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Europas Einsamkeit begann schon unter Obama

Barack Obama hat zum letzten Mal als US-Präsident Europa besucht. Und es war ein Abschied voller Wehmut – und voller Sorge. Denn Obamas Nachfolger heißt Donald Trump. So leidenschaftlich die Europäer – und unter ihnen besonders die Deutschen – Obama zumindest anfangs verehrt haben, so vehement lehnen sie Trump ab.

Jetzt, wo Obama aus dem Amt scheidet, haben die Deutschen und die Europäer noch einmal begriffen, was sie an ihm hatten, trotz aller Mängel. Seine letzte große Rede in Athen, in der er die Kraft der Demokratie beschwor, auch gegen Populisten wie Trump, erinnerte sie daran, dass Politik auch visionär sein kann, jenseits des reinen Krisenmanagements. Weiter„Europas Einsamkeit begann schon unter Obama“

 

Aus Todfeinden werden Partner

Amerika und die Islamische Republik sind Feinde mit vielen Gemeinsamkeiten. Beide liefern derzeit Waffen an die Kurden Nordiraks, damit sie sich gegen die Terroristen des Islamischen Staats (IS) besser verteidigen können; beide haben darauf gedrängt, dass der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sein Amt abgibt; beide haben den Nachfolgekandidaten Haidar al-Abadi unterstützt.

Der Grund dafür liegt auf der Hand. Washington wie Teheran betrachten die IS-Terroristen als tödliche Gefahr, die es zu bekämpfen gilt.

Doch wird die „Kooperation“ zwischen den USA und Iran noch weitergehen? Ist das, was wir jetzt erleben, der Beginn einer neuen Freundschaft? Oder wenigstens Partnerschaft?

US-Präsident Barack Obama hat schon in seiner ersten Amtszeit klargemacht, dass er eine Annäherung mit dem Iran sucht. Er will vor allem den Nuklearstreit beilegen. Das war von Beginn an eine sehr riskante Politik. Denn keiner konnte mit Sicherheit sagen, ob denn die iranische Seite eine Befriedung will, ja ob sie dazu überhaupt in der Lage ist. Seit die Iraner aber Hassan Ruhani zum Präsidenten gewählt haben, stehen die Chancen besser. Ruhanis zentrale Wahlversprechen waren genau das: den Streit mit den USA beizulegen und den Iran gegenüber dem Westen zu öffnen.

Bis zum heutigen Tag ist weder der Nuklearstreit beigelegt, noch hat es eine umfassende Befriedung gegeben. Aber es gibt im Angesicht der Gefahr eine intensivierte, pragmatische Annäherung. Sie wird in der Unterstützung der Kurden und der Beschleunigung des politischen Wandels in Bagdad sichtbar.

Was wir in ihren Grundzügen erkennen können, sind die Ansätze einer neuen Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten. Gebraucht wird diese dringend. Die USA, die den Nahen Osten weder alleine dominieren können noch wollen, und ein selbstbewusster, stabiler Iran sind die beiden Architekten.

Neu ist das ja nicht.

Bis 1979 waren die USA und der Iran enge Partner in der Region. Amerika war unumstrittene Führungsmacht im Nahen Osten, und der vom Schah regierte Iran diente den Amerikanern als Hilfspolizist am Persischen Golf. Beide waren damit zufrieden. Bis die Iraner 1979 den Schah stürzten und sich mittels der Revolution aus der Partnerschaft verabschiedeten.

Seither gleicht die Beziehungsgeschichte zwischen den USA und dem Iran jener zweier schlecht geschiedener Eheleute. Verständnis? Ausgeschlossen. Verzeihen? Niemals. Krieg? Rhetorisch immerzu, wenn es geht bis zur Auslöschung des anderen.

Möglich, dass dies nun zu Ende geht. Möglich, dass sich beide daran erinnern, was sie voneinander haben könnten.

 

Giftgas ist keine Waffe unter vielen

100.000 Menschen sind im syrischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Das hat zu keiner militärischen Intervention des Westens geführt. Jetzt sind rund 1.500 Menschen in Damaskus durch den Einsatz von Giftgas gestorben. Und plötzlich will Barack Obama eine Intervention. Sind denn 100.000 Tote nicht etwa entsetzlicher als die knapp 1.500 Opfer des Gases, wie David E. Sanger in der New York Times schreibt?

