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Somalia – oder: wie man mit Khat-Händlern Impfkampagnen durchführen könnte

Was fällt Ihnen spontan bei dem Wort Somalia ein?
a: Kleinkinder mit Hungerbäuchen
b: Radikale Islamisten mit Schnellfeuergewehren
c: Khat kauende Piraten mit Schnellfeuergewehren
d: Staatszerfall XXL
e: a, b, c und d

Wer alle Punkte ankreuzt, liegt richtig – und läuft doch in die Irre. Somalia auf Kalaschnikows, Khat und ewigen Katastrophenzustand zu reduzieren, ist vielleicht einer der größten Denkfehler der internationalen Staatengemeinschaft. Der zweite besteht in dem unerschütterlichen Glauben, nur eine funktionierende Zentralregierung könne aus dem super failed state wieder ein halbwegs stabiles Staatswesen machen. Genau das will man auf der großen Somalia-Konferenz in London zum x-ten Mal versuchen. Weiter„Somalia – oder: wie man mit Khat-Händlern Impfkampagnen durchführen könnte“

 

Somalia: Der Krieg, den keiner sehen will

Die gute Nachricht wie immer zuerst: Am vergangenen Freitag hoben die Vereinten Nationen in drei Distrikten in Südsomalia die höchste Alarmstufe auf. Hilfslieferungen in Bay, Bakool und Lower Shabelle hätten die Lage in diesen Dürregebieten so weit verbessert, dass es sich nicht mehr um „Hungergebiete“ (famine zones), sondern „nur noch“ um „Notstandsgebiete“ (emergency zones) handele.

Die schlechte Nachricht gleich hinterher: Mindestens eine Viertel Million Menschen ist nach wie vor akut von Hunger bedroht. Und die Fortschritte in Bay, Bakool und Lower Shabelle sind durch die anhaltende Invasion des kenianischen Militärs akut gefährdet.

Wie berichtet, marschierte die kenianische Armee vergangenen Monat in Somalia ein, um der islamistischen Miliz al-Shabaab, Somalias Version der Taliban, den Garaus zu machen. Nicht, dass man Letzteren irgendetwas Gutes wünschen wollte. Aber abgesehen von Kenias mangelhaften Kapazitäten für ein solches Unternehmen, ist eine Militärinvasion mitten in der schlimmsten humanitären Katastrophe der blanke Wahnsinn. Hilfsorganisationen wie Oxfam warnen, dass der Krieg gegen al-Shabaab die Verteilung von Hilfsgütern massiv behindert und vor allem die Ausgabe von Saatgut verzögert. Das heißt: Obwohl es inzwischen wieder geregnet hat, ist auch die nächste Ernte in Gefahr.

Inzwischen werden erste zivile Opfer der kenianischen Militäraktion gemeldet: Bei Luftangriffen auf die Stadt Jilib sind nach Angaben von Médecins Sans Frontières (MSF) mehrere Menschen in einem Flüchtlingscamp getötet worden. Die internationale Reaktion? Gleich null. Einzig die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgieva, forderte die Konfliktparteien auf, Zivilisten zu schonen. Diese zaghafte Mahnung verhallte ebenso ungehört wie ein Statement des UN-Kinderhilfswerk (UNICEF), wonach in den umkämpften Gebieten zunehmend Kinder im Kreuzfeuer ums Leben kommen.

Weil die kenianischen Truppen offenbar nicht vorankommen mit ihrer Offensive und sich seit einigen Wochen mühsam durch verschlammtes Gelände schleppen, sollen ihnen nun äthiopische Truppen zu Hilfe kommen und al-Shabaab von nördlicher Seite in die Zange nehmen. Zur Erinnerung: Äthiopien, Somalias historischer Erzfeind, ist schon einmal ins Nachbarland einmarschiert. Das war 2006 – in Mogadischu hatte die Union islamischer Gerichtshöfe mit Unterstützung vor allem von Händlern und lokalen Politikern die Macht übernommen und es mit ihrer Justiz, basierend auf einer strengen Anwendung der Scharia, geschafft, Clan-Fehden und Bürgerkrieg einzudämmen. Al-Shabaab gehörte damals zum radikal islamistischen Flügel dieser Union. Was viele Somalier als repressive Ordnungsmacht – aber eben als Ordnungsmacht – wahrnahmen, war in den Augen der USA und dem äthiopischen Nachbarn ein neues Rückzugsgebiet für al-Qaida. Äthiopische Truppen vertrieben die Gerichtshöfe, machten den Weg frei für die bis heute amtierende Übergangsregierung.

