling folgt. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich auch zeigen, ob es im Afrika südlich der Sahara einen Herbst der Revolten geben wird. Senegal, Malawi, Guinea-Bissau, Uganda – all diese Länder waren in den vergangenen Wochen Schauplatz von Demonstrationen gegen Korruption, gegen Arbeitslosigkeit, gegen Polizeibrutalität und gegen Staatschefs, die auf Biegen und Brechen an ihren Ämtern festhalten wollen – auch wenn die Verfassung es ihnen verbietet.

Am 28. November sollen auch im Kongo ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt werden. Gut sieben Wochen also noch bis zu den zweiten Wahlen seit Kriegsende. Höchste Zeit, der Hauptstadt wieder einen Besuch abzustatten.

„Willkommen im neuen Kinshasa“, sagt Monsieur Vicky, mein Fahrer, zur Begrüßung am Flughafen. So viel Neues lässt sich nach Sonnenuntergang nicht erkennen, aber nach ein paar Kilometern stadteinwärts fühle ich das Neue direkt unter dem Hintern: Kein Schlagloch, keine Sandpisten, keine Schlammwellen. Vickys schrottreifer Toyota Corolla rollt auf glattem Asphalt. Vierspurig in der einen, vierspurig in der anderen Richtung. Kinshasa bekommt geteerte Prachtstraßen. Dazu gibt es inzwischen Ampeln mit digitaler Zeitanzeige der Grün-und Rotphasen. Alles noch nicht optimal synchronisiert – manchmal haben die Autofahrer der Hauptverkehrsstraße ebenso grünes Licht wie die Fußgänger, die selbige gerade überqueren wollen. „Made in China“, sagt Vicky, der sein grundsätzliches Misstrauen gegen Chinesen relativiert hat, seit selbige mit Straßenwalzen und Teerlastern seinen Job als Taxifahrer erleichtern.

China beruft sich in seiner Außenpolitik auf das Prinzip der Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder. Tatsächlich mischen Pekings Bauingenieure kräftig in der kongolesischen Innenpolitik mit: Sie sind die vielleicht effektivsten Wahlhelfer des Präsidenten Joseph Kabila, der am 28. November für eine weitere Amtszeit gewählt werden möchte. Im Osten, wo er 2006 die meisten Stimmen einfuhr, ist seine Beliebtheit dahin geschmolzen, weil er sein großes Wahlversprechen nicht eingehalten hat: Frieden. Frieden durch die Entwaffnung von Rebellen, Reform und Disziplinierung der Armee, Bestrafung von Kriegsverbrechern.
Nicht, dass es überhaupt keine Verbesserungen gäbe. Aber für eine dermaßen von Gewalt geplagte Bevölkerung wirkt das Schneckentempo des Fortschritts wie ein Hohn, nicht wie ein Segen.

In Kinshasa und dem gesamten Westen des Landes war Kabila noch nie besonders populär. Die anhaltende Armut und die horrende Arbeitslosigkeit haben die Sache für den Amtsinhaber nicht besser gemacht.
„Und dann“, sagt Vicky,  „ist da noch das Problem mit den Kuluna.“ Bei dem Wort höre ich in seiner Stimme etwas, was ich sonst bei Vicky selten höre: Angst.

Kinshasa ist, gemessen an den katastrophalen sozialen Verhältnissen, immer noch eine erstaunlich friedliche Stadt. Aber seit einiger Zeit hat sie ein Gang-Problem. Musste man sich früher vor allem vor Polizisten, Soldaten und Geheimdienstlern in Acht nehmen, so machen inzwischen die Kuluneurs ganze Viertel unsicher. Der kongolesische Blogger Alex Engwete beschreibt sie als militärisch organisierte Trupps von Jungmännern (darunter offenbar auffallend viele Angehörige von Kampfsportclubs), die „nachts oder am helllichten Tag, ausgerüstet mit Stöcken, Messern und Macheten, einen öffentlichen Platz besetzen und Passanten wie Händlern alles abnehmen: Geld, Uhren, Handys, Verkaufsware, Kleider, Schuhe, Schmuck. Wer sich wehrt, riskiert Messerstiche, Stock- oder Machetenhiebe.“ Kuluna ist für die Bewohner in Kinshasa ein weiteres Synonym für das Versagen der Regierung im Allgemeinen und Kabila im Besonderen. Verlorene Wählergunst will Kabila nun mit geteerten Straßenkilometern zurückgewinnen, weshalb sein schläfriges Gesicht auf Plakaten an so ziemlich jeder Baustelle zu sehen ist. Überschrift: „Der Mann der Tat“.

In einem Nachkriegsland – so lautet die Einsicht der Experten in Sachen Staatsaufbau und Friedenssicherung – sind die zweiten Wahlen oft entscheidender als die ersten. Erst nach einer Legislaturperiode lässt sich absehen, ob das Prinzip einer (halbwegs) friedlichen und (halbwegs) durch Volkswillen herbeigeführten Ablösung (oder Bestätigung) eines Amtsinhabers ansatzweise verankert ist; ob sich im Parlament eine Opposition herausbilden konnte; ob der Staat nicht mehr nur als Selbstbedienungsladen wahrgenommen wird. In Liberia, wo am 11. Oktober gewählt wird, gibt es Anlass zu vorsichtigem Optimismus, wobei die Betonung auf „vorsichtig“ liegt. Von Afghanistan, wo sich Staatspräsident Hamid Karsai 2009 vor den Augen der internationalen Gemeinschaft eine weitere Amtszeit zurecht manipuliert hat, kann man das nicht behaupten. Und im Kongo?