Diese Logik unterstellt, dass es egal ist, durch welche Waffe man ums Leben kommt. Das mag für die Toten gelten, aber nicht für die Lebenden. Das hat der amerikanische Präsident erfasst. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob Menschen durch Giftgas getötet werden oder durch konventionelle Waffen. Giftgas ist ein Massenvernichtungsmittel. Sicher, auch Bomben und Geschosse töten massenweise Menschen. Das geschieht gerade in Syrien. Doch sie sind nicht als Massenvernichtungsmittel konzipiert worden. Giftgas allerdings schon. Dieses Kampfmittel ist dazu entwickelt worden, alles Menschliche auszulöschen, egal ob es Soldaten oder Zivilisten sind. Es ist ein Instrument des Terrors. Der Einsatz von Giftgas ist aus gutem Grunde durch eine Reihe von internationalen Abkommen verboten.

Chemische Kampfstoffe haben nicht nur eine verheerende Wirkung, sie sind auch relativ einfach herzustellen. Die japanische Sekte Ōmu-Shinrikyō etwa verübte 1995 in der Tokioter U-Bahn ein Attentat mit Senfgas. Dabei kamen 13 Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt. Ōmu-Shinrikyō hatte das Gift vermutlich selbst zusammengebraut. Fast alle Staaten der Welt haben das Abkommen zum Verbot chemischer Kampfstoffe unterschrieben, weil sie auch die Sorge haben, die Verbreitung dieser Waffen nicht anders kontrollieren zu können.

Vor allem aber verletzt der Einsatz von Giftgas einen symbolischen Raum. Wer es in welchem Konflikt auch immer gebraucht, behandelt Menschen wie Ungeziefer. Wer es einsetzt, hat den Gipfel der Unmenschlichkeit erreicht.

Wie man darauf reagiert, darüber wird gerade diskutiert. Und es ist gut und richtig, dass sich Obama dafür Zeit genommen und den Kongress in die Entscheidung mit einbezogen hat. Doch man kann nicht so tun, als sei Giftgas eine Waffe unter vielen. Wer das behauptet, der muss die Sache zu Ende buchstabieren: Der muss sagen, dass wir künftig in einer Welt leben werden, in der man Chemiewaffen ungestraft einsetzen kann.

 

Was Drohnen anrichten

Drohnen töten den Feind aus der Distanz, präzise und billig. Eigene Soldaten sterben dabei nicht. Opfer unter den Zivilisten werden minimiert. Das ist der ideologische Kern des Drohnenkrieges. Er ist sehr verführerisch. US-Präsident Barack Obama setzt seit geraumer Zeit auf Drohnen und mehr und mehr Regierungen folgen seinem Beispiel. Die Aufrüstungsspirale ist im vollen Gange. Über neunzig Staaten entwickeln Drohnen oder haben sie bereits.

Auch der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist ein erklärter Drohnenanhänger, nur aus Wahlkampf-Gründen ist er jetzt von der Idee abgerückt, die Bundeswehr umgehend mit bewaffneten Drohnen auszustatten. Wie seine Amtskollegen verspricht auch er sich Sicherheit durch diese neue Waffentechnik.

Die Realität freilich sieht anders aus. Drohnen werden heute fast nur in Stammesgebieten eingesetzt – im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan, in Jemen, in Mali, auf den südlichen Philippen, in Somalia. Die Stämme haben ihren eigenen Ehrenkodex: „Wenn Sie in diesen Gebieten einen Menschen töten, schaffen Sie sich vielleicht 100 Feinde!“ Das sagt der pakistanische Autor Achbar Ahmed. Er hat ein ebenso erschütterndes wie aufklärendes Buch über den Drohnenkrieg geschrieben: The Thistle and the Drone.

Man kann dort nachlesen, was die Drohnenkrieger nicht hören und nicht sehen wollen. Dieser Krieg wird gegen sehr rückständige Gesellschaften geführt, er zerstört ihren sozialen Zusammenhalt, er radikalisiert sie und zwingt sie geradezu zur Reaktion.

Unsere fortgeschrittenen Gesellschaften führen also einen erbarmungslosen Krieg gegen Stämme. Das Ergebnis ist noch mehr Gewalt — sie destabilisiert die betroffenen Staaten. An Pakistan lässt sich das am besten zeigen. Je stärker man den Krieg in den Grenzregionen intensivierte, desto härter waren die Reaktionen. Die pakistanischen Taliban wurden mit dem Beginn des Drohnenkrieges stärker. Sie sind heute eine Bedrohung für den Staat. Der Hass gegen den Westen wächst in der pakistanischen Gesellschaft insgesamt.