Doch nichts schweißt die notorisch zerstrittenen somalischen Clane und Glaubenskrieger schneller zusammen als die Anwesenheit ausländischer Soldaten. Nach kaum drei Jahren mussten die Äthiopier wieder abziehen. Zurück blieben eine radikalisierte und gestärkte al-Shabaab – und unzählige Gräber. Auf 113 Seiten hat Human Rights Watch die Kriegsverbrechen aller Konfliktparteien während der äthiopischen Okkupation dokumentiert: Massenerschießungen, permanente Bombardements dicht bevölkerter Wohnviertel, gezielte Angriffe auf Krankenhäuser.

Vom Nimbus des „nationalen Befreiers“, den al-Shabaab nach dem Rückzug Äthiopiens genossen hatte, ist inzwischen nichts mehr übrig geblieben. Ihr talibanesker Frauenhass, ihr Verbot der beiden großen somalischen Leidenschaften (Fußball spielen und Khat kauen), ihre demonstrative Verbrüderung mit al-Qaida und ihre gnadenlosen Zwangssteuern haben sie verhasst gemacht – selbst bei den radikalisierten Teenagern und Jungmännern in den Flüchtlingslagern, aus deren Reihen sie bislang ihren Nachwuchs rekrutierten.

Die Rückkehr des alten Erzfeindes könnte einen Déjà-vu-Effekt haben. Das befürchtet US-Presseberichten zufolge auch das amerikanische Außenministerium, während Pentagon und CIA den äthiopischen Einmarsch unterstützen. Vielen Somaliern ist es (noch) egal, wer al-Shabaab zum Teufel jagt. Hauptsache, sie werden zum Teufel gejagt. Die Islamisten hatten maßgeblich zur Hungerkatastrophe beigetragen, weil sie diese zuerst leugneten und viele Menschen mit Gewalt an der Flucht aus den Dürregebieten zu hindern versuchten.

Dass al-Shabaab keine Hilfsgüter in die von ihr kontrollierten Gebiete lasse, stimmt allerdings nicht. Somalische NGOs in Mogadischu kooperieren seit Längerem mit Shabaab-Kommandanten, die in den vergangenen Monaten zunehmend westliche Hilfe verteilt haben (zu den in Somalia üblichen Konditionen: 20 Prozent der Güter gehen an die Miliz). Sei erst einmal eine Abmachung getroffen, erklärte ein westlicher Koordinator von Hilfsprogrammen, dann halte al-Shabaab diese auch zuverlässig ein. „Nicht, dass ich die Mistkerle vermissen würde“, sagte er, „aber was danach kommt, ist schlimmer.“ Vermeintlich regierungstreue somalische Clan-Milizen, die vor allem auf eines aus seien: die Hilfsgüter und die Fahrzeuge, mit denen diese transportiert werden. Gut möglich also, dass für Bay, Bakool und Lower Shabelle bald wieder die höchste Alarmstufe ausgerufen werden muss.

 

Mogadischu – immer eine Reise wert

Aus Mogadischu zu berichten, bedeutet: viel herum sitzen und warten. Darauf, dass sich Termine ergeben, dass das anvisierte Besuchsziel sicher genug ist, dass Sicherheitseskorte und Übersetzer zur Verfügung stehen. Was tut man gegen Warten und Langeweile? Skypen, Chatten, Googeln.

(Merke: In Somalia funktioniert zwar kein Staat, aber das Internet.)