Zwei gute Nachrichten zuerst: Wahlen sind dem kongolesischen Staat inzwischen einiges Geld wert. 2006 zahlte die internationale Gemeinschaft fast die gesamte Zeche (90 Prozent) für die Durchführung der Wahlen, dieses Mal kommt der kongolesische Staat für zwei Drittel der Kosten selbst auf. Und: Anders als 2006 bestimmen nicht mehr Kriegsherren die politische Szene, sondern Zivilisten. Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Milizenführer und vor fünf Jahren Kabilas mächtigster Gegenspieler, sitzt inzwischen auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. (Seine Partei, das Mouvement de libération du Congo (MLC) ist nunmehr ein Scherbenhaufen, was wiederum ein problematischer Nebeneffekt ist).

Kabilas größte Kontrahenten sind nun zwei andere: Etienne Tshisekedi, der große alte Mann der kongolesischen Opposition und Führer der Union pour la Démocratie et le Progrès Social (UDPS). 2006 noch hatte Tshisekedi die Wahlen boykottiert, was ein gewaltiger strategischer Fehler war. Dieses Mal will er Präsident werden. Konkurrenz droht Kabila auch von seinem ehemaligen Weggefährten Vital Kamerhe, der 2006 noch seinen Wahlkampf gemanagt und sich dann mit ihm überworfen hatte. Während Tshisekedis Hochburgen vor allem im Kasai liegen, kann Kamerhe dem Präsidenten in den östlichen Kivu-Provinzen gefährlich werden, weswegen seine Partei, die Union pour la Nation Congolaise (UNC), dort auch immer wieder behindert und eingeschüchtert wird.

Und in Kinshasa? Nun, hier ist es ruhig, sieht man einmal von sich häufenden Reibereien zwischen der Polizei und UDPS-Anhängern und von schwereren Straßenkämpfen zwischen Anhängern Kabilas und Tshisekedis Anfang September ab. Bei denen haben angeblich auch kuluneurs mitgemischt. „Terroristen“, nennt sie Vicky, als wir durch die Stadt fahren. Keine besonderen Vorkommnisse, nur der übliche Trubel auf den Märkten. Die Straßen sind besser geworden, es gibt immer mehr Banken und Supermärkte, Plakate kündigen den Bau von Luxusappartments an. Kinshasa wird demnächst gated communities haben, die Ungleichheit wird sichtbarer werden. Damit dürfte auch das Potenzial für Protest und Wut wachsen, wobei nie absehbar ist, wogegen sie sich richten werden. Ein Konvoi weißer Pick-Up-Trucks rast uns plötzlich entgegen, auf den Ladeflächen hocken brüllend und singend und Fäuste schüttelnd Dutzende von Jugendlichen. Vicky setzt schon zu einer Schimpftirade auf politische Krawallmacher an, doch der Konvoi erweist sich als Werbeaktion des Mobilfunkanbieters Vodacom.

Vor allem die UDPS verdächtigt Kabila lautstark, bereits im Vorfeld der Wahlen durch Manipulation bei der Wählerregistrierung, durch Neuziehung von Distriktgrenzen. Da ist sicher etwas dran. Aber im Zweifelsfall wird es sich die Opposition selbst zuzuschreiben haben, sollte Kabila erneut gewinnen. Per Verfassungsänderung hatten seine Parteigänger schon Anfang des Jahres die Änderung des Wahlverfahrens durchgesetzt: War bis dahin noch eine Stichwahl vorgesehen, falls keiner der Präsidentschaftskandidaten die absolute Mehrheit im ersten Durchgang erzielt, gewinnt nun, wer sich in der ersten Runde eine einfache Mehrheit sichert – und sei es nur mit 20 oder 25 Prozent der Stimmen. Nicht gerade die feine Art, aber formal ging bei der Verfassungsänderung alles mit (einigermaßen) rechten Dingen zu. Um Kabila zu schlagen, müsste sich die Opposition nun also zusammenschließen und auf einen Spitzenkandidaten einigen. Das aber scheint aufgrund der Größe der Egos der beteiligten Akteure derzeit kaum realistisch.

Also doch wieder Kabila? Prognosen will dieser Tage in Kinshasa kaum jemand wagen. Aber Szenarien werden durchgespielt: Gewinnt Kabila deutlich oder knapp, wird die Opposition Wahlbetrug reklamieren und demonstrieren, was garantiert nicht ganz friedlich ablaufen wird. Verliert Kabila und erkennt er die Niederlage an, wäre das ein mittleres politisches Wunder. Allerdings mag niemand vorhersagen, dass die mit Waffen gut ausgestattete Garde des Präsidenten eine solche Niederlage still hinnehmen würde. Schließlich wäre sie danach arbeitslos. „Der 28. November wird ruhig verlaufen“, sagt Vicky. „Aber am 6. Dezember müssen Sie für uns beten.“ Dann sollen die vorläufigen Wahlergebnisse bekannt gegeben werden.

Für das Problem der Kuluna diskutiert man in Vickys Nachbarschaft im Viertel Bandal inzwischen ganz eigene Lösungen. „Den ersten drei Kerlen, die man erwischt, einfach mit der Machete die Hand abschlagen.“ Wir stecken trotz mehrspuriger Fahrbahn im Stau und haben reichlich Zeit, das Für und Wider solcher Maßnahmen zu debattieren. Weder mein Plädoyer gegen Selbstjustiz noch gegen grausame Bestrafung scheinen ihn besonders zu beeindrucken. Einzig mein Argument, dass ansonsten nur islamistische Fundamentalisten Dieben und Räubern die Hand abschlagen, bringt ihn ins Wanken. Muslime sind ihm so suspekt wie bis vor kurzem noch Chinesen.