Achbar Ahmed kennt die Stammesgesellschafen. Er hat als politischer Beamter im Grenzgebiet zu Afghanistan gearbeitet. Er weiß um ihre Rückständigkeit, wie auch um ihren Stolz und den eisernen Willen, die eigene Identität zu verteidigen. Und er weist auf etwas hin: Auch Osama bin Laden war ein Stammeskrieger.

 

Die Lichtgestalt Petraeus überdeckte das Scheitern der Weltmacht USA

General David Petraeus ist während seiner aktiven Laufbahn so gelobt worden, wie kaum ein anderer Offizier der US-Armee. Ob Politiker oder Journalisten, man lag ihm zu Füßen. Er war der „beste Soldat seiner Generation“ — wie es in Washington auch jetzt noch heißt. Nun, da er über eine Affäre gestürzt ist, stellt sich die Frage: Wie wurde Petraeus zum Helden? Was brauchte er dafür?

Ehrgeiz, Intelligenz, Machtinstinkt — das alles hat Petraeus ohne Zweifel, sonst wäre er nicht so schnell so weit gekommen. Doch er brauchte auch etwas anderes, damit er glänzen konnte: eine Katastrophe. Genau dies war der Irakfeldzug der US-Armee im Jahre 2007. Damals übernahm Petraeus im Irak das Kommando. Er hatte sich dafür empfohlen, weil es ihm als Kommandeur der 101. Luftlandedivision gelungen war, die Lage in der äußerst gewalttätigen irakischen Millionenstadt Mosul zu beruhigen.

Petraeus wandte dort seine Strategie der counterinsurgency an – der Aufstandsbekämpfung. Er hatte darüber ein Buch geschrieben, das in Militärkreisen schnell zu einem der meistgelesenen Werke wurde. Es war die Bibel für eine ganze Generation von Offizieren. Als Petraeus 2007 von dem damaligen Präsidenten George W. Bush zum Oberkommandeur der amerikanischen Truppen im Irak ernannt wurde, war der Begriff counterinsurgency bald in aller Munde. Petraeus stieg vor dem blutigen Hintergrund eines grausamen Krieges zu einer Lichtfigur auf. „King David“, diesen Spitznamen bekam er im Irak verpasst.

„Köpfe und Herzen“ gewinnen

Seine Strategie fasste er in drei Wörtern zusammen: clear, hold, build – also: erobern, halten, aufbauen. Damit wollte Petraeus die „Köpfe und Herzen der Iraker“ gewinnen. Immer wieder strich er heraus, dass die US-Armee zu diesem Zwecke auch „kulturell sensibel“ sein sollte. Das heißt, die Soldaten sollten wissen, in welchem Umfeld sie agierten, sie sollten die lokalen Sitten und Gebräuche respektieren.

Im Grunde waren dies Selbstverständlichkeiten, nur konnte sie keiner so gut verkaufen wie Petraeus. Schon gar nicht zu diesem so günstigen Zeitpunkt: Die US-Armee war spätestens 2007 mit ihrer shock and awe-Strategie gescheitert, die auf Überwältigung durch schiere Überlegenheit fußte.

Petraeus erhielt aus Washington alles, was er wollte. Viele, viele Millionen Dollar und Zehntausende Soldaten. Petraeus war der Architekt des surge, der Aufstockung. 30.000 zusätzliche Soldaten bekam er im Irak, und 30.000 Soldaten zusätzlich schickte Präsident Barack Obama im Jahr 2009 auf Drängen von Petraeus auch nach Afghanistan.

Im Irak beruhigte sich ab 2007 die Lage. Bis dahin hatte der Bürgerkrieg horrende Ausmaße angenommen. Petraeus gilt seither als der Mann, der die Wende im Irak brachte. Allerdings ist nicht klar, worin diese Wende bestehen soll. Die USA sind aus dem Irak abgezogen, und nicht einmal die Befürworter dieses Krieges würden behaupten, dass er gewonnen wurde. Der Irak ist den USA verloren gegangen. Sie haben dort so gut wie keinen Einfluss mehr.

Ein ähnliches Schicksal droht den USA und ihren Verbündeten in Afghanistan. Auch dort konnte der von Petraeus durchgesetzte surge den Krieg nicht entscheiden. Nach dem geplanten Abzug 2014 droht Afghanistan wieder ein schrecklicher Bürgerkrieg.