Wenn man also unter dem Stichwort „Mogadischu“ durch die unendliche Weite des Netzes kurvt, findet man einige ungewöhnliche Einträge. Zum Beispiel den Bericht eines gewissen Mike Spencer Bown auf einer Seite des Reisebuchverlages „Lonely Planet“.

Hi all, I’m the first tourist to visit Mogadishu, Somalia and I can recommend it for those who value extremely exciting travel destinations.“ (Hallo, ich bin der erste Tourist in Mogadischu, Somalia, und kann es für all jene empfehlen, die extrem aufregende Reiseziele schätzen.)

Der Eintrag stammt vom 11. Dezember 2010, als in der Stadt noch heftige Kämpfe zwischen islamistischen Al Shabab-Milizen und den Truppen der Afrikanischen Union tobten. Mike, der kühne Globetrotter, weist uns womöglich auf den nächsten Trend im Tourismus hin. Inzwischen ist es chic, beim Urlaub in Brasilien einen Abstecher in die Favelas zu machen – Slum-Sightseeing. Als nächstes kommt dann wohl Häuserkampf-Camping und Kriegs-Sightseeing.

Eher bizarr klingt dieser Mogadischu-Reisetipp:

Mogadischu: Sie finden hier prächtige Sehenswürdigkeiten wie den Garesa Palast, die Sheikh Abdul Aziz Moschee als auch die Fakr-ad-Din-Moschee. (…) Im Zentrum befinden sich Gold- und Silbermärkte sowie zahlreiche Schmuck Händler. Das ist der perfekte Platz wenn Sie auf der Suche nach einem Souvenir für Zuhause sind. (…) Die Sheikh Abdul Aziz Moschee steht an der Lidostrasse. Über diese Mysteriöse Moschee, von der niemand weiß wann diese erbaut wurde, herrscht die Legende, sie sei aus dem Meer aufgetaucht. (…) Durch wechselseitige Konflikte in der Bevölkerung Mogadischus sind viele Menschen geflüchtet. Das hat zur Folge, dass die Stadt etwas ruhiger geworden ist.“

Wie der letzte Satz ganz nonchalant zwanzig Jahre Bürgerkrieg, diverse Selbstmordattentate und ausländische Interventionen zusammenfasst, ist schon bestechend. Aber Souvenir-Shopping sollte man in Mogadischu derzeit unterlassen. Und dass in der Lido-Straße die Sheikh Abdel Aziz-Moschee steht, ist nicht mehr ganz richtig. Es steht noch ein Teil des Minaretts. Der Rest liegt in Trümmern.

Seit die islamistischen Milizen der Al Shabab sich aus Mogadischu zurückziehen mussten, kann man die Abdel-Aziz-Moschee tatsächlich wieder besuchen. Der wenigen Gläubigen, die jetzt die Trümmer bewachen, haben beim Beten zwischen den Trümmern einen fantastischen Ausblick auf den Indischen Ozean.

Eigentlich haben Ungläubige (und besonders solche weiblichen Geschlechts) auch in zerschossenen Moscheen nichts verloren. Doch der Imam und seine drei Glaubensgenossen waren durchaus erfreut, als wir (trotz Kalaschnikow bewehrter Eskorte) eines Mittags auftauchten. Der Imam und seine Freunde sind Anhänger des Sufismus, haben ein eher mystisches Verhältnis zu ihrer Religion und pflegen mit Nicht-Muslimen einen entspannten Umgang. Genau das macht sie in den Augen der Al Shabab-Milizen besonders verhasst, die in den Kriegsmonaten mehrere Sufi-Schreine und andere Heiligtümer zerstört hatten.

Den angeblich mysteriösen Ursprung seiner Moschee konnte er übrigens nicht bestätigen. Aus dem Meer sei sich nicht aufgetaucht, ein irakischer Architekt habe sie vor Jahrhunderten errichtet. Der liege neben dem Minarett begraben, sagte er und deutete auf eine mit Schutt und Unkraut bedeckte Steinplatte.

