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Das bittere Wunder von Goma – Regierung und Rebellen schließen Frieden im Ost-Kongo

 

Friedensabkommen im Ost-Kongo! Bei dieser Nachricht muss man sich erst einmal die Augen reiben. Und sich daran erinnern, dass solche Abkommen in dieser Region sehr kurzlebig sein können.
Und trotzdem: Was da vor über zwei Wochen in Goma als scheinbar aussichtslose Mammut-Konferenz begann und noch am Dienstag zu scheitern drohte, endete am Mittwoch mit einem Hoffnungsschimmer, einer neuen Chance – vor allem für die Menschen in Nord-Kivu, die in den vergangenen Jahren so geschunden wurden wie wohl keine andere Bevölkerungsgruppe auf der Welt.

In Nord-Kivu war schon bald nach den Präsidentschaftswahlen 2006 der Krieg wieder ausgebrochen zwischen der regulären kongolesischen Armee, an der bekanntermaßen wenig reguläres ist, den Rebellen um den kongolesischen Tutsi-Kommandanten Laurent Nkunda sowie diversen Mai-Mai-Milizen und Banden. Diese immer unübersichtlicher werdende Schar von bewaffneten Männertrupps erklärt zum Teil die gewaltige Anzahl von 1600 Konferenzteilnehmern. Dazu kamen Beobachter und Vermittler der EU, der USA, der UN, der Afrikanischen Union sowie von Hilfsorganisationen. Schon allein unter logistischen Gesichtspunkten ist die Unterzeichung des Abkommens ein kleines Wunder.

Was wurde nun eigentlich unterschrieben? Alle Kriegsparteien verpflichten sich zu einem Ende der Kampfhandlungen (noch während der Friedensgespräche war es zu Massakern an Zivilisten gekommen); zur Demobilisierung und zur der Einrichtung einer Pufferzone, in der UN-Blauhelme dann mit der Rückführung von über 400.000 Binnenflüchtlingen beginnen sollen.

Allen Konfliktparteien wird außerdem Amnestie gewährt. Das ist in Anbetracht der Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, vor allem der beispiellosen Vergewaltigungskampagnen der vergangenen Monate, ein Skandal – frei nach dem Motto: No Peace With Justice. Andererseits hätte keine Rebellengruppe ohne garantierte Straffreiheit das Abkommen unterzeichnet. Unklar bleibt, ob diese Amnestie auch für Laurent Nkunda gilt. Für’s erste gingen diese „Details“ im Beifall der Konferenzteilnehmer unter.
Wobei die Straffreiheit so sicher auch nicht ist: An solche Amnestie-Abkommen muss sich der Internationale Strafgerichtshof nicht halten, dessen Ermittler sich seit einiger Zeit für die Verbrechen in Nord-Kivu interessieren. Ob und wieviele Täter sich am Ende tatsächlich in Den Haag verantworten müssen, ist natürlich eine andere Frage.

Innenpolitisch ist dieses Abkommen weniger ein Erfolg für Präsident Joseph Kabila, dessen Ansehen nach katastrophalen Schlappen der Armee gegen Nkundas gut ausgerüstete Rebellen arg gelitten hat. Vielmehr ist es ein Punktsieg für Kabilas Parteigenossen und potenziellen Konkurrenten Vital Kamerhe. Kamerhe ist Parlamentspräsident und war einer Organisatoren und Konferenzleiter.
Jetzt heißt es warten und beobachten: Wie wird der Friedensschluss von Kabila-treuen Hardlinern in Kinshasa aufgenommen, die immer wieder für eine „militärische Lösung des Nkunda-Problems“ forderten? Und wie schnell und erfolgreich können die Truppen tatsächlich entflochten und demobilisiert werden? Es ist bekanntermaßen eine Sisyphus-Arbeit, Milizen zu entwaffnen und in einer ökonomisch und sozial völlig zerstörte Gesellschaft wiedereinzugliedern.

Wie dramatisch die Lage ist, dokumentiert eine aktuelle Studie der Hilfsorganisation „International Rescue Committee“. Fünf Jahre nach dem offiziellen Kriegsende ist die Sterblichkeitsrate im Kongo unverändert hoch: Ungefähr 45.000 sterben jeden Monat an den Folgen von Hunger, Malaria und anderen Krankheiten, weil in der zerstörten Infrastruktur keine Versorgung möglich ist. Fast die Hälfte der Toten sind Kinder unter fünf Jahren. Und besonders erschreckend: die Sterberate ist auch in solchen Regionen unverändert hoch, in denen es in den vergangenen Jahren keine Kampfhandlungen mehr gegeben hat.
Nun ist es im Kongo bekanntermaßen extrem schwierig, zuverlässige Zahlen zu bekommen. Aber die neue Studie basiert auf zuverlässigeren Erhebungen als frühere Untersuchungen. Erstens können sich Helfer und Rechercheure in weiten Teilen des Landes nun sicherer bewegen, zweitens haben inzwischen mehr Kongolesen Handys. Soll heißen: sie können jetzt wenigstens telefonisch über die Lage in ihren Dörfern berichten. Und die ist auch nach Einschätzung von Organisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ desaströs. Im Gesundheitsbereich hat sich so gut wie nichts verbessert – ein Armutszeugnis für die gewählte Regierung in Kinshasa. Aber auch ein Indiz dafür, in welchen zeitlichen Dimensionen sich hier internationales Engagement abspielen wird: zwanzig, dreißig, vierzig Jahre.

Das Friedensabkommen von Goma ist übrigens mit zahlreichen Empfehlungen für den Wiederaufbau der Kivu-Provinzen geschmückt. Am besten, man nimmt sie mit skeptischem Optimismus zur Kenntnis.