Todesschwadronen und schwache Partner

Petraeus‘ Strategie hat nicht funktioniert. Man könnte nun behaupten, das sei nicht seine Schuld, er habe nur größeren Schaden abwenden können. Doch in Wahrheit gründet sein Ansatz clear, hold, build auf ein paar äußerst fragwürdigen Voraussetzungen.

Clear hieß, die US-Soldaten sollten so viele Gegner töten, bis sie das Feld räumten. Sie mussten weiter immer bereit sein, den Feind zu töten, damit er nicht auf das geräumte Feld zurückkehren konnte. Darum war Petraeus auch der König der verdeckten Operationen. Die Killteams – nichts anderes als Todesschwadronen – schwärmten nachts aus. Sie verbreiteten Angst und Schrecken. Wie sollte man eine Zivilbevölkerung bei Tag gewinnen, wenn man bei Nacht seine Killer losschickte?

Auf diese Frage konnte Petraeus keine Antwort geben. Auch als CIA-Chef hielt er bis zuletzt an dieser Strategie fest. Er sandte Drohnen nach Pakistan, nach Jemen und in andere Länder, um Feinde mit gezielten Schlägen zu eliminieren. Petraeus war bis zum Schluss ein Schattenkrieger par excellence.

Hold, das bedeutet, dass man Partner vor Ort hatte, auf die man sich verlassen konnte. Denn die US-Truppen konnten nicht auf Dauer bleiben. Lokale Kräfte aber durchaus. Petraeus setzte dabei schlicht und einfach auf Geld. „Money is ammuniton“ wiederholte er immer wieder. Er ließ im Irak und in Afghanistan Unsummen an bewaffnete Gruppen auszahlen. Er tat dies wohl in der Illusion, dass man sich Loyalität kaufen kann.

Geld für Waffen, die sich gegen US-Soldaten richteten

Doch die vielen Millionen Dollar, die Petraeus ohne größere Kontrolle verteilen ließ, förderten die Korruption. Dieses Geld untergrub alle Versuche, staatliche Autorität aufzubauen. Und Petraeus‘ Politik hatte noch eine weitere, für die USA besonders bittere Folge: In vielen Fällen kauften sich zum Schein gewendete Aufständische mit US-Dollar Waffen, mit denen sie später auf US-Soldaten schossen.

Build stützt sich auf die Idee, dass es in dem betreffenden Land Kräfte gibt, die in der Lage sind, einen Staat für alle Bürger aufzubauen. Aber das ist weder in Afghanistan noch im Irak geschehen. Im einen wie im anderen Land ist der Staat, soweit er überhaupt existiert, von ethnischen (Tadschiken in Afghanistan) oder religiösen (Schiiten im Irak) Gruppen besetzt. Er wird nur dazu benutzt, um die Angehörigen der eigenen Gruppe zu fördern. Staatliche Autorität blieb auch schwach, weil sie von der allgegenwärtigen Korruption ausgehöhlt wurde.

Wenn man all dies in Betracht zieht, muss man sich also fragen, worin eigentlich der Erfolg von Petraeus bestand? Was machte ihn zum besten Soldaten seiner Generation? Die Antwort: Petraeus war die mediale überhöhte Figur, die das Scheitern der Weltmacht auf dem Feld überdecken half.

 

Propagandafeldzug der Nato

Die Nato hat in Afghanistan die größte Operation in dem seit acht Jahren dauernden Einsatz begonnen. Sie zielt auf Mardscha, eine Hochburg der Taliban in Süden des Landes.  Die Generäle haben sie „Muschtarak“ getauft, was soviel wie „gemeinsam“ heißt. Die Nato  geht nämlich gemeinsam  mit Einheiten der afghanischen Armee gegen die Taliban vor.

„Muschtarak“ ist die erste konkrete Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie der Nato. Sie zielt darauf ab, mit überwältigender Gewalt die Taliban in ihren Zentren zu treffen und  zu vertreiben.  Den einmarschierenden Soldaten folgen Beamte der afghanischen Regierung, die sofort daran gehen sollen, die eroberten Städte zu verwalten – gut zu verwalten, damit die Menschen auch erleben können, dass es ihnen unter der Regierung besser geht als unter den Taliban. Die Nato-Soldaten sollen im Unterschied zur vorangegangenen Operationen auf Dauer in den eroberten Zentren bleiben. So weit der Plan. „Muschtarak“ wird begleitet von einer sorgfältig vorbereiteten Medienkampagne.  Sie bringt das hervor, was von einer Propagandamaschine zu erwarten ist: Die Nato eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Tatsache, dass manchmal etwas schief geht wie die Tötung von zwölf Zivilisten durch zwei Raketen,  die ihre Ziele verfehlt haben,  wird übertönt von den Jubelmeldungen aus den Presseabteilungen der Militärs.

