Auf der Frankfurter Buchmesse wird gerade die Zukunft des Buches diskutiert. Vor allem geht es um eine Frage: „Was kann die Verlagsbranche von der Musikindustrie lernen?“ Lernen kann sie viel, aber schaut man sich die Strategien verschiedener eBook-Hersteller und die Online-Strategien der Verlage an, kommen Zweifel, ob sie die richtigen Fragen stellt.
Die Musikindustrie wurde als erste von der Digitalisierung erwischt. In den ersten Jahren nach Napster galt Kopierschutz mit Digital Rights Management als die Erlösung. Doch scheiterte man damit grandios und seit dem sind Kopierschutztechnologien auf dem Rückzug.
Hauptgrund war die fehlende Akzeptanz. DRM entmündigte die Nutzer. Sie konnten nicht mehr selbst entscheiden, auf welchen Geräten sie ihre erworbene Musik hörten. Weiterverkaufen oder verleihen ließen sich die digitalen Musikstücke auch nicht. Krönung waren DRM-Standards wie „Plays for Sure“ von Microsoft, die dank Marktmacht suggerierten, dass die erworbenen Inhalte selbstverständlich überall nutzbar seien. „Überall“ meinte dabei aber „nur auf Microsoft-Plattformen“. Mit der Nachhaltigkeit und dem „Plays for sure“ war es irgendwann auch vorbei: Bald kündigte man an, die Kopierschutzserver abzuschalten.
Und die Buchbranche im Jahre 2009? Die träumt dieselben Träume wie die Musikindustrie vor einigen Jahren. Anbieter wie Amazon schmeißen eBook-Reader wie den Kindle auf den Markt, die nur mit dem eigenen, natürlich geschützten Format funktionieren. Die Verlage hoffen, künftig nur noch Nutzungslizenzen zu verkaufen, nicht mehr richtige Bücher. Und die Nutzer werden bald feststellen, dass irgendetwas nicht stimmt: Für einen ähnlich hohen Preis wie das gedruckte Buch erwirbt man lediglich ein Nutzungsrecht. Das eBook ist weder weiter verkaufbar, noch kann man das Exemplar einem Freund leihen. Unterschiedliche Kopierschutz-Standards sorgen dafür, dass man an einzelne Anbieter gefesselt wird. Wechselt man in einem Jahr vom Amazon-Kindle zur Konkurrenz, kann man wahrscheinlich die gekauften Bücher nicht mitnehmen.
Aber wie sieht die Zukunft des Buches aus?
Ich glaube, sie wird ganz anders aussehen, als wir uns das vorstellen können. Das alte Verständnis eines linearen Aufbaus der Erzählstruktur war dem analogen Medium Buch geschuldet. In den meisten eBook-Konzepten wird derzeit das analoge System nur 1:1 auf einen digitalen Vertrieb übersetzt.
Wo bleiben die Visionen, dass Literatur auch nichtlinear und multimedial sein kann? Gerade die Verschmelzung von Text, Audio und Videoinhalten zu etwas Neuem bietet Chancen. Allerdings, auf den gerade vorgestellten eBook-Readern wird so etwas nicht möglich
Sein. Die Geräte wirken technologisch wie Urgesteine aus den achtziger Jahren.
Vielleicht wird diese Technologie ja bald von Smartphones überholt. Diese verfügen auch über einen Browser und den passenden Rückkanal: So könnte die Zukunft des Buches viel vernetzter sein… Wenn ich Special-Interest-Bücher lese, interessiert mich doch, wer das gleiche Buch noch liest. Und ich hätte gerne Kontakt zu diesen Menschen. Selbst bei Beststellern kann es interessant sein, direkt im Lesefluss mit anderen Menschen darüber
zu kommunizieren.
Dabei könnte die Verlagsbranche viel von innovativen Konzepten der Musikindustrie lernen: Wer neue Wege geht, hat eher Erfolg als die dröge Masse. Der kanadische Science Fiction Autor und Blogger Cory Doctorow beschrieb auf der vergangenen re:publica´09 (Offenlegung: Der Autor veranstaltet die re:publica-Konferenzen) seine Strategie, Bücher zusätzlich zum Verkauf zu verschenken. Alle seine Werke sind unter einer Creative Commons Lizenz kostenfrei verfügbar. Das führt nicht nur dazu, dass seine Fans die Bücher freiwillig und kostenlos in Sprachen übersetzen, die von seinem Verlag als unrentabel angesehen werden. Die Fans sind auch glücklich über den Vertrauensvorschuss, verlinken auf seine Bücher und weisen andere auf sie hin. Doctorow profitiert dabei von Netzwerkeffekten im Marketing. Sein Geld verdient er weiter mit dem Verkauf der gedruckten Bücher und der eBooks, denn auch sie gibt es für Geld. Selbstverständlich ohne Kopierschutz. Die Frage, was wäre, wenn er keine gedruckten Bücher mehr verkaufen würde, antwortet er, dass Autoren heute ständig innovativ sein und neue Wege gehen müssten. Die Zeiten seien vorbei, wo man jahrzehntelang mit derselben Idee Geld verdienen könnte. Im Zweifel müsse er eben sein Geschäftsmodell anpassen.
Einige Musiker versuchen das schon und binden ihre Fans in die Wertschöpfungskette ein. Angefangen bei der Finanzierung der Produktion. Der Vorschuss, den früher die Verlage zahlten, kommt so von denen, die die Musik dann hören wollen.
Auch die Buchbranche braucht Mut für neue Wege. Kopierschutz und geschlossene DRM-Systeme sind keine nachhaltige Lösung, die die Kunden zufrieden stellen wird.