Die Hüter der Sheikh Abdel Aziz Moschee

Zum Abschied stellte er sich mit seinen Freunden für ein Foto auf. „Schreiben Sie doch bitte, dass wir dringend jemanden suchen, der die Moschee wieder aufbaut.“ Denn jetzt, so sagte der Imam, sei endlich Frieden in die Stadt eingekehrt. Das halte ich für einen frommen Wunsch. Aber seine Bitte gebe ich gern weiter.

 

Zu Besuch bei Cap Anamur in Mogadischu

An manchen Ecken lässt sich erahnen, dass dies einst eine schöne Stadt gewesen sein muss. Ein Handelszentrum mit Hafen, Jahrhunderte alten Moscheen, einer katholischen Kathedrale, pulsierenden Märkten. Nach 20 Jahren Bürgerkrieg ist von Mogadischu eine Trümmerlandschaft geblieben, verstörend schön gelegen am Indischen Ozean. Zwischen den Ruinen haben Abertausende von Flüchtlingen ihre Notunterkünfte aus Ästen, Decken und Plastikplanen aufgebaut. Kioskbuden bieten Kekse und Säfte an, auf dem Bakara-Markt fegen Ladenbesitzer den Schutt zusammen und inspizieren die Granateneinschläge in den Mauern ihrer Geschäfte, soweit diese überhaupt noch stehen. Vor wenigen Monaten tobten hier noch heftige Kämpfe zwischen der islamistischen Al Shabab-Miliz auf der einen und Truppen der Afrikanischen Union und der somalischen Übergangsregierung auf der anderen Seite. Die Gleichzeitigkeit von allgegenwärtiger Zerstörung und trotzigem Überlebensalltag macht einen schwindelig in dieser Stadt.

Straße in Mogadischu

Die Zahl der Flüchtlingscamps nimmt zu, was gleichzeitig eine gute und eine schlechte Nachricht ist. Gut, weil unter den Flüchtlingen viele Vertriebene aus Mogadischu sind, die nun, da in der Stadt nicht mehr gekämpft wird, die Rückkehr wagen. Schlecht, weil die Lebensumstände in den Camps dadurch noch erbärmlicher werden. Deren Versorgung ist bestenfalls chaotisch. Somalische NGOs sind überfordert, niemand überblickt die Zahl der Flüchtlinge oder Camps, UN-Vertreter wagen sich aufgrund der immer noch prekären Sicherheitslage ebenso wenig in die Stadt wie Vertreter ausländischer Hilfsorganisationen. Die Ausnahmen: Ein paar Vertreter des Roten Halbmonds sowie muslimischer NGOs aus der Türkei, Saudi-Arabien, Kuwait oder den Vereinigten Emiraten. Ein kleines Team von „Médecins sans Frontières“. Und Cap Anamur.

Seit August arbeitet ein Ärzteteam der deutschen NGO in Mogadischu, Hauptstadt eines weitgehend kollabierten Staates, auf dessen Territorium sich im Frühjahr mehrere Krisen zu einer gewaltigen Katastrophe gebündelt haben: Die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten am Horn von Afrika hat zu einer Hungersnot geführt, die wiederum Hunderttausende zur Flucht nach Kenia, Äthiopien und nach Mogadischu getrieben hat. In Somalia wird die Not massiv verschärft, weil die am härtesten betroffenen Gebiete unter Kontrolle der islamistischen Al Shabab Miliz stehen. Die wiederum sehen westliche Hilfsorganisationen als Gehilfen der somalischen Übergangsregierung an – und damit als Feind. Al Shabab hat sich zwar im Sommer weitgehend aus Mogadischu zurückgezogen (und ist jetzt vor allem mit der anrückenden kenianischen Armee im Süden Somalias beschäftigt). Aber in der Hauptstadt kam es wiederholt zu Selbstmordattentaten.
Für die Mitarbeiter von Cap Anamur heißt das: Wenig Bewegungsfreiheit, viel Arbeit.