Man muss daran erinnern, dass es KEINE unabhängige Berichterstattung aus dem Kampfgebiet gibt. Wir sind also fast ausschließlich auf die Informationen angewiesen, die uns die Kriegsparteien liefern – in dem Fall vor allem der Nato.  Das wird gerne vergessen.
Was tun? Die Propaganda mit Fragen löchern.  Warum zum Beispiel behauptet die Nato, dass die Taliban völlig überrascht worden seien, wenn doch sie gleichzeitig sagt, sie hätte die Zivilbevölkerung via Radio und Flugblätter vor dem Angriff gewarnt, um ihr die Chance zu geben, sich in Sicherheit zu begeben? Warum sagt die Nato, sie habe die Taliban überwältigt, wenn sie gleichzeitig sagt, es gebe kaum Kämpfe? Warum sollten die afghanischen Beamten, die der Nato auf den Fuß folgen, weniger korrupt sein als ihre Regierung in Kabul? Warum sollen die Bewohner Mardschas glauben, dass die Nato auf Dauer bleiben wird, wenn US–Präsident Barack Obama doch den Abzug beginnend 2011 festgelegt hat?

Je lauter das Propagandagetöse, desto mehr muss man solche Fragen stellen.

 

Rückzug. Welcher Rückzug?

US–Präsident Barack Obama hat den Beginn es Rückzuges aus Afghanistan für 2011 angekündigt. Die Bundesregierung hat sich diesem Plan dankbar und schnell angeschlossen. Es gibt nur einen Haken: Wenn es überhaupt zum Rückzug kommt, dann wird er sich über Jahre hinziehen.

Dazu empfehle ich folgendes Interview mit General Petraeus – dem Kommander der US-Truppen in Afghanistan und Irak.

 

Die Dimension des Problems

Am 28. Januar wird in London eine große Afghanistan-Konferenz stattfinden. Dort wird wieder viel die Rede sein von allen möglichen Strategieen – und am Ende wird man sich vielleicht für eine entscheiden. Sicher ist das allerdings nicht, denn die Verwirrung und Uneinigkeit unter den Geberländern ist gr0ß. Nur über eines scheint Konsens zu herrschen: Dass es möglich sei, Afghanistan für den Westen zu „retten“, wenn man nur die richtigen Hebel in Gang setzte. Das ist eine Illusion, denn es gibt den zentralen Maschineraum nicht, den man nur richtig bedienen müsste, damit Afghanistan auf gutem Weg kommt.  Es gibt viele kleine Stellen, an denen es zu intervenieren lohnt, an denen man mit relativ wenig Aufwand viel bewirken kann. Viele Nichtregierungsorganisationen machen das seit Jahren vor.  Von ihrem Beispiel könnte man lernen.

Stattdessen aber scheint der Westen auf den großen Hammer zu setzten – auf das Militär. Wie groß dieser Hammer ist, kann man in Zahlen ausdrücken.  US-Präsident Barack Obama hat den Kongreß um 33 Milliarden zusätzliche Dollar gebeten, um den Krieg in Afghanistan zu finanzieren. Damit werden die Gesamtausgaben für den Krieg im Irak und in Afghanistan auf 159 Milliarden Dollar steigen. Um die Dimension klar zu machen: Das ist ziemlich genau die Hälfte der Summe, die alle Staaten der Welt zusammen, außer den USA, jährlich für ihre Verteidigung ausgeben.

Um die wirklichen Probleme Afghanistans zu begreifen, sollten diese astronomischen Ausgaben für den Krieg in Verbindung mit dem Alltagsleben der Afghanen gebracht werden. Auch diese lässt sich in Zahlen ausdrücken. Das selbst erwirtschaftete Budget der Regierung beläuft sich auf rund 600 Millionen Dollar, davon werden 22 Millionen Dollar allein dafür ausgegeben, den Präsidenten des Landes Hamid Karzai zu schützen. Die Afghanen selbst gaben in den letzten 12 Monaten nach einer Studie der UN 2,5 Milliarden Dollar  für Schmiergelder aus. Durschnittlich musste jeder Afghane 160 Dollar im Jahr ausgeben, um jemanden zu schmieren. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Afghanen beträgt 425 Dollar.

 

Warum Deutschland und die Nato scheitert

In der morgigen Ausgabe der ZEIT ist eine Interview mit dem ehemaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu lesen, das ich mit meinem Kollegen Peter Dausend geführt habe. Das Thema: Afghanistan. Steinmeier versucht einen schwierigen Spagat zwischen der politischen Verantwortung für den Einsatz und der zunehmend abzugswilligen Öffentlichkeit. Steinmeier sagt , dass der ursprüngliche Plan, der auf der Petersberger Konferenz 2002 für Afghanistan entworfen worden war, zu „ambitioniert“ gewesen sei. Das ist ein bemerkenswerte Aussage.

Tatsächlich wunschte ich mir, dass ein Historiker rekonstruiert, was zwischen den Attentaten vom 11. September 2001 und er Petersberger Konferenz, die am 27.11. 2001 begann und am 5. Dezember 2001 endete, geschehen ist. Es ließe sich eine Geschichte darüber schreiben, wie Deutschland in diesen Einsatz rutschte, der sich bald als Krieg herausstelte.

Warum ich glaube, dass Deutschland und die Nato keinen Erfolg haben, das können Sie hier lesen.

 

Karzais Kurs

Afghanistans Präsident verschärft die Kritik am Westen. Hier die Karzais „antiwestliche Aussagen“ aus einem Interview mit Margaret Warner

MARGARET WARNER: Now, President Obama, British Prime Minister Gordon Brown, the U.N. special rep, Kai Eide, have spoken very bluntly and publicly in the past few days about the changes they want to see in your cabinet and in your administration on both corruption and competence. And they have even suggested that Western support will fade if you do not do this.

How do you regard those comments?

HAMID KARZAI: Well, the West is not here primarily for the sake of Afghanistan. It is here to fight the war on terror. The United States and its allies came to Afghanistan after September 11.

Afghanistan was troubled like hell before that, too. Nobody bothered about us. So, they’re here to fight terrorism. And that is an interest that we share.

Of course, they need to build Afghanistan in order for Afghanistan to be able to defend itself and to be able to stand on its own feet and to deliver goods to its people. That is an Afghan responsibility, primarily, to get to where we want to be in terms of a better government, a better society, a developmental plan that delivers the services to the Afghan people.

MARGARET WARNER: Your Foreign Ministry yesterday issued — on Saturday — issued a statement saying that they considered the statements from some of these groups to be interference and lack of respect for Afghan sovereignty. Do you see it that way?

HAMID KARZAI: Well, we must all be very careful, while we are partners with one another, while we work together, while we are traveling this journey together, that our partnership and our advice is a friendly one and with good intentions, and not one that can be interpreted any other way.

MARGARET WARNER: And did you feel that President Obama and Gordon Brown and Kai Eide crossed that line?

HAMID KARZAI: Well, I’m immune to that. I’ve heard so much of that, you know, it doesn’t bother me.

MARGARET WARNER: And, so, was the Foreign Ministry just speaking for itself?

HAMID KARZAI: The Foreign Ministry was not speaking for itself. The Foreign Ministry was definitely speaking on behalf of the Afghan government.

MARGARET WARNER: So, you did see it as showing a little bit of lack of respect for Afghan sovereignty?

HAMID KARZAI: We like our partners to have a lot of respect for Afghan sovereignty. Afghanistan is extremely sensitive about that.

MARGARET WARNER: The U.N. did reluctantly withdraw about two-thirds of its foreign staff, at least temporarily, for safety’s sake.

What impact is that likely to have?

HAMID KARZAI: No impact. No impact.

MARGARET WARNER: So, you don’t care if they return?

HAMID KARZAI: They may or may not return. I don’t think Afghanistan will notice it. We wish them well, wherever they are.

MARGARET WARNER: One of your advisers said to me that they thought — he thought, unfortunately, that a certain climate of distrust now existed between your government and the Obama administration.

Does it? And, if so, where does this come from?

HAMID KARZAI: No, I wouldn’t describe it as distrust.

It’s a question of better handling of things on both sides. I guess we have to handle the Americans better, and the Americans have to handle us better.