Flüchtlingslager in der Ruine der Kathedrale

Bereits im Juli hatte die NGO Kooperationsmöglichkeiten in Somalia ausgelotet. Im August bezog das erste Ärzteteam Quartier auf dem Gelände des Banadir-Hospitals, eines der wenigen Gebäude in der Stadt, das an bessere Zeiten erinnert. Ein Krankenhaus mit 600 Betten, einer autarken Wasser- und Stromversorgung und relativ gut ausgebildetem Personal. Das alles hinter Mauern, die nicht von Kugeln und Granaten durchsiebt worden sind.

Bis Mitte Oktober hatte Cap Anamur die Kinderabteilung weiter ausgebaut, eine Intensivstation mit Sauerstoffgeräten, Überwachungsmonitoren und Bluttestgeräten eingerichtet und zusammen mit somalischen Kollegen hunderte von Patienten mit Symptomen schwerster Unterernährung behandelt. Säuglinge und Kleinkinder mit den Gesichtern von Greisen, mit Hungerödemen und allen Krankheiten, die in Elendsgebieten noch anfallen: Durchfall, Bronchitis, Lungenentzündung, Würmer, Malaria, Tetanus, Meningitis, Tuberkulose ….

Unterernährtes Kind im Banadir Hospital

Fahrten durch die Stadt und die Flüchtlingscamps sind aus Sicherheitsgründen nur selten möglich. Von Mogadischu bekommen die Cap Anamur-Mitarbeiter mehr zu hören als zu sehen. Der Motorenlärm und das Stimmengewirr eines inzwischen wieder regen Straßenlebens. Hammerschläge von den Baustellen der Kriegs-und Krisengewinner. Und Schüsse – mal näher, mal ferner. Der Verbreitungsgrad von Schnellfeuergewehren in Mogadischu ist rekordverdächtig, irgendjemand schießt alle paar Stunden irgendwohin. Die Somalis zucken nicht einmal mehr mit der Wimper. Also gewöhnt man sich selbst auch schnell daran.

Was nichts daran ändert, dass die Sicherheitslage für Einheimische wie Ausländer, gelinde gesagt, besser sein könnte. Deutlich besser. Die somalische Übergangsregierung ist vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu schützen, wobei allerdings der schläfrige Arbeitsmodus von Soldaten und Polizisten nicht so recht zur Bedrohungslage passt. Ohne die Militärmission der Afrikanischen Union (AMISOM), zusammengesetzt aus ugandischen und burundischen Soldaten, wäre Mogadischu vermutlich längst in die Hände von Al Shabab gefallen.

Inzwischen hat Cap Anamur ein zweites Projekt gestartet: eine Ambulanz, geöffnet täglich von Samstag bis Donnerstag. Drei Zelte, acht Betten, eine Apotheke und schon am frühen Vormittag einen Bürgersteig voller Patienten. Das Haus hinter der Krankenstation dient inzwischen als Unterkunft für das Team, derzeit bestehend aus einer Ärztin, einem Krankenpfleger und einem Techniker (zuständig für alles Nicht-Medizinische von Buchhaltung über Reparatur des Sauerstoffgeräts, Computerwartung, Medikamententransport bis zum Bau der provisorischen Tischtennisplatte). Als vor wenigen Wochen eine Entführungsdrohung die Runde machte, beschloss die NGO, das Quartier zu wechseln. Die Kooperation mit dem Banadir-Hospital geht weiter, das Krankenhaus wird auch in Zukunft mit Medikamenten unterstützt.

Und wie eröffnet man in Mogadischu ein Ambulanz?

Vereinfacht, sehr vereinfacht, in etwa so: Man sucht unter Umgehung der einheimischen Immobilienhaie, die es in jedem Katastrophengebiet gibt, ein bewohnbares und bezahlbares Gebäude; man saniert die Wasserversorgung, bezieht über eine Privatfirma teuren Strom, zimmert Betten, baut die Garage zur Apotheke um, stellt zusätzlich eine somalische Ärztin und zwei Krankenpfleger sowie Übersetzer ein. Außerdem heuert man einen Trupp Bewacher an, die den Eingang kontrollieren und bei den seltenen Fahrten in die Stadt auf der Ladefläche des Pick-Up-Trucks mit ihren Kalaschnikows Platz nehmen, was durchaus abschreckend wirkt. (Zum Beten legen sie das Gewehr ausnahmsweise zu ihren Füßen auf den Teppich)

Die Zelte der Ambulanz waren bereits am ersten Tag gut ausgelastet. Malaria, Durchfallerkrankungen, Anämie, Wurmbefall werden ambulant behandelt, unterernährte Kinder ans Banadir-Hospital überwiesen. Für die Polio-Kranken, die auf allen Händen und Füßen in die Ambulanz kriechen, soll demnächst eine kleine Rollstuhl-Werkstatt entstehen.

Bedarf für weitere Projekte herrscht genug. Im gesamten Hafenviertel der Stadt gibt es keine medizinische Versorgung, ebenso wenig in den Flüchtlingslagern. Eine weitere Ambulanz wäre möglich. Oder ein kleines Hospital mit Mutter-Kind-Station.
Nachhaltiges Expandieren in kleinen Schritten. So lange es die Sicherheitslage erlaubt.

P.S.: Wer die Arbeit der Ärzteteams in Mogadischu unterstützen möchte, findet weitere Informationen und Kontonummern auf der Website von Cap Anamur.

 

Operation „Linda Nchi“ – oder: Was macht Kenias Armee in Somalia?

„Al-Shabaab!“ Der Ausruf dieses Namens löst in Ostafrika inzwischen ähnliche Reaktionen aus wie der Name „al-Qaida“ in den USA oder Europa: Terroristen und Islamisten, so der Pawlowsche Reflex, kann man nur mit militärischen Mitteln bekämpfen. Während die USA und ihre Alliierten sich im Irak und Afghanistan langsam selbst abwickeln und in den westlichen Medien das gefühlte Ende des war on terror verkündet wird, ist in Ostafrika der nächste Krieg ausgebrochen. Seit Mitte Oktober befinden sich kenianische Truppen auf somalischem Boden, bombardiert die kenianische Luftwaffe Städte in Südsomalia, um al-Shabaab endgültig den Garaus zu machen. Linda Nchi heißt die Operation. Auf Deutsch: „Verteidigt die Nation.“

Die islamistische al-Shabaab, nach eigenem Bekunden mit al-Qaida alliiert, kontrolliert weite Teile des Südens von Somalia und hat nach Überzeugung der Regierung in Nairobi zuletzt auch mehrfach auf kenianischem Boden zugeschlagen: Im September hatten bewaffnete Somalis ein kenianisches Hotel nahe der Grenze überfallen, eine britische Touristin entführt und deren Mann getötet. Mitte Oktober wurden in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingslagers Dadaab zwei spanische Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation Médecins sans Frontières verschleppt. Kurz darauf entführten Somalis eine Französin aus einem kenianischen Urlaubsort. Von der britischen Geisel fehlt bislang jede Spur, die Französin starb, weil schwerkrank und ohne Medikamente, nach wenigen Tagen in der Hand ihrer Geiselnehmer. Über das Schicksal der MSF-Mitarbeiter ist nichts bekannt.

Seit dem Beginn von Operation Linda Nchi dominiert nun Frontberichterstattung die kenianischen Tageszeitungen, während die Invasion in den USA und Europa mit frappierender Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen wird. Die Obama-Regierung versichert, vom kenianischen Einmarsch in das Nachbarland nicht informiert worden zu sein – geschweige denn, ihn gebilligt zu haben. Zumindest ersteres erscheint unwahrscheinlich. Dann behauptete Kenias Regierung, die französische Marine habe freundlicherweise Al-Shabaab-Stellungen von der Küste aus beschossen. Paris dementierte prompt, gab aber gleichzeitig bekannt, dass man dem kenianischen Militär logistische Hilfe leisten wolle. Unklar bleibt bis auf Weiteres, aus welchem Land die Tiefflieger stammen, die nach Presseberichten wenige Tage nach Beginn der kenianischen Invasion Al-Shabaab-Stellungen mit Lenkwaffen angegriffen haben. Waffen, mit deren Umgang kenianische Piloten gänzlich unvertraut sind.

Klar ist nur so viel: Wer inmitten einer der größten Dürre-und Hunger-Katastrophen einen Krieg anfängt, der pfeift auf das Leben somalischer Zivilisten. Die Hungersnot am Horn von Afrika ist zwar schon wieder aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden, deswegen aber mitnichten zu Ende. Es sind immer noch mehrere Millionen Menschen ohne ausreichende Nahrungsmittelversorgung. In einigen der betroffenen Regionen hat es inzwischen geregnet. Um nicht den nächsten Ernteausfall zu riskieren, müssten die Bauern jetzt aussäen, also aus den Flüchtlingscamps in ihre Dörfer zurückkehren. Stattdessen aber begeben sich aufgrund der Bombardements noch mehr Menschen auf die Flucht.

Sicher ist auch: Wer in einem bitterarmen kriegszerstörten Hohlraum von Staat glaubt, eine fanatisch religiöse Miliz mit militärischen Mitteln beseitigen zu können, der hat offenbar nichts, absolut nichts, aus dem Debakel in Afghanistan gelernt. Oder aus dem Jahr 2006, als die äthiopische Armee mit amerikanischer Unterstützung bis Mogadischu marschierte, nur um sich selbst einen demütigenden Rückzug einzuhandeln und die Schlimmsten unter den islamistischen Milizen in Somalia gestärkt zurückzulassen. All das auf Kosten des Lebens Tausender Zivilisten.

Bleibt die Frage, warum Kenia ausgerechnet jetzt zum Militärschlag ausholt. Al-Shabaab schwächelte in den vergangenen Monaten, weil ihre Milizenführer (übrigens ein durchaus heterogener Haufen) bei der Bevölkerung ihren ohnehin geringen Kredit fast völlig verspielt hatten. Verschiedene Fraktionen gerieten in Streit über die Blockade westlicher Hilfe. Einige zeigten Verhandlungsbereitschaft. Die Invasion einer ausländischen Armee dürfte sie wieder zusammengeschweißt haben und könnte auch ihre Stellung in der Bevölkerung wieder stärken.

Kenia hat sich also womöglich sein eigenes „Afghanistan“ eingebrockt. Dabei, so räumt die Regierung in Nairobi freimütig ein, sei es ihr gar nicht so sehr um die jüngsten Entführungen gegangen (die vermutlich auf das Konto von Banditen, nicht von al-Shabaab gehen). Eine Militäraktion sei schon länger geplant gewesen, erklärte Regierungssprecher Alfred Mutua vergangene Woche. Man darf spekulieren, warum: Purer innenpolitischer Machismo reicht als Motiv wohl nicht aus, zumal Kenias Tourismusunternehmer alles andere als begeistert sind von Operation Linda Nchi. Schließlich hat al-Shabaab umgehend Terroranschläge auf kenianischem Territorium angekündigt. In Nairobi gab es bereits zwei Attentate mit Handgranaten auf eine Diskothek und eine Busstation.

Plausibler erscheint, dass Kenia ein lang gehegtes Ziel umsetzen möchte: Die Errichtung einer semi-autonomen Region als Pufferzone auf somalischem Gebiet, um, erstens, al-Shabaab und andere Milizen weiter von der Grenze abzudrängen, und zweitens einen Teil der somalischen Flüchtlinge in den Camps von Dadaab zurück auf die somalische Seite der Grenze zu drängen. Für die Flüchtlinge wäre das der nächste Alptraum. Davon haben sie in ihrem Leben eigentlich genug gehabt. Spätestens an dieser Stelle muss man fragen, warum das weder einer westlichen Regierung noch dem UN-Sicherheitsrat auch nur ein Räuspern wert ist.